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Diethard Sanders
ICH - BIN - KEIN - GRÜNER ! ! !
Ein Feldforschungsbericht

Da in Innsbruck Wahlen anstehen, nehme ich dies zum Anlass, über eine vergleichsweise neue Einstellung weiter Teile der einheimischen Bevölkerung gegenüber bestimmten politischen Parteien zu berichten.

Vor einigen Jahren hat sich nämlich in Innsbruck, wo ich mein Dasein friste, das bislang völlig Undenkbare ereignet: ein Grüner wurde zum Bürgermeister gewählt! Auch eine mehrmalige erneute Stimmenauszählung hinter den Kulissen änderte nichts daran.

Jesses-Maria! Sag mal, spinnen die Leute!?, klagte die frischgebackene Oppositionspartei. Dabei haben doch wir diese Stadt zu dem gemacht, was sie heute ist. Wir waren immer schon da! Und nun kommt da so ein Grüner daher und will alles absahnen, was wir in zäher Kleinarbeit mit Gottes Hülfe erschaffen haben. 

Wer weiß, was der nun alles im Schilde führt! Wahrscheinlich wird er als Erstes den gesamten Individualverkehr verbieten und alle müssen sich in Öffis reinstopfen oder sich auf den Radwegen in Massenkarambolagen balgen. Wir, ja wir, werden dafür kämpfen, dass wenigstens Polizei, Rettung und Feuerwehr noch mit dem Auto fahren dürfen. 

Schöne breite Asphaltstraßen werden wohl renaturiert werden (Zischel: aber jaaa, ich hab es selbst gehört!), alles nur noch Radwege, und die Wirtschaft geht dabei vor die Hunde. Denn das weiß ja wohl jeder, dass diese Grünen nichts von Wirtschaft verstehen, denn wir und nur wir verstehen was von Wirtschaft, und die Gehwege sollen auch breiter werden, und wo parken dann alle die Autos, bitte sehr? – da sieht man es wieder, kein Plan, kein Konzept, nur pures Chaos überall, oh du arme Alpenstadt, wie ist’s um dich geschehen!

Manche Stadtpolitiker und ihre Entourage erwogen bereits den Exodus mit Sack und Pack und Kind und Kegel – am besten gleich nach Neuseeland, um dort eine Kolonie zu gründen, mit großer Parteizentrale und einer kleinen Kapelle – blieben am Ende aber doch, um sich fortan in der Opposition bis zur Selbstaufopferung gegen den sicheren Untergang der Stadt zu stemmen.

. . . die Jahre verstrichen, die Stadt steht und stoffwechselt noch immer, und zwar in einer frappant ähnlichen Form wie bisher. Natürlich haben wir das nur der unermüdlichen Wühlarbeit einer anderen Partei als der regierenden zu verdanken, die sich mit aller Findigkeit bemüht, möglichst jedes Vorhaben des Bürgermeisters zu torpedieren, was oft auch gelingt: Denn die Wähler haben es in ihrer unergründlichen Weisheit unterlassen, die Partei des Bürgermeisters mit einer Mehrheit auszustatten, die echtes Regieren ermöglichen würde. So weit, so demokratisch.

Dennoch gelingt es dem Bürgermeister anscheinend ab und zu, ein Vorhaben an den Zerberussen der Opposition vorbei zu schmuggeln und umzusetzen. Harr harr! So in meinem Stadtviertel. Vor einer schönen Fassade aus alten Häusern vom Typ einer Inn-Salzach Stadt (hab‘ ich in Baustil-Geschichte gelernt) lag ein recht schmaler Gehsteig und eine breite, von starkem Verkehr frequentierte Straße. 

Eines Tages wurde diese Straße aber gesperrt – was dem Bürgermeister sofort Verwünschungen übelster Art einbrachte – doch nach einigen Tagen wieder freigegeben. Nun war der Gehweg breiter, auch große Pflanzentröge sorgten mit Blumenschmuck für ein wenig Sonne im Herzen des arbeitsgeplagten Ostälplers. 

