Bettina Maria König
Miss Piggy und Jane Austens Geist
Fortsetzungsroman
Was bisher geschah:
Die Landpomeranze Alma sucht, assistiert von ihrer BFF Bea, nach der großen Liebe. Die findet sie weder bei Viktor noch beim charmanten Hallodri Ben. Und schon gar nicht bei ihren Verehrern Pepe, Franz, Luca und Serge. Denn sie will eigentlich nur einen: den Architekturstudenten Julian. Der ist sich aber leider nicht sicher, ob er überhaupt eine Beziehung mit ihr will. Alma flieht nach Wien und heiratet den wohlhabenden Langweiler Franco, der sie zwar anhimmelt, aber niemals angreift. Nicht mal in der Hochzeitsnacht…
Ich stand in der Designerküche Francos – seit zwei Monaten auch meine Küche – und drehte versonnen an meinem Ehering, während ich durch das Fenster ein Paar auf dem Balkon gegenüber beobachtete, das sich intensiv küsste. Ich kämpfte den Neid nieder, der in mir hochstieg, und kehrte in Gedanken zurück.
Zu meinem Auszug aus der WG, der ruckzuck erledigt war; die deutschen WG-Gänse hatten sich sogar angeboten, mir beim Zusammenpacken zu helfen, das allererste Mal in all der Zeit, dass sie sich hilfsbereit gezeigt hatten. Das Motiv war klar: Je schneller ich draußen war, umso eher konnten sie mein Zimmer in Beschlag nehmen. Was ich allerdings nicht übers Herz gebracht hatte, war, meine Wohnung in Innsbruck aufzulösen. Obwohl alles dafür sprach, zumindest rational. Aber ich hing zusehr daran, und mein Bauchgefühl streikte, wenn ich auch nur daran dachte.
Franco hatte mir großzügig ein eigenes Zimmer zur Verfügung gestellt, das ich nach meinen Vorstellungen ummodellieren und einrichten durfte. Ich hatte es mit hellen, luftigen Möbeln ausgestattet, einer Couch, auf der man auch schlafen konnte (was ich auch ab und zu tat), einem begehbaren Schrank für meine ständig wachsende italophile Garderobe und einem antiken, schnörkeligen Schreibtisch.
Geld spielte ja jetzt keine Rolle mehr, und wenn ich meinem Ehemann etwas sicher nicht vorwerfen konnte, dann war das mangelnde Großzügigkeit. Sogar meine Kleiderkäufe waren jetzt keine Angelegenheit mehr, die bei mir einerseits Freude und tiefe Befriedigung über das Erstandene erzeugten, gleichzeitig aber auch schlechtes Gewissen und Angst vor dem so provozierten Loch auf meinem Konto.
Der kleine, altmodische Schreibtisch in meinem Zimmer, den ich in einem Antiquitätenladen aufgespürt hatte, war in den letzten Wochen sozusagen zu meinem Lebensmittelpunkt geworden. Franco belächelte das gute Stück und meinte etwas gönnerhaft, nun hätte ich ja einen Ort, wo ich meine „Geschichtchen“ fabrizieren könne. Ich hatte ihm ein paar davon zu lesen gegeben, und er hatte sie mit „nett nett“ und einem flüchtigen Lächeln quittiert. Das hieß wohl, er goutierte sie. Das war ein gutes Zeichen, war er doch immerhin von Beruf Lektor.
So saß ich nun also in jeder freien Minute auf dem pelzüberzogenen, kuscheligen Stuhl vor meinem neuen Tisch, startete mein Ungetüm von einem Computer und stürzte mich auf meine Geschichten. Ich hatte schon seit Längerem bemerkt, dass sie alle um ein für mich lebenswichtiges Thema kreisten, nämlich die Liebe in all ihren Ausdrucksweisen, und sich langsam zu einem Buch formten – zumindest in meiner Vorstellung. Und das fühlte sich richtig und gut an. Nirgendwo sonst als in meinem Zimmer hatte ich das Gefühl, dass das, was ich tat, tatsächlich einen Sinn ergab.
