Andreas Niedermann
Die Knallbar Diaries
Folge 33-35
Über Saufpornos
Männliche Muttis und
die Schuld der Hippies

Kapitel 33

Für konservative Burschen – wie ich einer bin – war es schon immer leicht, es ein bisschen schwerer zu haben. Es dauert halt ein wenig, bis die Erkenntnis durch den Filterglibber ihres Gehirns gesickert ist; dafür kommt sie dort vollkommen rein an und schmeckt köstlich.

Was ich damit sagen will?

Ich bin den HBO-Serien (1) verfallen. God damn! Ich bin erschüttert. Was da gesoffen wird! Keine Szene ohne Bourbon Gegurgel (True Detective, Justifie, Ray Donovan). Die Lebern der Protagonisten möchte man nicht persönlich kennenlernen. Ham die noch nie was von der WHO-Empfehlung, was Alkohol anlangt, gehört? Oder sind die Amis aus härterem Material? Größere Lebern? Effizienter? Unempfindlich? Geimpft? Immunisiert? Transplantiert?

What the fuck ever. Mir gefällt der Saufporno, mal ganz abgesehen davon, dass mir scheint, als hätten die Drehbuchschreiber ihren Shakespeare, ihren Kafka und Poe gelesen. Und was für großartige Akteure!

Aber das wisst ihr ja alles schon, ihr schnellen, vorwärtsstrebenden, upgedateten Schnuckiputzis. Nur der Knallbar steht wieder mal auf der Leitung. Und wenn er die Düse aufdreht, sprüht reinster fünfzig Prozent Knob Creek small batch in seinen  Schlund …

(1) Home Box Office, kurz HBO, ist ein US-amerikanischer Fernsehprogrammanbieter mit Sitz in New York City. Das 1972 gegründete Unternehmen ist im Besitz von Warner Bros. Discovery und gilt wirtschaftlich, technisch und künstlerisch als Pionier des Kabelfernsehens. Wikipedia


Kapitel 34

Verleger Moss rief an. (Wie oft hab ich das schon hingeschrieben? Leichtfertig. Unbedarft. Aber nichtsdestotrotz absolut wahr.) Er war der Meinung, dass ich mich zu still verhielte. Ich müsse politisch Stellung beziehen und all sowas, sacht er. Alle täten es, sacht er, nur der Knallbar hält sich wieder mal vornehm zurück. Fracht er, ob dies aus Feigheit geschähe oder doch nur meiner Faulheit geschuldet sei.

Fuck you, cocksucker, sach ich ganz freundlich, hat denn nicht bereits jeder und jedin zur Sache gesagt, was es zu sagen gibt? Und dies auch noch mehrmals? Soll ich auch noch meinen intellektuellen Seim abstreifen, frach ich. Nö, sacht Moss, aber wieder mal ein Wort von dir zur Lage wär schon angebracht.

Hab nichts zu sagen, was nicht bereits mehrmals gesagt wurde, sach ich.
Ja, und sonst? Nichts?
Na ja, sach ich. Kaum was.
Ach, komm, jeiert Moss, irgendwas is doch immer.

Also gut, sach ich, hurch zue: Heute morgen, nach dem Schwangerschaftsturnen hatt ich’s eilig und ging wie üblich bei Rot über die Straße. Steht so eins von diesen neuen, grünen Pussymännchen mit Söhnchen vor der roten Ampel, einer von diesen Typen, die jetzt weiblicher als die Muttis sind, und ruft mir nach: Danke, dass Sie meinem Sohn ein Vorbild sind!
Sach ich: Sehen Sie zu, dass SIE ihrem Sohn ein Vorbild sind. Das reicht vollkommen!

So läuft das jetzt also bei diesen, vom herrschenden Sozialstaat deppert gefütterten Mäulchen: Jetzt muss jeder und jedin auch noch Vorbild für ihre Gschroppen sein.

Eigentlich hätte ich der Pussy eine langen sollen, aber du weißt ja wie ich bin: Gutmütig bis zum Exzess. Stimmt’s Moss?

Aber da hatte er schon aufgelegt. Der wollte gar nicht wissen, was ich von der Weltlage hielt, der Cocksucker …


Kapitel 35

Die Ahnung war vorhanden, jetzt ist es Gewissheit: wir, die Hippies, sind schuld an Trump, Le Pen, Putin, Pegida und AfD.

Macht nichts. Ich persönlich bin es gewohnt schuldig zu sein. Wir sind schuld, weil wir gegen den Staat waren, die Familie, den Zwang, die bescheuerten Lebensperspektiven, die in einem Häusel in einem Vorort zu einem Ende finden sollten.

Wir sind schuld, weil wir der Spießerhölle unserer Altvorderen entkommen wollten, weil wir Drogen einwarfen und Hermann Hesse lasen.

Gut, wir haben’s so halb verkackt, das Make Love not War, das Peace Brother und den ganzen Rest der Revolution. Wir sind schuld. Geschieht uns recht.

Und irgendwie will man mich jetzt glauben machen, dass ich gewonnen hätte, und weil ich gewonnen hätte, würde ich jetzt Macht ausüben. Etwas Dümmeres hab ich noch nie gehört.

Schuld bin ich trotzdem. Schuld, weil wir nicht den Endsieg davongetragen haben. Aber wer ist eigentlich schuld, dass wir Hippies wurden? Eben.

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Andreas Niedermann

Andreas Niedermann, 1956 in Basel geboren. Nach einer Laborantenlehre einige Jahre in Europa unterwegs. Informelle Ausbildung zum Schriftsteller in genau 50 ausgeübten Berufen. U.a. als Steinbrecher, Alphirte, Kranführer, Kinobetreiber, Krafttrainer, Koch und Theatertechniker. Seit 1989 mit Familie in Wien lebend. Gründete 2004 den Songdog Verlag. Publizierte einige Romane, Storybände und Novellen. Zuletzt „Blumberg 2 (Die Wachswalze)“ bei Edition BAES.

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