Und siehe, sogar Platz für parkende Autos ist noch immer vorhanden, und die vorgelagerte Straße wurde verkehrsberuhigt, sodass nun alles sanfter und ruhiger abläuft und der Fußgänger am Gehweg nicht ständig anderen ausweichen muss. Kurzum, ich fand und finde das breitere Trottoir und den beruhigten Verkehr viel angenehmer. Ich hoffe nur, ich muss nach diesem Geständnis nicht auswandern. Nach Neuseeland zum Beispiel.

Denn in weiten Teilen der einheimischen Bevölkerung scheint dem Hass auf alles Grüne eine komplementäre Paranoia zu entsprechen. 

Neulich traf ich knapp neben einem immer noch einigermaßen unverschandelten Bergdorf unerwartet auf eine offene Baugrube. Eine kurze visuelle Vorinspektion aus der Distanz überzeugte mich, dass die Grube sehr interessante Sedimente freigelegt hatte. Da ich im Hauptberuf Geologe bin, stieg ich folgerichtig sofort hinein. Ich weiß: Das darf ich nicht. Aber so ist es manchmal im Leben. Denn bis ich alle offiziellen Bewilligungen dazu gehabt hätte, wäre die Baugrube längst wieder zugeschüttet gewesen. 

Während ich nun besagte Grubenwände inspizierte, erschien, so wie das in diesen Fällen absehbar ist, ein Arbeiter.
„He du, was machst du da?“, seine Eröffnung.
„Ich bin Geologe und diese Baugrube zeigt sehr interessante Sedimente“, meine Antwort, „ich will die nur photographieren und ein paar Proben nehmen, dann bin ich weg. Ich bin eigentlich wegen etwas anderem da, aber so etwas ist nur selten aufgeschlossen.“
„Und was siehst du hier?“ seine Frage.
Ich erklärte es ihm. Leicht kopfschüttelnd, mit was für komischen Sachen manche Menschen doch ihr Geld verdienen, sagte er schließlich: „Na gut, wenn du nicht allzu lange hierbleibst.“
„Ich brauch hier vielleicht zwei bis drei Stunden, mehr nicht“.
Er brummelte und ging weg. Doch nachdem er einige Schritte gegangen war blieb er stehen, drehte sich um und trat wieder zu mir hin.
„Du bist aber keiner von den Grünen?“ fragte er, sichtlich misstrauisch geworden.
„Was!? Nein nein, ich bin Geologe von der Universität!“

Der Arbeiter nickte bedächtig, schien kurz nachzudenken, dann ging er weg und ich setzte meine Tätigkeit fort. Es mochte wohl eine halbe Stunde verstrichen sein, da kam er wieder, diesmal in Begleitung. Vielleicht hatten die beiden inzwischen gemutmaßt, ich sei ein Grüner, der in einer Undercover-Aktion unterwegs ist und versucht, sie mit billigen Lügen abzuspeisen. Genauere Untersuchung war also angesagt.

„Was sigsch’n da?!“ rief mich der Neue an. Vermutlich hat ihm der erste Arbeiter mein Anliegen nicht richtig wiedergegeben, sodass am Ende nur etwas völlig Verdrehtes herausgekommen war. Was sich dann wiederum der Zweite selber anschauen wollte. Ich fühlte mich ein bisschen wie ein exotisches Tier im Zoo, erklärte ihm aber trotzdem alles noch einmal. 

Doch der Zweite war hartnäckiger. Anstatt sich mit meinen ersten Angaben zufrieden zu geben und abzurauschen, blieb er vor Ort. Vielleicht war er der Verhör-Experte dieser Baustelle, zum Schutz vor Grünen.
„Das hab ich jetzt nicht ganz verstanden“, sagte er, „kannst du mir das genauer erklären?“
Was ich dann auch tat, dieses Mal in deutlich tiefschürfenderer Ausführung. Ich redete mich warm und fast hätte ich es bedauert, dass ich mein Vorlesungs-Skript nicht aufs Handy raufgeladen hatte, damit ich es den beiden gleich auf die ihren hätte schicken können. Als ich geendet hatte reagierte auch er leicht kopfschüttelnd. Aber immerhin schien ich auch diese peinlichere Befragung überzeugend absolviert zu haben.

