Corvus Kowenzl
Universität, fein zerschrotet auf Landschaft
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 24
Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.
Ein europäischer Kaiser oder König, der etwas auf sich hielt und der Welt beweisen wollte, dass er mehr konnte als nur in Schlachten Schädel zu zertrümmern, gründete eine Universität oder, falls bereits vorhanden, förderte diese nach finanziellen Kräften. Oder gründete gleich noch eine.
Denn bereits sehr früh nach der Einrichtung der Sorbonne zeigte sich, dass Universitäten hervorragende Objekte für die Renommier-Spielchen der Mächtigen waren. Zudem waren sie praktisch.
Man hatte führende Experten der drei Ur-Fakultäten Theologie, Jus und Medizin im Lande, die man diskret im Hintergrunde um fachlichen Beistand anrufen konnte, und sie stellten sicher, dass die Ausbildung der nächsten Generation von Geistlichen, Rechtsgelehrten und Heilkundigen nach strikt festgelegten Kriterien erfolgte.
Die allgemeine Lehrordnung spätmittelalterlicher Universitäten liest sich genauso pedantisch, bis ins kleinste Detail gehend, wie entsprechende moderne Texte. Ein Beweis, dass die Evolution des menschlichen Gehirns seit dem Erscheinen des Homo sapiens vor über 100.000 Jahren irgendwo in den Savannen Afrikas verlässlich stillsteht.
Immerhin hatten die alten adeligen Gründer drauf geachtet, dass eine Universität auch in einem entsprechenden Umfeld beheimatet war, sprich einer Stadt von Bedeutung: Paris, Bologna, Warschau, Rom, Prag, Wien, Madrid, Stockholm oder Moskau.
Nachdem die erstrangigen Städte, was Universitätsgründungen anlangte, gewissermaßen aufgebraucht waren, kam vor allem im Spätbarock und während der Aufklärung die zweite Riege an die Reihe: Erlangen, Innsbruck, Urbino, Camerino oder Aix. Danach blieb lange alles dabei. . .
Gutgelaunt fuhr ich in vorschriftsmäßigem Tempo die Autobahn entlang. Es war ein schöner Sommertag, ideal, um Mineralabscheidungen bestimmter Quellen in einem Gebiet in der Nähe der kleinen Stadt Ferneck zu dokumentieren und zu beproben.
Ferneck nahte. Und da stand ein Schild neben der Autobahn: Universitätsstadt Ferneck, ganz offen und frech, und noch dazu in großen Lettern. Das Schild erschien mir neu. Überhaupt war mir neu, dass Ferneck über eine Universität verfügte. Davon hatte ich noch nie gehört.
Ich zermarterte mir den Kopf, doch wollte mir nichts zu einer Universität Ferneck einfallen. Mir schwebte eine Universität vor, wie ich sie von meiner Heimatstadt oder anderen Städten kannte, also mit einem mehr oder weniger alten, ehrwürdig-klotzigen Hauptgebäude, einer mehr oder weniger ehrwürdig-protzigen Zentralbibliothek und weiteren Bibliotheken, und vielen großen moderneren Gebäuden, die alle zusammengenommen eben eine Universität ausmachen.
Auf dem Rückweg nahm ich die Straße durch Ferneck, das ja nicht gerade durch Größe glänzt, und schaute mich rechts und links um. Außer ein paar aufgelassenen Fabriken konnte ich aber nichts erblicken, was einem Universitäts-Komplex auch nur nahe kam.
Zuhause schaute ich auf Google Maps nach. Darin entdeckte ich ein recht unscheinbares Gebäude zwischen zwei Lebensmittel-Discountern und einem Drogeriemarkt, das mit Universität beschriftet war, und zwar unter dem Namen der Stadt, in der meine eigene Universität steht.
Aha, jetzt begann ich langsam zu begreifen. Eine Außenstelle unserer Uni also, die der Stadt, in der diese Außenstelle steht, das Recht gibt, sich als Universitätsstadt zu bezeichnen. Und, je länger ich das bedachte, desto besser konnte ich das Verlangen der Stadtgewaltigen von Ferneck verstehen, sich wenigstens das Etikett Universitätsstadt umhängen zu können. Denn es ist eine sehr kleine Stadt, die noch dazu nicht sonderlich attraktiv ist.
Dagegen hätte wohl niemand das Verlangen, kleinen, aber stinkreichen Wintersport-Dörfern, die für ihre Aprés-Ski Parties berüchtigt sind, das label einer Universität umzuhängen. Das würde auf die spezifische touristische clientèle dieser Dörfer vermutlich eher verstörend wirken. Und wie würde das auch rüberkommen? Wie sollte das bei einem Ort klingen, der nur das Marktrecht hat, zum Beispiel „Universitätsmarkt Hinterstübming“?
Dann lieber noch das Wort Dorf, denn das klingt irgendwie heimelig und zugleich bekommt eine Universität in Verbindung mit einem Dorf einen Hauch von Exzentrik: Universitätsdorf Oschgil. Da fragt man sich dann unwillkürlich: Wie gerät die Uni in ausgerechnet dieses Dorf?
Man fragt sich natürlich weiters, was denn die Uni neben einem Studiengang mit fetzigem Titel im Gegenzug sonst noch von so einem Deal haben könnte. Man kann es nur vermuten. Eine naheliegende Hypothese ist, dass die Miete für die entsprechenden Gebäude recht niedrig angesetzt ist, sozusagen als Preis für das schöne Schild neben der Autobahn. Sofern diese Annahme zutrifft, könnte man behaupten, dass hier ein Studiengang unter finanziell günstigen Bedingungen platziert und hinzugewonnen wurde. . . auch nicht zu verachten.
