Print Friendly, PDF & Email

Corvus Kowenzl
Mein Bürosessel Hansi
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 13

Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.


„S´gott-Arbeitsinschbektorat!“ Mit diesem Ausruf wurde der Kampf um Hansi eröffnet. Hansi: mein Bürosessel, der mich seit Anbeginn meiner Uni-Karriere begleitete, ein eher kleines, unscheinbares, dafür aber bequemes Möbelstück. Jedoch der Reihe nach.

Es war ein ganz normaler Wochentag. Ich saß vor dem Computer und war mit Emails beantworten, Emails schreiben, online-Administration-Erledigen und damit beschäftigt, Leute vielleicht doch noch am Telefon zu erreichen die per Email wegen Überlastung nicht mehr erreichbar sind oder nie waren – da flog die Türe auf: „S´gott-Arbeitsinschbektorat!“ hörte ich hinter mir.

Entgeistert drehte ich mich um:
„Was?“
„Arbeitsinspektorat“, wiederholte nun ein Herr in mittleren Jahren. Er stand in die Türöffnung gelehnt, die Rechte an der Klinke und schaute leicht vorgebeugt in mein Büro herein, wie in eine einsturzgefährdete Höhle, die man besser nicht betritt. Er ließ seinen Kennerblick von oben nach unten schweifen.

Dann sagte er unvermittelt:
„Dieser Sessel!“
Er meinte Hansi.
„Was ist damit?“ fragte ich, immer noch ein wenig baff.
„Wie können Sie auf diesem Sessel sitzen?“
„Äh. . . tja. . . das geht ganz gut, ich sitze schon seit vielen Jahren darauf. Der ist OK so, der ist sehr bequem,“ so meine Antwort.
Es entstand eine kurze Pause. Er schaute mich ein wenig nachsichtig an, dann sagte er: „Sie kriegen einen neuen!“
Sofort ahnte ich Ärger.
„Ich brauche keinen neuen Sessel, ich will keinen neuen, für mich ist genau der gut,“ erklärte ich abwehrend nochmals.

Er schaute mich an mit einer Miene, die etwa meinte ‚Schon klar, das sagen sie alle, aber warten se mal, bis sie den neuen Sessel haben.‘
Er richtete sich auf. Mit einem leichten gönnerhaften Grinsen, sich seiner zukunftsweisenden Mission voll bewusst, nickte er:
„Sie kriegen einen neuen! Wiederschaun.“
Bumm, und draußen war er.

Ich starrte noch eine kleine Weile vor mich hin angesichts dieser leicht surrealen Szene, dann wandte ich mich wieder ans Emails beantworten, Emails schreiben, online-Administration-Erledigen und daran, Leute vielleicht doch noch am Telefon zu erreichen, die per Email wegen Überlastung nicht mehr erreichbar sind oder nie waren.

Wochen vergingen und ich hatte den Vorfall inzwischen vergessen. Eines Morgens jedoch betrat ich fröhlich summend wie stets mein Büro und sofort sah ich: Hansi war weg!

Stattdessen stand an seiner Stelle ein schwarzes Monster. Zuerst stand ich eine kleine Weile verunsichert da, dann schlich ich mich etwas näher. Es bewegte sich nicht. Tausend Gedanken schossen fast gleichzeitig durch meinen akademischen Elitekopf. Hat er Hansi etwa gefressen? Ich schaute am Boden umher, ob ich vielleicht noch irgendwelche kleinen Reste von Sitzpolster-Bezug oder Plastiksplitter sehe. Doch der Boden glänzte, frisch gewischt von unserer lieben Putzfrau. Vermutlich haben sie sich alle Mühe gegeben, die Spuren zu beseitigen, die vom Allgemeinen Personal stecken doch sowieso alle unter einer Decke gegen uns, die einsamen Forscher.

Ich unterdrücke meinen aufkommenden Weinkrampf und beschließe, mich der Situation rational zu nähern, und außerdem gilt noch immer das Gebot zur Toleranz. Vielleicht ist dieses schwarze Monster in Wirklichkeit ein netter Sessel? Das Gewissen beginnt mich zu drücken. Wie konnte ich nur so vorurteilsbelastet reagieren? Gib ihm doch erstmal  eine Chance. Und vielleicht hat er Hansi auch gar nicht vermampft, sondern ist ein friedfertiger Zimmerpflanzenfresser. Ich gehe leicht gebückt noch ein Stückchen auf ihn zu.
„Na du?“ sage ich mit leicht gespitzten Lippen, „ich bin der Corvus.“
Gut möglich, dass er jetzt plötzlich auf mich losfährt und beißt. Aber er bleibt still. Ja, er scheint ein guter Sessel zu sein. Und natürlich schaut er schon beeindruckend aus, nicht so fippsig wie der alte Hansi, sondern ein ordentlicher Chefsessel, ein Thron mit breiter hoher schwarzer Rückenlehne.

