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Diethard Sanders
Kurze Betrachtung über den Untergang
3. Teil:
Was wirklich tun?
Eine Zwischenbilanz

Nachdem also der Begriff Untergang ein wenig ausgeleuchtet (Teil 1) und der Pseudo-Untergang Roms skizziert wurde (Teil 2), können wir uns jetzt endlich dem eigentlich heißen topic zuwenden, nämlich, dem nächsten Untergang – unserem Untergang. 

Wobei ich nochmals die partiell optimistische Note unterstreichen möchte, die ich bereits in Teil 1 abgegeben hatte: Dass Zivilisationen nur selten so richtig mit Mann und Maus untergehen, sondern dass zumeist – und oftmals unbemerkt – durchaus etwas überlebt, vor allem im sichersten und persönlichsten Ort, den es derzeit noch gibt: im Kopf.

Gut! Nun steht man da wie ein etwas ratloser Seminarleiter, der nicht so recht weiß, wie er mit dem eigentlichen Thema anfangen soll. Ich hab’s: Nachhaltigkeit im eigenen Leben! Da kann doch sicher jeder schon etwas erzählen oder? 


Bio-Milch vom Nachbarbauern

Stolz zeigt man auf und berichtet: Wir holen unsere Milch seit Jahren nur noch frisch vom Bio-Bauern. Unpasteurisierte Milch ist sowieso viel gesünder, probiotisch und so, also ist man sich das schuldig. Und wenn man erst an die vielen Verpackungen denkt, die damit eingespart werden! 

Leider hält diese Milch auch im Kühlschrank nur zwei Tage lang, dann ist vom Genuss eher abzuraten. Muss man halt wieder fahren. Wir machen das immer abwechselnd, um sechs Uhr morgens, also am Montag ich, am Mittwoch sie, am Freitag wieder ich und so weiter, bei jedem Wetter, das ganze Jahr. 

Aber natürlich mit dem Rad! Wo denken sie hin? Ein Weg etwa dreißig Minuten. Leider hat der Bio-Bauer für das Gemüse um halb sieben Uhr noch nicht offen, also fahren wir einmal in der Woche auf 19 Uhr dorthin (früher geht es nicht wegen der Arbeit). Und, ja, wir gönnen uns gelegentlich auch Fleisch. Aber natürlich nur vom Bio-Metzger im nächsten Ort, mit dem Rad etwa in einer Stunde erreichbar. Wir fahren eh nur alle zwei Wochen, meist am Sonntag, wir essen nicht viel Fleisch. 

Küchenrollen gibt’s nicht mehr, selbstgehäkelte Woll-Tüchlein tun’s auch, die Wäsche wird mit Ross-Kastanienpulver gewaschen, natürlich alle Kastanien selbst im Herbst gesammelt und nach Hause geradelt, Plastiktaschen haben wir ausgemerzt und durch Leinensäcke ersetzt, und der Balkon dient mit Ausnahme schmaler Betreuungsgänge dem Anbau von Gemüse.


Ohne Handy geht es nicht!

Ob wir ein Handy haben? Ja schon, wir müssen, beide, und auch jeder von uns muss einen Laptop haben, wegen der Arbeit. Das kann man leider nicht verhindern. 

Also unterzieht man sich weiterhin den selbst auferlegten Mühen eines höchst partiell nachhaltigen Lebens, während man gezwungen ist, die grössten Umwelt- und Nachhaltigkeits-Schweinereien beizubehalten. 

Dabei muss man Acht geben, dass die Schlagwörter Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit, die heute immer öfter im Diskurs zur Nachhaltigkeit auftauchen, nicht zu einer Umkehrung des Verursacher-Prinzips führen, und dass einen plötzlich jene beschimpfen und von einem fordern, die eigentlich für die Umsetzung von Nachhaltigkeit zuständig wären, nämlich Politiker – und nicht wenige ihrer Wähler!

Apropos: Man könnte ja auch mal so richtig herzhaft etwas anderes wählen! Aber komischerweise fällt man dann, wenn die Angst so groß geworden ist, dass sie das Gehirn vernebelt, immer auf die gleiche Seite, nämlich auf die Seite derer, von denen einem der schlichte Hausverstand sagen sollte, dass genau DIE am allerwenigsten tun werden, um die nötigen Änderungen mit der nötigen Entschlossenheit und Umsicht anzugehen.


Das Dogma des Wachstums

Es scheint, dass Nachhaltigkeit von den meisten lediglich als lästig und nur als Angelegenheit einer wirtschaftlichen Umstellung betrachtet wird, unter Beibehaltung des sakrosankten Dogmas des ewigen Wachstums. Das eskalative Denken hat in unserem Hirn Platz gegriffen. Dabei ist Nachhaltigkeit in erster Linie ein politisches Konzept, somit ein Konzept, das alle Lebensbereiche umfasst und dringend zu Ende gedacht werden sollte – auf welche holprigen bis tragischen Arten und Weisen auch immer.