Denn wenn ich im Hinterkopf vielleicht die leise Hoffnung gehabt hatte, dass meine Heirat mit Franco Herrn Horvath etwas mehr Respekt vor mir abnötigen und vielleicht sogar so etwas wie einen Karrierebooster bedeuten könnte, dann hatte ich mich bitter getäuscht. Er fuhr stoisch damit fort, mich als Melange-Lieferantin und Aus-dem-Weg-Räumerin lästiger niedriger Aufgaben zu sehen. Meine zaghaften Anläufe, ihn um verantwortungsvollere Aufträge zu bitten, wie sie einer Uniabsolventin meiner Meinung nach zustanden, wurden regelmäßig abgeschmettert mit einem lapidaren: „Na gehn’s, glaaben’S echt, Sie san scho so soweit, gnä‘ Fräulein? Oh, sorry – gnä‘ Frau…“ – an diesem Punkt deutete er eine ironische Verneigung an – „nur weil Sie jetzt mit an Lektor verheiratet san? Wirgli net, tut ma laad. Zerscht müssn’S wos lernen. Und dös dauert…“ Er lächelte sadistisch. „Olso: A bissl Geduld, bittschön!“
Franco war mir in dieser Angelegenheit auch keine Hilfe, denn wenn es nach ihm ging, sollte ich überhaupt aufhören zu arbeiten: „Hausfrau ist ein ehrenwerter Beruf, Alma“, wiederholte er gebetsmühlenartig. „Meine liebe Frau Mama ist auch Hausfrau, damit hatte sie immer mehr als genug zu tun, und ich habe es immer so schön gefunden, dass sie sich ganz ihrem Mann und später der Familie gewidmet hat.“ Bei diesen Worten rieselte mir immer ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Ehe und Familie – schön und gut, das wollte ich auch, aber wozu sollte ich denn wohl studiert haben? Um Nur-Hausfrau zu werden?
Apropos Franco: Auch das Leben als verheiratete Frau hatte ich mir anders vorgestellt. Halt so wie die glücklichere Hälfte der Protagonistinnen in Jane Austens Romanen, mit denen ich mich in meiner Dissertation beschäftigt hatte. Die Frauen, die von ihren Männern leidenschaftlich geküsst wurden und vielleicht auch anderweitig beglückt (das erfährt man bei Jane Austen natürlich nicht so explizit).
Mir war dieses Glück bislang noch nicht zuteilgeworden. Franco himmelte mich zwar weiterhin an, aber immer nur von weitem. Ich hatte es nach dem demütigenden Erlebnis in unserer Hochzeitsnacht tunlichst vermieden, das Thema noch einmal anzusprechen, geschweige denn, irgendwelche Aktionen in diese Richtung zu setzen. Und mir war es langsam irgendwie egal, dass wir wie Bruder und Schwester nebeneinander her lebten. Oder vielleicht hatte ich mich auch schon daran gewöhnt.
So legte ich meine ganze Energie in meine Geschichten und mein geplantes Buchprojekt. Ich fühlte mich wie Jane Austen, meine Verwandte im Geiste, und schrieb ganze Nächte durch. Wenn ich dann am nächsten Tag auf meinem Schreibtisch einschlief, war mir das total egal. Sollte Herr Horvath nach mir verlangen, würde mich seine Donnerstimme, mit der er immer schon von Weitem meinen Namen rief, ohnehin rechtzeitig aufwecken. Und versäumen konnte ich in diesem Laden ohnehin nichts. Außer mein Leben.
Eines Nachts war es dann soweit. Ich erinnere mich genau, es war gegen zwei Uhr, im Hintergrund lief Falco mit seinen „Jungen Römern“, weil dieser Soundtrack mich immer beim Schreiben beflügelte. Ich schrieb den letzten Satz meiner letzten Geschichte, tippte mit dem Zeigefinger den letzten Punkt in die Tastatur und setzte noch ein „The End“ unter das Ganze.
