Diethard Sanders
Kurze Betrachtung über den Untergang
1. Teil:
Bemerkungen zum Begriff
Sommer 2023. Neue Rekordhitzewellen, noch grössere Waldbrände, noch extremere Niederschläge, noch stärkere Stürme, noch wärmere Ozeane, noch schwächerer Golfstrom, und natürlich noch mehr CO2 und so weiter.
Es scheint, als spiegelte die Natur das sonst von uns Menschen über lange Zeit folgenlos betriebene Eskalieren von allem und jedem wider. Ein aire von Katastrophe, von Untergang beginnt sich breit zu machen.
Untergang ist voll im Trend. Sei es, dass man seine bedrohliche Gegenwart dadurch anerkennt, indem man ihn möglichst vollständig verdrängt und so tut, als wäre da ja gar nichts – so wie die kleinen Kinder es machen, wenn sie die Hände vor die Augen halten; oder sei es, dass man versucht, dem, was man unter Untergang versteht, möglichst ins Auge zu schauen – was einen angesichts des inzwischen wenig aussichtsreichen ökologischen und zivilisatorischen Allfrontenkriegs, in den wir uns vermittels viel segensreichem Tun und noch viel mehr Sturheit verwickelt haben, schon mal unter Leidensdruck setzen kann.
Vorerst ohne den Wurzeln des Leidensdrucks nachzuspüren sei nun in durchaus scholastischer Vorgehensweise gefragt, was mit dem Begriff des Untergangs denn alles gemeint sein kann.
Dabei zeigt sich, dass Untergang ein recht verschwommenes Bedeutungs-Areal belegt, das zumeist so viel wie ungewolltes oder nicht mehr zu verhinderndes, meist mehr oder weniger gewaltsames Ende á la Leid, Blut und Tränen bedeutet – die übliche Währung halt, in der die Geschichte nicht zurückbezahlte Kredite eintreibt.
Schon das Wort Untergang ruft Assoziationen von feuerroten Nachthimmeln und wilden Kriegerscharen hervor, die mordend und plündernd alles vernichten, das sich ihnen in den Weg stellt. Ein Szenario, das bisher zwar nur in begrenzten Räumen auf diese Weise stattgefunden hat, das sich aber angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten der Zerstörung mit Leichtigkeit ausweiten lässt.
Derartige begrenzte Untergänge (so makaber es klingt) gab es in der Geschichte bereits zur Genüge. Was für die Unterlegenen, die daran beteiligt waren, die Sache nicht besser machte.
Immerhin ist dies ein relativ klar abgrenzbares Bild von Untergang, das es erleichtert, eine ethisch eindeutige Position einzunehmen, die das eigene Urteilsvermögen nicht zu sehr anspannt.
Dann gibt es allerdings noch die subtilere Bedeutung von Untergang, die heute besonders aktuell ist, als das Ergebnis eines Cocktails von Problemen und Bedrohungen unterschiedlichster Art, von denen die meisten mittlerweile über die Wucht verfügen, bis zum eigenen Leben durchzuschlagen, fallweise sogar auf fatale Weise.
Aber das war ja eigentlich fast immer so. Dass es einen allgemeinen Frieden von den eigenen vier Wänden bis hinaus zu den Gipfeln der Berge, dass es Impfungen und Antibiotika, Kranken- und Pensionsversicherung sowie ein allgemeines Wahlrecht gibt – um nur eine kleine willkürliche Auswahl aller Annehmlichkeiten zu nennen – ist gegen die Geschichte aufgerechnet die absolute Ausnahme!
Nun könnte man argumentieren, dass dies deshalb die Ausnahme ist, weil der Fortschritt eben nicht früher an diesem Punkt anlangte.
Welcher Fortschritt? – etwa der ethische? Nach einem allgemeinen Frieden haben sich die Menschen immer gesehnt; ebenso nach Abwendung oder schneller Überwindung von Krankheit; des Weiteren nach Hilfe, wenn man länger krank oder ganz einfach alt und gebrechlich ist. Es hat auch nie an Forderungen danach gefehlt, weder im Heidentum noch in den monotheistischen Religionen.
