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Corvus Kowenzl
Danach
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 30
Ende des Fortsetzungsromans

Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.


Etwa im letzten Fünftel meiner allerletzten Amtsperiode mehrten sich die Zeichen, dass mein Thron nun ernsthaft gefährdet ist. Ein Usurpator – jung, dynamisch und beängstigend effizient – drängte heran, mischte sich immer öfter mit Wort und Tat ins Geschehen, wollte offensichtlich führen, wollte nach ganz oben.

Die übrigen Institutsmitglieder, also die, die heutzutage als Mitarbeiter bezeichnet werden, verhielten sich angesichts dieser Entwicklung enttäuschend neutral anstatt mir durch spontane Unterstützungs-Demonstrationen und Hetz-Kampagnen in den sozialen Medien weiterhin den Platz an der Sonne zu sichern.

Das hat man nun davon! Da reibt man sich viele Jahre lang selbstlos für das Wohl des Instituts und ebendessen Mitarbeiter auf – und dann nur eine derartig lauwarme Reaktion. Hm . . . habe ich vielleicht etwas falsch gemacht? Habe ich sie etwa durch meine gütige Regierung verzärtelt, sodass sie nicht mehr wissen, wie man harten Widerstand leistet?

Ich hätte sie vielleicht manchmal doch strenger führen sollen. Ja, das ist es: ich war viel zu gut mit ihnen. Aber bitte sehr! Wenn sie es so wollen, dann sollen sie es haben. Die sollen nur sehen, was sie an mir gehabt haben. Sollen sie ihren Neuen doch haben. . . ich jedenfalls werde, während mir dann ihre Klagen in den Ohren gellen, jedesmal nur hintergründig lächeln.

Keinesfalls werde ich mich als einer von diesen gar nicht so seltenen akademischen Klein-Diktatoren erweisen, die das Ende ihrer Institutsleiterschaft für alle sichtbar einfach nicht verwinden können, indem sie so tun, als hätte gar kein richtiger Wechsel stattgefunden und dem Nachfolger oder der Nachfolgerin Informationen verweigern und keine Gelegenheit auslassen, bei den anderen Kollegen gegen den oder die neue zu ätzen: Das passiert bei mir nicht, da könnt ihr euch sicher sein. . . aber ich hab ja jetzt nichts mehr zu sagen . . . ihr habt euch so entschieden . . . etc. etc., was die Diffamierungs-Kiste nun mal so zu bieten hat.

Nein, ich mache das ordentlich! Ich spare mir alle hämischen Bemerkungen und lade meinen dynamischen Nachfolger eine Woche vor dem Ablauf meiner Funktion zu einem offiziellen Übergabegespräch ein, in dem ich ihm neben den nächsten anstehenden Aufgaben vor allem die absoluten Basics jeglichen Institutsleitertums seit der Zeit des Königs Salomo erkläre:

(1) Versuche nie, die Instituts-Sekretärin zu erziehen. Es ist vergeblich.

(2) Don’t mess with the budget.

(3) Sei gütig und langmütig. Sonst hast du bald deinen ersten Herzinfarkt.

Und, ach ja, ich überreiche ihm auch die Entsperrungs-Codes und zeige ihm als letzte Stufe der Einweihung den geheimen Ort des Roten Knopfs für die Selbstzerstörung des Instituts. Korrekter kann man es nicht machen. Das bin ich mir schuldig.

Montag morgen. Der erste Tag, an dem ich wieder nur ein einfaches Institutsmitglied bin. Zumindest offiziell, denn natürlich bin ich drauf gefasst, dass er bald vor meiner Tür stehen würde, mein Nachfolger, um meinen Rat und meine Expertise als altgediente Führungsperson einzuholen.

Ich muss zugeben, ein bisschen freue ich mich auch auf meine neue Rolle als väterlicher Ratgeber. Nach jeder Frage lehne ich mich ein wenig zurück, schaue schräg nach oben beim Fenster hinaus und beginne erstmal ganz weit hinten bei den Anfängen, damals, als der Nachfolger noch gar nicht am Institut war, um dann einen weiten Bogen zum Hier und Heute zu spannen, bis der Vortrag dann in einem kurzen Allerwelts-Ratschlag kulminiert.