Ja, ich weiß, kein Mensch schreibt in einem deutschen Buch „The End“ am Schluss. Aber ich hatte einfach zu viele Hollywoodfilme gesehen, um das nicht zu tun. Dann schaltete ich den PC aus. Während die Maschine langsam und geräuschvoll hinunterfuhr (kann sich jemand von Ihnen noch an dieses Geräusch erinnern?), durchflutete mich Adrenalin. Ich hätte um ein Haar bei Bea angerufen, um diesen wunderbaren Moment, auf den ich im Grunde schon Jahre hinarbeitete, mit jemandem zu teilen, der mir wohlgesinnt war. Zum Glück besann ich mich noch rechtzeitig, dass die Uhrzeit für Telefonate mit jungen Müttern wohl recht unpassend war, deshalb ließ ich das sein und unternahm stattdessen einen Spaziergang in der kühlen Nachtluft, die schon eine Ahnung vom nahenden Frühling in sich trug. Es war schon gegen Morgen, als ich schließlich zum friedlich schnarchenden Franco ins Bett kletterte.
Die nächsten Wochen verbrachte ich damit, mein Werk in ein passendes, sauberes Layout zu gießen, Exposés, Klappentexte und Lebensläufe zu schreiben, wieder zu verwerfen und ein ums andere Mal neu zu verfassen. Endlich stand eine Version all dieser Texte, die meinen Perfektionismus einigermaßen befriedigte. Ich druckte alles in industriellen Mengen aus und schob meine Ergüsse portioniert in Kuverts, die ich zur Post trug. Die Adressaten: alle renommierten Verlage, die ich recherchieren konnte und die mir in den Sinn gekommen waren – außer jenem, bei dem ich gerade mein Dasein fristete. Die Vorstellung, Herr Horvath würde mein Werk in die Finger bekommen und anschließend genüsslich zerpflücken, hatte zu starke Bauchschmerzen erzeugt.
In Folge lebte ich in einer Art freudiger Anspannung, in der ich mehrmals am Tag zum Postkasten am Eingang hinunterlief. Aber es tat sich – nichts. Zumindest zunächst. Franco, der meine wachsende Nervosität und meine vielen Besuche im Parterre sehr wohl registriert hatte, sprach mich irgendwann darauf an. Ich hatte ihn nicht eingeweiht, weil ich mich mit dem Plan trug, ihn mit dem fertigen Vertrag für mein Buch zu überraschen. Oder sogar mit einem gedruckten Exemplar. Deshalb antwortete ich zunächst ausweichend. Aber dann brach es doch aus mir heraus, und als ich geendet hatte, starrte ich ihn gebannt an, in der Erwartung, dass er nun vor Freude und Stolz auf seine überaus talentierte und überaus unternehmerische Frau platzen würde.
Nichts dergleichen passierte. Stattdessen wurde Francos Miene während meiner Schilderungen immer düsterer und verbissener. Schließlich brach er die Stille, die sich nun breitgemacht hatte.
„Alma! Warum tust du denn so etwas, ohne es mit mir abzusprechen?“, sagte er. „Deine Geschichten sind….“ – er suchte nach Worten – „recht nett, aber nicht mehr!“
Ich starrte weiter vor mich hin, jetzt schaute auch ich düster.
„Du blamierst dich damit! Und zwar kräftig! Und mich dazu! Außerdem habe ich dir schon gesagt, du musst wirklich nicht arbeiten! Lass das meine Sorge sein.“
Mir schossen vor Wut die Tränen in die Augen und tausend Gegenargumente in den Kopf, aber ich war nicht imstande, den Mund zu öffnen. Meine Zunge versagte mir den Dienst, und so nannte ich nicht eines davon.
„Glaub mir, meine Schöne“, setzte Franco in versöhnlichem Ton hinzu. Er kam näher, fasste mich am Kinn, schaute mir in die Augen und gab mir dann einen Kuss auf die Stirn.
Ich glaubte ihm nicht, sondern drehte mich am Absatz um und verschwand in meinem Zimmer, das ich erst zum Frühstück wieder verließ. Vielleicht hatte er aber recht mit seiner Kritik an meinen Geschichten, denn genau am nächsten Tag trudelte die erste einer Reihe von Absagen ein. Freundlich, aber bestimmt erklärte man mir, warum mein Romanentwurf nicht ins Verlagsprogramm passe oder dass man bereits das gesamte Programm für das Jahr verplant habe etc. etc. Und das war noch der höfliche Teil der Verlage, die meisten antworteten gar nicht. Meine Stimmung sank mit jedem Brief, der ankam, und noch mehr mit jedem, der nicht ankam.