Nach einer kleinen Pause ließ er endlich die Katze aus dem Sack:
„Du bist aber kein Grüner?“, fragte er.
„Nein nein, ich hab es deinem Kollegen ja schon gesagt, ich bin in rein wissenschaftlicher Mission hier, und außerdem ist es für mich ein glücklicher Zufall, dass ich grade hier bin solange diese Baugrube offen ist.“
In dem Augenblick ging mir die biblische Szene von Petrus und dem Krähen des Hahns durch den Kopf.
Zögerlich begann der Arbeiter den Rückzug anzutreten. Zusammen mit seinem Kollegen ging er einige Schritte, dann rief er noch halb über die Schulter in meine Richtung:
„. . . weil Grüne können wir hier nicht brauchen.“
Und mit jenen Worten gingen sie wieder zu ihrer Arbeit zurück, diesmal endgültig. 

Als ich schließlich mit meiner Dokumentation in der Grube fertig war, ging ich hinaus zum Baustellen-Schild, das, wie es Pflicht ist, auswies, was hier errichtet wird: Firma Grüner Glücklich Wohnen, Vier-Parteien Mehrfamilienhaus.

Bis heute rätsle ich darüber, weshalb man bei einem derartig unverfänglichen Bauvorhaben Angst vor überhaupt irgend jemandem haben müsste. . . nach einer wahren Begebenheit.

Aber ich geb’s ja zu: Wenn ich beruflich unterwegs bin, ist mein Anblick für Laien wahrscheinlich schwer von Aktivisten anderer Schattierungen zu unterscheiden. Meine Schildkappe, dazu zumeist eine Sonnenbrille, weiters eine Umhängetasche mit diversen Gerätschaften drin, mit denen ich gelegentlich herumhantiere – und natürlich der bei einem Geologen unvermeidliche Hammer in der Hand, lassen mich aktivistisch und stets ein wenig bedrohlich bis verdächtig wirken. 

Zudem zeige ich noch höchst suspekte Bewegungsmuster mit einer starken Tendenz, gebahnte Wege und Pfade, auf denen sich der seriöse Einheimische und der Tourist bewegt, zu verlassen und mich im freien Terrain herumzutreiben und dort mit den bereits erwähnten Geräten geheimnisvolle Messungen zu machen.

Schon vor Jahrzehnten ist es vorgekommen, dass einem ein besonders misstrauischer Landwirt nachschlich und einen mitten im Wald schließlich zur Rede stellte, was man denn hier Sonderbares treibe. Aber das war schnell erklärt, denn die meisten hatten ganz einfach noch nie einen Geologen in Aktion gesehen. 

Dann aber häuften sich diese Begegnungen, immer öfter versehen mit der inquisitorischen Frage, ob ich denn ein Grüner sei. Klar, es könnte ja peinlich werden, wenn da irgend ein Dahergelaufener all die illegalen kleinen Mülldeponien (meistens nur Bauschutt, manchmal aber auch giftigere Sachen) in den schattigen Waldgräben entdeckt, die nur scheinbar auf immer unerwünschten Blicken entzogen sind. Denn die Zwangssanierung würde natürlich mehr Geld kosten als die paar Euro für die Fahrt zum Recyclinghof. Vermutlich von daher die Paranoia. . .

Andererseits muss ich bei allem Verständnis für die einheimische Bevölkerung und ihre kleinen ökologischen Fehltritte doch sagen, dass ich es langsam leid bin, jedes Mal beteuern zu müssen, kein grüner Aktivist zu sein. Bei den letzten Begegnungen bemerkte ich, wenn die Diskussion allzu langatmig und kurvenreich wurde, wie meine Hand mit dem Hammer verdächtig zu zucken begann und mir, ohne dass ich ihn gerufen hätte, der Gedanke durch den Kopf ging, dass ich eigentlich ein Argument mit mir herumtrage, mit dem sich jede weitere Erörterung stark abkürzen ließe.

Natürlich bin ich mir bewusst, dass dies eine völlig untragbare Vorgangsweise zur Beendigung des Gespräches wäre, aber gegen gelegentlich aufzuckende Reflexe aus der Morgendämmerung der Menschheit ist man nun mal nicht gänzlich gefeit.