Das Schöne daran: Die Umsetzung kann ich getrost meinem Nachfolger überlassen, ich brauche mich nicht mehr um die operativen Details zu kümmern. Endlich kann ich auch an den subtilen Freuden des Konsulententums mitnaschen.

Fröhlich und voller Tatendrang wie stets schalte ich meinen Computer ein, in Vorfreude auf einen weiteren Tag von Emails beantworten, Emails schreiben, Online-Administration erledigen und damit beschäftigt sein, Leute vielleicht doch noch am Telefon zu erreichen die per Email wegen Überlastung nicht mehr erreichbar sind oder nie waren.

Ich lasse mich in meinen geliebtenBürosessel namens Hansi fallen (vor zwei Monaten haben wir übrigens Goldene Hochzeit gefeiert) und öffne die mailbox. Ganze 5 (in Worten: fünf) Nachrichten. Ein totaler Witz, das! Und von diesen fünf sind noch zwei spams, die übrigens drei fallen alle in die 30-Sekunden Kategorie, also Nachrichten, die binnen etwa 30 Sekunden völlig hinreichend beantwortet sind.

Ich vermute einmal, da gibt es ein Problem beim Uni-Server. Die werden sicher schon dran sein, das wieder hinzukriegen. . . gut . . . also . . . aber was ich denn inzwischen, bis alle Nachrichten reingekommen sind? Genau, ich werde endlich mal mein Büro aufräumen! Man hat sonst ja nie Zeit dazu. Es sieht in meinem Büro zwar nicht definitiv unordentlich aus, aber noch ein wenig ordentlicher kann nicht schaden.

Ich stehe also auf und beginne mit dem Werk. Ich ordne einige Bücher auf einem großen Bücherbord um, ruckle Erinnerungsstücke (meistens irgendwelche Gesteine oder Fossilien) ein wenig zurecht und lande schließlich bei meinem Aktenablage-Schrank.

Im letzten Jahrtausend, als dieses Institut neu errichtet worden war, waren diese Schränke hochmodern. Ich ziehe die Schubfächer heraus, auf denen Stapel von fossilen Formularen liegen, die heute kein Mensch mehr verwendet. Ich kalkuliere kurz: sollte ich diese Formulare dem Institut für Verwaltungs-Archäologie übergeben? Aber vermutlich haben die alle diese Typen schon. Außerdem, wenn ich an die ganzen Formalien einer korrekten Übergabe denke. . . zudem müssten die ja auch überhaupt ein Interesse dran haben.

Während dieser Überlegungen bleiben meine Blicke immer öfter an dem einen oder anderen Formular hängen. Ich werde nostalgisch. Mein Gott, damals. . . Ja, und hier, eine Kostbarkeit: ein Investitions-Rückstellungsformular! Das war gefürchtet, weil es so kompliziert war und im ersten Anlauf fast immer falsch ausgefüllt. Das fütterte einen regen Hauspost-Verkehr, wenn die Finanzabteilung die falsch ausgefüllten Formulare wieder zurücksandte. Zumeist ohne Kommentar, was mindestens ein Telefonat mit der entsprechenden Stelle nötig machte. Wenn man sich dabei freundlich, devot und kollaborativ zeigte, dann bekam man das Formular das zweite Mal mit einem Schwindel-Zettelchen zurück, auf dem stand, was man wo einzutragen hätte.

Oder hier, das Formular zur Remuneration der ausservertraglichen Aufenthalts-Aufwendungen von nicht habilitiertem, externen Lehrpersonal aus dem Nicht-EU Ausland (außer Sri Lanka). Hier lag die Schwierigkeit eher darin, dass man dieses Formular so selten ausfüllen musste und dass darauf wenige, dafür eher exotische Kategorien korrekt zu befüllen waren.

Schon dachte ich, den Formularstapel weiter abtragend, dieses letzte Formular wäre nicht mehr zu toppen, da fiel es mir in die Hand: ein Schriftliches Prüfungsformular – eine archäologische Sensation!