Vor meinem geistigen Auge sehe ich, wie es auf die Eintretenden wirkt, wenn sie von hinten nur auf diese breite schwarze Lehne schauen.
„S´Gott, Herr ‚Fessor. . . “ und es bleibt das Wort im Halse stecken, bis die schwarze breite Lehne kühl antwortet:
„Ja bitte?“
„Also, äh. . . ich möchte. . .ja. . . äh. . .“
„WAS möchten sie?“ und ich wirble herum, mit strengem Blick über den Brillenrand und gesäumt von der mächtigen schwarzen Lehne – ja, dieses Monster scheint richtig was herzugeben.

Ich schalte nun den Computer ein, ziehe den Mantel aus und setze mich auf das schwarze Monster. Die Sitzfläche erscheint mir sofort zu hart. Im Stillen schelte ich mich: Hansi hat dich verweichlicht. Aber der Rücken, ja, der wird schön aufrecht gehalten durch eine spezielle Formung der Lehne, und die Arme finden Stütze, jeder auf einer breiten Armlehne. Irgendwie kommt mir diese Haltung doch aus der Kunstgeschichte bekannt vor. Jetzt fällt es mir ein: die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation sind so auf ihrem Thron gesessen: Rücken durchgestreckt, die Unterarme auf den Armstützen liegend, ein Bild unantastbarer Würde.

Ob die damals auch Emails schreiben mussten? Ich beschließe, zum Praxistext zu schreiten und meinen Arbeitstag zu eröffnen, also Emails beantworten, Emails schreiben, online-Administration erledigen und Leute vielleicht doch noch am Telefon erreichen, die per Email wegen Überlastung nicht mehr erreichbar sind oder nie waren. . .

. . . nach etwa fünf Minuten möchte ich unwillkürlich meine Sitzhaltung wechseln. Doch es geht nicht. Das schwarze Monster lässt nur eine Haltung zu, die es anscheinend für die ergonomisch einzig wahre hält. Es erinnert dich fortwährend: sie sind der Chef, sie haben allzeit stramm und aufrecht zu thronen, und wir wissen, was gut ist für sie.

Ich versuche, den Sessel an den vielen abstehenden Hebeln und Schrauben anders einzustellen, doch das macht die Sache sofort nur noch schlimmer. Mit einigem Probieren und mit ein wenig Glück bekam ich ihn dann wieder wenigstens in die Ausgangsposition zurück. Also, durchhalten, ich werd‘ mich schon gewöhnen. . .
. . . nach einer weiteren Viertelstunde und dem ersten Krampf in beiden großen Rückenmuskeln (Musculus sacrospinalis) gab ich auf. Nein, es geht nicht, dieses komische schwarze Unding ist schlichtweg ganz und gar unbequem. Hansi muss wieder her.

Erstmal die Sekretärin fragen. Sie hatte noch gesehen, wie drei Männer ihn zusammen mit anderen Sesseln in einen großen Möbelwagen packten. Aha, eine Massendeportation also. Wohin gehen die üblicherweise? Tja, da war selbst die einzig Mögliche überfragt.

Jetzt war kriminalistischer Spürsinn angesagt, jetzt galt es, die richtigen Fragen zu stellen und aus den Antworten die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Ich überlegte kurz, dann fragte ich sie: Wer koordiniert bei uns eigentlich diese Möbelaustausch-Aktionen? Ich bekam einen Namen, und machte mich an die Arbeit. . .

Nach zwei Tagen hatte ich mich soweit durchgefragt, dass ich an der richtigen Person angekommen war: er musste wissen, wo Hansi ist, er muss ihn als letzter gesehen haben, vielleicht sogar als letzter mit ihm Umgang gehabt haben. Soviel hatte ich schon erfahren, dass Hansi zusammen mit den anderen in eine Lagerhalle am westlichen Stadtrand gebracht worden war.