Die Frage war, was war von diesen Forderungen umsetzbar und was wollte man denn überhaupt umsetzen? Es war die Politik, die nicht früher an diesem Punkt angelangt war. Aber wer hätte nicht auch im alten Rom Zustimmung gefunden, der eine allgemeine Krankenversicherung als zuträglich für den Wohlstand gefordert hätte?
Nicht zuletzt ist es heute wiederum die Politik, die dafür sorgt, dass zumindest viele unserer schönen Errungenschaften nun auf Messers Schneide stehen. Doch die Politik, das sind zu einem guten Teil wir alle, und das gilt besonders umfassend für Demokratien.
Bereitwillig hatten wir es geglaubt, in den Zeiten des allgemeinen Juhu, Tschinbumm und Hurra, obwohl der simpelste Hausverstand jedes Mal zum Schluss gelangte, dass dieses, unser notorisch eskalatives Denken eben doch nicht das Rezept gegen jegliches Problem sein kann.
Und eines ist offenbar, nachzulesen in Zahlen: selbst wenn wir uns noch so vor dem Untergang fürchten, bei den Wahlen macht die Mehrheit dann doch wieder das Kreuzchen bei jenen, die sich und ihren Wählern lieber die Hände vor die Augen halten.
Somit wird alles nur noch schlimmer, und dann kann man sich wieder umso schöner vor dem Untergang fürchten.
Blenden wir also zurück zur Angst vor dem Untergang. Das, was die Angst vor dem Untergang so bedrohlich macht, ist die Unsicherheit über die Art der nächsten akuten Bedrohung (Dürre? Seuche? Krieg?), die zur Rückkehr einer Art von mittelalterlich fatalistischer Lebensgestimmtheit führt, die man für immer überwunden glaubte.
Zugestanden, das ist alles beunruhigend. . . Aber deshalb gleich so ganz allgemein Untergang rufen? Ist das nicht ein bisschen zu hoch gegriffen? Der Vergleich mit der berühmten Aussage des Augustinus über die Zeit drängt sich auf: Wenn man nicht danach gefragt wird, dann weiß man, was Untergang ist; wird man aber danach gefragt, dann weiß man es nicht mehr so genau.
Wer oder was könnte, und wer oder was sollte besser untergehen?
Fortsetzung folgt
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Danke für diesen Kommentar. Ich bleibe dabei: Eine allgemeine Krankenversicherung wäre auch im alten Rom höchstwahrscheinlich als etwas durchwegs Schönes und Erstrebenswertes angesehen worden, vor allem natürlich vom einfachen Volk, und die Senatoren hätten sich beeilt, dem zuzustimmen. Nur leider hätte sich dann in den Reihen der Senatoren, ebenso wahrscheinlich, niemand gefunden, der diesen netten Vorschlag ernsthaft unterstützt hätte, und so wäre es höchstwahrscheinlich bei Sonntagsreden geblieben. Unfinanzierbar, nicht administrierbar, und was weiß man sonst noch wäre dagegen vorgebracht worden. So war das gemeint.
Und was die „Katastrophen in der Presse“ anlangt, empfehle ich wärmstens die Lektüre von World Scientists Warnings – kann man direkt so googlen, dann erscheinen begutachtete wissenschaftliche Artikel, die das ganze Schlamassel, das wir mit der Erde und mit unseresgleichen anrichten, Thema für Thema abhandeln. Da erschließt sich einem erst so richtig die ganze Scheiße [in diesem Fall der einzig technisch richtige Ausdruck], die wir so fleißig und mit jeder Menge Optimismus gebaut haben und weiterhin bauen.
Aber vermutlich wendet sich der „reife“ Medienkonsument inzwischen auch von den Ergebnissen der Wissenschaft ab und macht es wie das im Kurzessay genannte Kind und hält sich lieber die Hände vor die Augen. Da drängt sich mir die Frage auf, wo diese „reifen“ Medienkonsumenten wohl bei den freien, gleichen und geheimen Wahlen, die wir derzeit noch genießen, ihr Kreuzchen machen. . . wenigstens dazu müssen sie noch eine Hand vorm Gesicht kurz wegnehmen.