Was also tun? Ich verfiel auf den Gedanken, mir einen Ausweis zu basteln. Auf der Außenseite steht in grossen Lettern Grün?-Nein danke! Drinnen steht auf der linken Seite mein Name und meine sonstigen Personalien und auf der rechten Seite ein Text, sicherheitshalber in Englisch, damit man ihn überall verwenden kann:

The bearer of this license has convincibly proven to the undersigned Authorities to be NOT a green activist, but merely a plain fucking geologist who only wants to do his job.

Der erste Entwurf schaute schon recht gut aus. Nach einigem Zögern entschloss ich mich aber doch, das fucking zu streichen, damit es nicht ganz so Amerikanisch klingt. In der anfänglichen Begeisterung wollte ich gleich 50 Exemplare des Ausweises von einer Druckerei bestellen und an meine Kollegen verteilen, aber dann entschloss ich mich, zuerst eine Testphase einzulegen. . . um es kurz zu machen: der Ausweis versagte völlig. 

Es lag am Englisch. Das machte sogar noch viel misstrauischer, denn hier stand offenbar eine Botschaft in einer Sprache, die nicht verständlich war und die von daher erst recht die wüstesten Phantasien auf sich zog. Vielleicht hatte ich ja sogar die Lizenz zum Töten? Also legte ich das Unternehmen Ausweis ad acta und verblieb in Resignation.

Da erfuhr ich zufällig in einer Fernsehdoku von einem Brauch der skandinavischen Samen, dem yolk-yolk. Vielleicht um die manchmal schwer erträgliche Grabesstille der Ebenen des hohen Nordens mit einer menschlichen Stimme zu füllen, ist dort der Brauch, alleine laut singend und mit frei improvisierter Intonation das zu verlautbaren, was man gerade vorhat oder tut, und diesen ad hoc Gesang nennt man yolk-yolk. Elektrisiert fuhr ich aus meinem Fernseh-Halbschlaf hoch: DAS ist die Lösung!

Von nun an schritt ich bei meiner Arbeit durch Wald und Flur und brüllte in einigermaßen regelmäßigen Abständen: ICH – BIN – KEIN – GRÜNER!! . . . ICH – BIN – KEIN – GRÜNER!!. . . ICH – BIN – KEIN – GRÜNER!!

Das ging eigentlich recht gut so. Die Leute, die mich sahen, ließen mich in Ruhe, weil sie mich für verrückt hielten, was den kollateralen Vorteil hatte, dass auch die allzu interessierten Laien fernblieben, die einen unvermeidlicher Weise in Gespräche verwickeln, die fast alle mit dem Satz beginnen „Ah so, hm, Geologie, das muss aber interessant sein . . .“

Es war ein wunderschöner Tag im Spätherbst, als ich (schon etwas heiser geschrien) von einem Jagdaufsichtsorgan angehalten wurde. Er war ganz in grün gekleidet, zeigte sofort seinen Ausweis auf grünem Papier und eröffnete mir, dass er mein Treiben schon seit einer Weile beobachtet, Abstreiten sei somit zwecklos, und dass er gegen mich Anzeige wegen grundloser Verschreckung des Wilds erstatten würde.


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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Hans Pöham

    Homo Faber

    Von Jahr zu Jahr schärfer die Angst,
    sieht man irgendwo einen Mann stehen im Gelände.
    Was plant er?
    Einen Ankauf, einen Verkauf, will er Häuser bauen,
    eine Schnellstraße legen, will er den Bach betonieren,
    den Feldweg sanieren und trocken legen den Teich,
    sucht er ein Terrain um Modellflugzeuge zu starten,
    seinen Hund zu dressieren,
    wittert er Bodenschätze,
    zieht er das schöne Feld in Betracht
    für eine Mülldeponie,
    plant er vielleicht einen Wanderweg,
    macht er ein Fotobuch „Heile Landschaft“
    oder hält er gar Ausschau nach einem UFO?
    Gesetzt, er schaute sich einfach ein Gras an,
    die blühende Rispe, den blanken Halm,
    müsst ich ihn melden beim Posten,
    falls er nicht selbst sich bekennt, als Narren, der nichts sucht,
    der seines Wegs geht und anhielt,
    weil ihm eine Mücke ins Aug flog.

    Erika Burkart

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