Nun stand ich vor dem grobschlächtigen Kerl, der die An- und Ablieferung zur Halle beaufsichtigte. Zuerst versuchte ich es auf die dreiste Art und ging einfach an ihm vorbei.
„Halt, wo wollen sie hin, haben sie eine Berechtigung?“ lief er mir gleich nach.
„Ach so, ich wusste nicht, dass man sowas braucht,“ sagte ich.
„Haben sie eine Berechtigung?“ fragte er wieder.
„Hören sie, ich suche meinen alten Bürosessel, mehr will ich nicht, und ich weiß, dass er in diesem Lager sein muss.“
Zuerst schaute er mich nur leer an, dann sagte er:
„Geht nicht. Ohne Berechtigung kommt hier keiner rein. . . einen alten Bürosessel, ts ts.“
„Sie können ja gerne mitkommen, ich tu sicher nichts schlimmes hier, ich will nur meinen alten Bürosessel wiederhaben,“ sage ich.
„Woher denn“, brummt er und breitet eine seiner Pranken aus, um mich hinauszuleiten. Vorsichtshalber folge ich dem.
„Hören sie, ich kann ohne diesen Sessel nicht arbeiten, er wurde mir gegen meinen Willen genommen, aber was sage ich? – hinterrücks gestohlen wurde er, ohne meine Einwilligung, ein klarer Fall von Bürosessel-Kidnapping, hier liegt ein Verbrechen vor, dessen Aufklärung sie behindern, falls ich weiterhin diese Halle nicht betreten darf, “ rede ich auf ihn ein.
„Buaahhh“, seine halb gebrummte halb gerülpste Antwort.

Was sollte ich tun? Kurz geht mir eine Tatort-Szene durch den Kopf, in der ich der heldenhafte Rächer bin: ich packe ihn unvermittelt mit eisernem Klammergriff beim Kragen und halte ihm ein aufgesprungenes Klappmesser vors Gesicht: „Hör zu, du Kröte, du führst mich jetzt ganz brav zu meinen Hansi oder ich verpass dir eine Schönheitsoperation, dass dich deine Mami nicht mehr kennt! Na los!“

Diese Lösung scheitert jedoch daran, dass: (a) ich im Augenblick kein Klappmesser bei mir habe, (b) es mit dem eisernen Klammergriff nicht so weit her ist, (c) ich solche Umgangsformen vorher mehrmals üben müsste, um sie mit der nötigen Eleganz vorzutragen. Also nix.

Inzwischen sind wir wieder am Ausgang, einem kleinen Wärterhäuschen mit Schranken. Dort steht wartend ein LKW. Ich schaue zum Fahrer hinauf. Es ist einer vom Allgemeinen Universitätspersonal! Wir kennen uns, zwar nur vom Sehen, aber wir kennen uns. Ich springe auf ihn zu:
„Hören sie, ich weiß, dass da drinnen mein alter Bürosessel ist, und ich muss ihn wiederhaben, verstehen sie, ich muss, meine Karriere hängt dran. . . helfen sie mir!“
Der Fahrer schaut zum Hüter des Eingangs, der nur die Achseln zuckt (ein Irrer, was soll ich tun?), dann ruft er:
„Den kannst reinlassen, den kenn ich, der ist harmlos.“

Also fand ich Einlass. Aber wo suchen? Die Halle ist sehr groß. Lange ging ich die Reihen auf und ab. „Hansi, Haaansi!“ Endlich hörte ich es leises winseln. Ich folgte ihm, und da lag er, lieblos zu Boden geworfen und mit breitem Klebeband gefesselt. Doch er schien unverletzt.
„Hansi, Hansi“, ich umarmte ihn. Sogleich riss ich das demütigende Klebeband weg und trug ihn hinaus, ans Licht, an die Sonne. Von jetzt an werden wir unzertrennlich sein. . .

. . .doch das schwarze Monster, diesen Folterstuhl, den habe ich noch immer im Büro. Es ist mein Sessel für Leute, die ich nicht leiden kann.

Es schaut immer sehr beeindruckend aus, wenn ich Besuchern mit eleganter Gebärde den Platz anweise. Bei den meisten dauert es etwa fünf Minuten, die Trainierteren halten etwas länger durch, bevor sie sich ganz unwillkürlich zu winden und drehen beginnen. Es wirkt immer wieder.

Ich dagegen sitze ganz bescheiden auf meinem kleinen, spartanischen, aber unglaublich bequemen guten alten Hansi und ziehe, bei besonderen Gästen, so manche Besprechung genüsslich in die Länge

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

Schreibe einen Kommentar