Derartige Außenstellen einer Universität sind am besten mit einem Studiengang verknüpft, der bis zum Bachelor- oder Master-Niveau reicht. Denn das ist das Ziel der Gemeindegewaltigen: möglichst viele Menschen anzuziehen in der Hoffnung, dass im Orte konsumiert wird und vielleicht sogar ab und zu eine oder einer von 1.000 Studierenden dem sonderbaren Charme der Location verfällt und länger bleiben möchte, möglicherweise sogar zwecks genetischer Auffrischung der einheimischen Bevölkerung.
Um dieses Ziel zu erreichen müssen die entsprechenden Studiengänge natürlich schon vom Titel her attraktiv wirken, keinesfalls darf also ein konventioneller Studiengang Erwähnung finden, wie etwa ein nacktes und fades „Geologie“ oder „Geographie“. Nein, hier müssen Namen her, die sexy sind!
Dabei gibt es mehrere Gruppen, die mit unterschiedlichen psychologischen Ansätzen arbeiten. Zuerst die, die durch das Studium einen Kompetenz-Mix versprechen, mit dem man am Arbeitsmarkt dann sicher weggeht wie eine warme Semmel, etwa Master of Tourism and Environmental Conservation. Dass das bisher stets ein Widerspruch war und auch in Hinkunft bleiben wird, wird bewusst so ausgespielt. Genau das macht den Titel ja so interessant und, wie man hofft, auch für mögliche Arbeitgeber attraktiv.
Ein anderer Ansatz arbeitet mit eher abstrakt gehaltenen Titeln, die durch ihre schwer eingrenzbare Weite eine entsprechende Flexibilität und Breite der Absolventen am Arbeitsmarkt kommunizieren sollen, zum Beispiel Master of Klänge und Befindlichkeiten (Ostalpen).
Hier stellt man sich sogleich eine Absolventin vor, die einerseits durch ihren geschulten Umgang mit Befindlichkeiten eine passende Ergänzung der soft skill division einer Firma wäre, andererseits durch ihre enge Vertrautheit mit Klängen insubordinaten MitarbeiterInnen notfalls auch ordentlich ostalpin den Marsch blasen kann – kurz: die ideale Personalchefin.
Zuletzt der Ansatz über Nischen-Spezialisierung, etwa Bachelor of Microbial Management of Alpine Manures. Hier weiss der potentielle Arbeitgeber gleich: mit der Scheiße im Gebirge kennen sich diese Absolventen bestens aus.
Bleiben noch jene Menschen zu erwähnen, die das ganze zum Leben bringen. Hier sitzen die Lehrenden wie die Studierenden so ziemlich im gleichen Boot. Denn nur die Wenigsten sowohl von den Studenten und erst recht von den Lehrenden (die meistens auch Lehrveranstaltungen an der Haupt-Universität haben) werden dauerhaft in einem Ort vom Format etwa Fernecks bleiben. Sprich, sie pendeln, doch dieser unangenehme Kollateral-Effekt kann immerhin als durchaus erwünschte Mobilität verkauft werden.
Früher hätte man wenigstens noch den räumlichen Vorteil der Auslagerung gehabt, der darin bestand, dass die Kraft des Normativen mit steigender Entfernung abnahm, was wiederum Tendenzen zur Autonomie wachrief. Was geht mich die Zentrale an? Die ist weit weg! Wir hier haben andere Probleme!
Leider hat die weltumspannende ununterbrochene Erreichbarkeit auch diesen Vorteil zunichte gemacht. So bleibt nur, morgens und abends im stinkenden Pendlerzug auf das Display seines Laptop zu starren und Emails zu schreiben und zu beantworten.
Ein wirklich mutiger Schritt wäre übrigens, die Universität gleich ganz zu zerschroten und die daraus resultierenden Stückchen kühn auf der ostalpinen Landschaft zu verstreuen.
Mir schwebt da ein Studiengang á la Master of High Cliffs and Alpine Gravitation vor. Nach der ersten Vorlesung am Morgen, die in einer Außenstelle der Universität auf 2124 m Seehöhe abgehalten würde, müssten die Studenten zur nächsten Lehrveranstaltung übersiedeln, die bereits eine Stunde später beginnt, aber in einer anderen Außenstelle stattfindet, die im angrenzenden Tal auf lediglich 650 m Höhe gelegen ist. Dazu nehmen die meisten den bequemen Paragleiter, die Ästheten dagegen wählen den Drachen und die etwas Verspäteten kommen mit dem Wingsuit.
Am Nachmittag gibt’s dann noch ein Praktikum Alpine Gravitation 1, das in einer weiteren Außenstelle der Universität neben einer Alpenvereinshütte (die sich deshalb natürlich mit dem Titel Universitätshütte schmücken darf) auf 1857 m Höhe. Für den nötigen Aufstieg kann man einen Bergpfad nehmen, oder man baut gleich noch die Durchsteigung einer 700 m hohen Felswand ein.
Nach dem Praktikum erfolgt der Rückweg wie gehabt (also wahlweise Paragleiter, Drachen oder Wingsuit), um dann nach einem wenige Kilometer langen Fußmarsch am Talboden den Bahnhof eines Universitätsdorfes zu nehmen, um von dort mit dem Universitätszug zurück in die Universitätsstadt zu pendeln.
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