Dieser Fund wird unser Bild vom akademischen Alltag gegen Ende des letzten Jahrtausends revolutionieren – so sehe ich es zumindest vor meinem geistigen Auge in einer Fernseh-Doku angekündigt. Man wird mich natürlich zu den Fundumständen interviewen. Ich werde mir dazu eine etwas dramatischere Geschichte einfallen lassen müssen als nur „Weil der Uni-Server keine Emails durchgelassen hatte, habe ich meinen Aktenschrank ausgeräumt“ – da werde ich jählings aus meinen Gedanken gerissen.

Ich höre Schritte am Korridor. Ich erkenne den Gang meines Nachfolgers. Jetzt wird er gleich an meine Bürotür klopfen. Ich schaue zur Türe – doch er geht vorüber, ohne auch nur einmal zu klopfen. Tja, auch egal, wird er eben später kommen. Ich schaue auf die Uhr. Oh! Da habe ich doch glatt über all der Aufräumerei volle zwei Stunden verlocht! Jetzt aber ran. An den Computer, an die Emails! Doch erstaunt fahre ich zurück: insgesamt zwei Emails, davon eine spam und eine weitere 30-Sekunden Nachricht. Zwei Emails in zwei Stunden an einem Montag Vormittag! Das kann doch nicht sein! Wo bleiben die Naturgesetze? Verstört sitze ich da und starre vor mich hin.

Da kommt mir ein Gedanke. Mein Nachfolger wird mich sicher etwas fragen wollen, meinen Rat benötigen, ist aber zu stolz, um nachzufragen. Ich kann mir das lebhaft vorstellen. Da ist man jung und voller Tatendrang – und dann rennt man gleich mit voller Wucht in seine erste administrative Falle. Ja, ja, der junge Kollege wird eben auch lernen müssen, seine Kräfte etwas gezielter und in geordneten verwalterischen Bahnen zu entfalten anstatt zu glauben, jede Hürde ließe sich lediglich mit revolutionärem Elan nehmen. Immerhin sind wir hier immer noch in den Ostalpen, und da versteht man sich seit Alters auf jene Verwaltung, die so richtig nach Verwaltung schmeckt. Ich gehe also zum Büro meines Nachfolgers, klopfe an und öffne die Türe.

„Hallo“, sage ich, „wollte nur mal fragen wie es läuft.“
„Morgen“, ruft er freundlich zurück, „du, alles läuft gut, alles aufgespurt. Die Kommission für die Laufbahnstelle ist fertig zusammengestellt, das neue Curriculum ist unter Dach und Fach und liegt zur Bewilligung beim Senat, und die Sicherheitsvorschriften für die Labors habe ich gemeinsam mit dem Arbeitsinspektorat überarbeitet. Danke, dass du mir alle Unterlagen schon vorab gegeben hast, dann konnte ich das alles gleich erledigen.“
„Ah. . . gut“, ich, etwas überrumpelt nun, „. . . äh, brauchst du noch was . . .willst du noch was wissen?“
„Nein, ich wüsste nicht. . .vorläufig wenigstens,“ seine Antwort.
„Ja dann. . . also . . . wenn du irgendwelche Fragen hast . . . mein Büro steht dir jederzeit offen“, sage ich dann noch, „dann, bis bald.“
Er nickt leicht und lächelt und sagt dann halblaut:
„Ja, bis bald“ und wendet sich dann wieder seinem Bildschirm zu.

Als ich zu meinem Büro zurückgehe habe ich so ein komisches Gefühl im Bauch. Irgendwie störte mich sein schräger Blick zum Abschied, und dann noch so ein nachsichtig-mitleidiger Unterton in der Stimme. Nein nein, das bilde ich mir nicht ein! Na schön.

Ab nun werde ich nur noch zuwarten und werde meinen Rat nicht mehr billig feilbieten. Werden schon sehen. Und in der Zwischenzeit sind noch immer keine neuen Emails reingekommen. Verdammt!

Soll solche Ödnis nun das Leben danach sein? Was mach ich denn jetzt nur? Nervös zerbeiße ich mir die Fingernägel, was ich normalerweise nie tue, und starre zum Fenster auf den gegenüberliegenden Uni-Turm hinaus. . . und langsam keimt in mir die Erkenntnis: Tja, ich werde wohl oder übel wieder etwas erforschen müssen.


Ende des Fortsetzungsromans. Mit herzlichem Dank an den Autor für die Zurverfügungstellung seines Originalmanuskripts.

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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