Wir können ja nicht einmal im Alltag zu den einfachsten Dingen nein sagen. Nein sagen, wie obstruktiv! Nein sagen, wie unsozial! Wie sollte man da erst recht etwas anderes wählen? Wir haben zwar noch freie, gleiche und geheime Wahlen, aber wer weiß. . . denn wir werden fürs Angepasst-Sein, fürs Weitermachen bezahlt. Ja, fast alle, mit Ausnahme von ein paar Teilzeit-Aktivisten, werden fürs Weitermachen bezahlt. Und auch diese werden sich eines Tages überlegen müssen, ob sie nun für immer in Teilzeit weitermachen wollen oder vollberuflich einer Organisation beitreten, die sie – genau: fürs Weitermachen bezahlt. 

Und auch die Politiker werden fürs Weitermachen bezahlt, und das geht am leichtesten, in dem man so weitermacht, wie bisher. Nur Leute, die so reich sind, dass Weitermachen oder nicht für sie keine Kategorie darstellt, sind davon theoretisch ausgenommen. 

Der so genannte Untergang kommt, und es müsste die größte Transformation vor allem in der Verdrahtung im Kopf werden, der die menschliche Zivilisation jemals unterzogen wurde, gleich, wie gesteuert oder ungesteuert die Änderungen erfolgen werden. Diesmal geht’s nicht mehr entlang der altvertrauten Wege. Kein Heiliger Frühling mehr, alles ist schon besetzt oder kaputt oder zugeschissen oder alles zugleich!


Was hinterlassen wir?

Doch blenden wir zurück zum Seminar. Da wurde vom Leiter soeben die interessante Frage gestellt, was wir Jetzigen den Nachmaligen möglicherweise an großen Konzepten hinterlassen könnten. Betretenes Um-Sich-Schauen. Etwa den Kapitalismus und sein geistiges Finale, die allumfassende Eskalation jeder Sache? 

Halten wir unsere Nachfahren, die ja auch so schon nicht zu beneiden sind, auch noch für ganz blöd? Also, was sonst noch? – ermuntert der Seminarleiter. 

Ökologisch intakter Planet, nachhaltige Wirtschaft? Aber wäre es nicht nur noch zynisch, das, woran man selbst kläglich gescheitert ist, den kommenden Generationen ins Pflichtenheft zu schreiben? Das werden die ja sowieso am eigenen Leib erfahren, da brauchen wir uns nicht auch noch aufzuplustern und den Zeigefinger zu heben. Mögen sie unseren Gebeinen am Friedhof Ruhe gönnen. 

Also: Was haben wir Bisherigen scheinbar mit guter Planung und Fleiß geschafft und geschaffen, während wir das pure Glück, das wir bei so vielen unserer Unternehmungen hatten, geflissentlich übergehen oder höchstens in einem Nebensatz erwähnen? Was haben wir seit der Auflösung des Heiligen Römischen Reichs Tolles in die Welt gesetzt, das unseren Nachfolgern als Leitbild dienen könnte?

Krankenversicherung? Pensionsversicherung? Sozialhilfe? Therapie-Anstalten? Krankenhäuser? Forschung? Bildungseinrichtungen? 

Alles gut, aber eingespannt in welches System des Wirtschaftens und Denkens? Also doch alles falsch und alles verkehrt? Wieder legt sich verlegene Stille über den Raum. Was soll man angesichts eines so grundlegend irrigen Ansatzes auch noch sagen? 

Aber da zeigt unerwartet jemand auf und führt kurz aus, dass auch Westrom an seinem Bankrott alles andere als unschuldig war. Die Römer konnten nämlich auch in Zeiten höchster Bedrohung einfach nicht von ihren liebsten Tätigkeiten lassen, nämlich ständig irgendwelche Usurpationen anzuzetteln, die man dann, als hätte man alle Zeit der Welt, am Schlachtfeld Römer gegen Römer entschied (während sich die Barbaren am Reich bedienten), oder den Kaiser zu vergiften, und natürlich vor allem die fähigsten ihrer Feldherrn durch Intrigen kaltzustellen oder am besten gleich zu ermorden. 

Eigentlich strohdoof, möchte man meinen. Man hört ein wenig Glucksen und Lachen. Trotzdem diente dieses Rom, so weiter ausgeführt, auch nach seinem Kollaps über mehr als 1000 Jahre lang als bewundertes und angestrebtes Vorbild.

So findet das Kurzseminar Untergang 3 doch noch einen heiteren Ausklang. Es verbleibt die diffuse Hoffnung, dass die nachfolgenden Generationen aus unserem Saustall, den wir da angerichtet haben, tatsächlich etwas Erhaltens- und Entwicklungswertes herauszufiltern imstande und dass sie auch fähig sind, manch anderes möglichst für immer zu den Akten zu legen. 

Soferne sie noch die Gelegenheit dazu haben.

Vertiefende Lektüre:
https://de.wikipedia.org/wiki/Warnung_der_Wissenschaftler_an_die_Menschheit

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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