Da half nicht mal ein langes Telefonat mit Serge, der Geduld einforderte und mir erklärte: „Mach dir nischts drous, allö großen Schriftsteller sindö erstömal verkannt worden. Warum sollte es dirö onders ergähen?“.
Das tröstete mich nun allerdings kein bisschen, und so schlitterte ich in eine handfeste Krise. Mein Leben, so fand ich, machte so keinen Sinn und schon gar keinen Spaß. Ich steckte fest in einer trostlosen Situation, wo nichts so war, wie ich mir das vorgestellt hatte – die Arbeit nicht, meine Schriftstellerkarriere nicht und meine Ehe schon gar nicht. Nachdem ich ein paar Tage lustlos in meinem Zimmer abgehangen hatte, plante ich also zu tun, was Frauen weltweit machen, um sich aus Lebenskrisen siegreich emporzuheben: Powerpflege & Powershoppen. Leider ohne Bea, aber es würde mich trotzdem wieder etwas raufziehen, hoffte ich.
Beim Abendessen kündigte ich Franco an, dass ich mir für den nächsten Tag freigenommen hatte, um mich in Ruhe von Kopf bis Fuß im Kosmetikstudio pflegen zu lassen und danach in meinem Lieblingsshop neu einzukleiden. Franco nickte wohlwollend, sah mich mit seinem üblichen Anhimmel-Blick von oben bis unten an und reichte mir seine Kreditkarte. „Natürlich, auch wenn du sicher nicht mehr schöner werden kannst! Alma, Liebling, du bist die schönste Frau, die ich jemals kennengelernt habe.“ Das meinte er sicher genau so, aber wie sagt man? Ein Kompliment hält dich nachts halt leider nicht warm. Schon gar nicht, wenn der Komplimente-Spender niemals den Arm um dich legt. Ich lächelte schwach – mehr wegen der Kreditkarte als wegen seines Kompliments – und zog mich auf mein Zimmer zurück.
Am nächsten Tag zog ich los und begab mich gleich in aller Früh in die magischen Hände von Helga. Helga war die gute Fee bei „La Laguna bianca“, wo ich mich ab und zu aufmöbeln ließ. So auch heute. Fee Helga startete bei einer Rückenmassage, ging dann über zu einer Gesichtsbehandlung und zauberte mir am Schluss noch die schönsten lackierten Zehen- und Fingernägel in ganz Wien herbei. Solcherart gestärkt begab ich mich noch unter die Obhut von Tommaso, meinem italienischen Friseur, der neben meiner Haarpracht auch immer mein Italienisch auffrischte. Das Ergebnis von Strähnchen – schneiden – föhnen war zutiefst befriedigend und konnte eigentlich nur mehr durch ein Einkleide-Erlebnis getoppt werden. Doch als ich aus dem Salon in die zarte Frühlingssonne trat, hatte ich plötzlich keine Lust mehr auf Shoppen und lenkte meine Schritte heimwärts.
Frisch gesträhnt und geföhnt und entsprechend beschwingt nahm ich die Stufen zu unserem Appartement und sperrte die Tür auf. Überrascht spitzte ich die Ohren – aus dem Schlafzimmer tönte leise Musik. Wie merkwürdig… Es war mitten am Nachmittag, Franco sollte eigentlich bei der Arbeit sein. Ich zog meine Schuhe aus und mein Blick fiel auf die Garderobe. Da hing nicht nur Francos Jacke, sondern auch ein geschmackloser pinkfarbener Mantel aus leuchtendem Satin. Und da hörte ich sie auch schon: kleine spitze Schreie, die aus dem Schlafzimmer kamen. Aus Francos und meinem Schlafzimmer. Unserem ehelichen Schlafzimmer.
Irgendwie hatte ich sofort eine dunkle Ahnung, wer die Urheberin dieser Lustgeräusche war, und hätte es an diesem Punkt eigentlich bewenden lassen können. Aber etwas zwang mich, auf die Türe zuzusteuern und die Klinke hinunterzudrücken. Und da sah ich sie: Miss Piggy, die sich in unserem Ehebett räkelte und weiterhin frivol stöhnte. Über ihr lag Franco, der gerade zu ihr sagte: „Oh Liebling! Gisella! Du bist die sexyste Frau, die ich je kennengelernt habe!“.
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