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Andreas Raffeiner
Brief aus Bozen 3

Turbulente Zeiten

Südtirols politische Bühne im Jahr 2023 gleicht einem ziemlich absurden Theaterstück. Die Sammelpartei, darniederliegend auf dem politischen Sterbebett mit 13 Mandaten, muss nun ihre Selbstverliebtheit ablegen und echte Koalitionsverhandlungen führen.

Doch auf dem politischen Jahrmarkt vor dem Landtag tanzen Demonstranten mit Kerzen und Transparenten, als würden sie auf einem Karnevalswagen durch die Stadt ziehen.

Der bunte Mix von Klimaaktivisten, Liberalen mit Bauchschmerzen und historisch belasteten Tirolpatrioten bildet eine Allianz der Ablehnung gegen eine im Raum stehende Regierungsmannschaft, bestehend aus Vertretern der SVP und einem bizarr anmutenden Ensemble aus Lega, den Freiheitlichen und Fratelli d’Italia.
Auch sie wissen, dass Gespräche noch keine Koalition bilden.

Die Demonstranten lehnen das Angebot ab, am Verhandlungstisch gehört zu werden, als ob Einigkeit in ihrer bunten Vielfalt ein Fremdwort wäre. Jeder scheint sein eigenes politisches Süppchen zu kochen, ohne sich darum zu scheren, ob es überhaupt schmeckt.

Die Forderung nach ernsthafter politischer Beachtung wirkt angesichts der Unklarheit und des Fehlens einer kohärenten Vertretung seitens der Demonstranten fehlplatziert. Es ist in der Tat schön, von seinem Demonstrationsrecht Gebrauch zu machen, aber es wäre für das Anliegen besser, klare Forderungen zu stellen anstatt in einem Lichtermeer der Beliebigkeit zu ertrinken.

Die politische Zukunft Südtirols verdient mehr als ein groteskes Spektakel von Menschen, die mit ihren Kerzen in alle Richtungen wedeln, ohne zu wissen, wohin der Wind sie treibt.


Abwanderung

Auch wenn man in Südtirol insgesamt eine Zunahme bei den Beschäftigten feststellt, ist die Abwanderung von jungen Fachkräften und Akademikern ein ernst zu nehmendes Problem. Die Zahlen des vor kurzem veröffentlichten aktuellen Arbeitsmarktberichtes sprechen Bände.

Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass ein Fünftel der Jugendlichen Südtirol verlässt und bei Gymnasiasten sogar Spitzenwerte von bis zu 35 Prozent erreicht werden. Eines ist somit klar: Die Dringlichkeit des Problems kann nicht beiseitegeschoben oder als unwichtig abgestempelt werden. Die Arbeitslosigkeit bleibt zwar in vielen Betrieben ein Problem, vor allem bei wenig qualifizierten Arbeitskräften.

Parallel dazu gibt es jedoch einen Anstieg der Beschäftigtenzahlen, besonders im Fremdenverkehr. Allerdings betreffen gut 75 Prozent dieses Zuwachses Nicht-Südtiroler, was die Abhängigkeit von externen Arbeitskräften mehr als verdeutlicht.

Die Alarmglocken schrillen; die Risiken dieser Abhängigkeit, insbesondere von besser qualifizierten Personen, muss endlich erkannt werden. Die Konkurrenz um hochqualifizierte Arbeitskräfte ist sehr groß, und während der Tourismus mit Erfolg viele Arbeitskräfte nach Südtirol lockt, gestaltet sich die Anziehung in anderen Arbeitsgebieten um einiges schwieriger.


Minderheitenschulen

Eine internationale Tagung an der Freien Universität Bozen beschäftigte sich mit Minderheitenschulen im fremdsprachigen Umfeld. Hierbei betonten Experten die steigende Relevanz des Schutzes von Minderheitenschulen auf internationaler Ebene.

Das Südtiroler Schulmodell wurde als vorbildhaft, aber auch als einzigartig eingestuft. Demzufolge sind internationale Regelungen begrenzt ableitbar. Die Teilnehmer diskutierten auch über rechtliche Vorgaben und präsentierten Beispiele aus dem Ausland, darunter erfolgreiche Schülerinitiativen gegen Schul-Segregation in Bosnien-Herzegowina.

Die Debatte konzentrierte sich ebenso auf die Zukunft des einsprachigen Südtiroler Schulmodells, wobei einige die Beibehaltung unterstützten, während andere großzügigere Schulversuche befürworteten.

Die abschließende Podiumsdiskussion betonte individuelle Erfahrungen und Herausforderungen durch die Migration für Minderheitenschulen. Einige bekräftigten dabei die Dringlichkeit, den muttersprachlichen Unterricht zu stärken und gemischtsprachige Experimente zu vermeiden. Diese könnten nämlich auf Kosten der Minderheit gehen.


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Andreas Raffeiner

Geboren 1979 in Bozen und dort wohnhaft, 1996-2000 Lehre zum Buchbinder, 2000 Gesellenprüfung, 2000-04 im Verwaltungsbereich tätig, seit 2002 freiberuflicher Redakteur, 2007 Matura auf zweitem Bildungsweg, 2007-2015 Diplomstudium der Geschichte und Wahlfächer (Abschluss: Mag. phil.) in Innsbruck, 2015-2019 und seit 2023 Doktoratstudium aus Geschichte ebd., Referent, Rezensent, Autor von Büchern, Sammelbänden, Aufsätzen zu lokal-, zeit-, rechthistorischen, juristischen und politischen Themen.

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