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Elias Schneitter
Ein gutes Pferd zieht noch einmal.
Fortsetzungsroman
Folge 3
Die Kirchturmglocke ist weg!

Zwei Menschen auf der Suche nach etwas Glück. Eine Geschichte, getragen von Elias Schneitters – bei aller kritischen Distanz – warmherziger Empathie für die sogenannten einfachen Leute, denen auch noch unter den schwierigsten Umständen die Möglichkeit eines zuletzt guten Lebens erhalten bleibt.

Hintergrund der Erzählung ist die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Krieg. Die Ehe der beiden Hauptpersonen steht unter keinem guten Stern. Trotzdem stellen sie sich den Fährnissen des Schicksals, getrieben von der Sehnsucht nach einem halbwegs menschenwürdigen Dasein, nach etwas Wohlstand, vor allem aber nach ein wenig Freundschaft und Liebe.


3.Kapitel

Im Jänner 1942 gab es in unserem Dorf eine große Aufregung, weil die Kirchturmglocke vom Kalvarienberg über Nacht verschwunden war. Auf Befehl des Naziregimes in Berlin mussten die Glocken der Pfarrkirche und des Kalvarienberges heruntergeholt werden. Sie sollten zu den Montanwerken in Brixlegg gebracht und dort für die Waffenproduktion eingeschmolzen werden. Allein die Sterbeglocke blieb im Kirchturm zurück. Alle anderen wurden in der Eingangshalle der Kirche für den Abtransport bereitgestellt.

Der Müller Pepi, der auf Fronturlaub in der Heimat war, und mein Großvater hatten den Plan gefasst, die Kalvarienbergglocken vor der Zerstörung zu retten. Die Kirchturmglocken kamen für diese Aktion nicht in Frage, da sie für  einen Transport zu groß und zu schwer gewesen wären. Mein Vater wurde ebenfalls in den Geheimplan eingeweiht und zusammen mit dem Klösn Albert hatte er die Aufgabe, während der Nacht Schmiere zu stehen: der Vater bei Matzlers Bogen, der Klösn Albert oberhalb in der Kirchstraße.

Es war in dieser Nacht grimmig kalt und mein Großvater und der Müller Pepi beförderten das Diebsgut zum Bauernhof von Thomas, dem älteren Bruder meines Großvaters. Dort vergruben sie die Beute in einem vorbereiteten Erdloch im Strohschupfen.

Die nächtliche Aktion sorgte für großes Aufsehen im ganzen Ort. Es gab Verhaftungen und Hausdurchsuchungen, von denen auch mein Großvater betroffen war, aber er hielt dicht. Amtsbürgermeister Wagner stellte ein Ultimatum. Sollten die Glocken nicht innerhalb von drei Tagen zurückgestellt werden, würde auch die letzte verbliebene Glocke, die Sterbeglocke, abgeholt werden. Diese Drohung zeigte aber keine Wirkung. Sie wurde auch nicht exekutiert. Die Sterbeglocke blieb im Kirchturm.

Wenige Wochen danach wurde mein Großvater in einer anderen Angelegenheit von den Behörden einvernommen und schließlich angeklagt. Diese Anklage stand indirekt, wie mein Großvater nach dem Krieg erfahren sollte, mit den verschwundenen Glocken in Zusammenhang. Jetzt ging es um den Vorwurf, illegal Tiere geschlachtet zu haben.

Ein Bekannter aus der Nachbarschaft und glühender Nationalsozialist, der später an die Ostfront kam und in der russischen Gefangenschaft verhungern sollte, hatte Großvater bei den Behörden gemeldet. Die Beweise waren erdrückend. Im Bauernhaus meines Großvaters wurde immer schwarz geschlachtet, was strengstens verboten war, weil alle Tiere und auch die Feldfrüchte gestellt werden mussten. Für jeden Acker musste eine genau bestimmte Menge des Ertrags abgeliefert werden, ebenso wie von jedem Stück Vieh im Stall. Die Tiere waren genau abgezählt. Mein Großvater verwendete die Naturalien nicht nur für die eigene Familie, sondern machte damit Tauschgeschäfte, um Material für die Werkstätte zu bekommen, das er in der Tischlerei benötigte. Nägel, Beschläge und andere Dinge.

Großvater wurde wegen Schwarzschlachtens zu zwei Jahren Haft und einer hohen Geldstrafe verurteilt. Sein großes Glück war, dass er so viele Kinder zu ernähren hatte, da er sonst in ein Konzentrationslager gekommen wäre.

Durch die Verurteilung aufgeschreckt, wähnte der ältere Bruder Thomas die Glocken in seinem Bauernhof nicht mehr sicher und brachte sie, versteckt in einer Mistfuhre, zum Siaßn Stadel in den Flussauen. Er grub sie ein, wo sie nach dem Krieg wieder hervorgeholt und auf den Kalvarienberg zurückgebracht wurden.

Die anderen Glocken der Kirchen kamen alle in die Montanwerke nach Brixlegg. Dort wurden sie zertrümmert und nach Kriegsende zerschlagen wieder entdeckt. Irgendwie entgingen sie der Einschmelzung.

Als mein Großvater Elias Schneitter im März 1971 verstarb und am Zirler Friedhof bestattet wurde, läutete zu seiner Ehre die Kalvarienbergglocke.

Nach der Verurteilung kam mein Großvater ins Innsbrucker Gefängnis in der Schmerlingstraße. Während der Haftzeit arbeitete Großvater in der Tischlerei, und weil er gute Arbeit leistete, war er beim Gefängnisdirektor Dr. Gstättner gut angeschrieben. Darum wurden ihm auch immer wieder Haftunterbrechungen zugestanden, damit er zu Hause nach dem Rechten sehen konnte. Es war offensichtlich, dass mein Großvater kein Schwerverbrecher war und von ihm keine Gefahr ausging.

Die Bekanntschaft mit dem Gefängnisdirektor sollte auch noch nach dem Krieg aufrecht bleiben. In späteren Jahren kam Dr. Gstättner immer wieder auf Besuch in die Franz Plattner-Straße und da erfuhr Großvater von ihm, dass die Verhaftung wegen des Schwarzschlachtens auch in Zusammenhang mit den Glocken stand. Die Polizei war überzeugt, dass mein Großvater seine Hände im Spiel gehabt hatte, ohne ihm etwas nachweisen zu können. Beim Schwarzschlachten war es hingegen eindeutig.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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