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Andreas Niedermann
Die Knallbar Diaries
Folge 24- 26
Der Literaturbetrieb, ein Norovirus
und der Nobelpreis für Bob Dylan

Kapitel 24

Wer den heutigen Literaturbetrieb noch ernst nimmt, den kann man nicht mehr ernst nehmen. Ich jedenfalls kann’s nicht. Schon gar nicht, weil mein Roman zum Megabestseller wurde. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass ich so etwas wie der Groucho Marx des Literaturbetriebs bin: Ich möchte nicht Mitglied in einem Club werden, der mich als Mitglied akzeptiert. That’s it.

Manchmal, wenn mich die Arbeit nicht auslastet, die Familie nicht genügend fordert, der Anblick meines wunderbar gefüllten Kontos mich satt gemacht hat, dann schau ich mich ein wenig im Betrieb um, checke, was da gerade läuft.
Lese dann auch mal so rein, in die angesagten Dinger des Herbsts.

Da lese ich dann von einem der Sprachkünstlergiganten, für den ein notgeiler Kritikus extra, mit Gebührengeldern ausgestattet, nach L.A. fliegt. Für ein Interview. Er tat das, schätze ich, um sich an uns zu rächen, um uns zu verhöhnen. Hey, ihr Arschgeigen, seht mal her, was ich mit eurer Kohle mache: Ich flieg nach L.A., nur um diesen Autor zu interviewen. Könnte ich auch in Köln, aber ist ja nicht mein Geld. Ihr zahlt.

Und das ist auch gut so. Denn dieser Autor hat ein wunderbares Buch geschrieben. Man kann da zum Beispiel lesen, dass ein Mann, der gerade Sepuko begeht, sich ein scharfes Messer in den Bauch schiebt und es vorschriftsmäßig herumdreht vor Schmerz stöhnt.

Das ist natürlich DIE Überraschung, dass der Mann, ein japanischer Offizier, vor Schmerz stöhnt. Gut, dass der Autor das so eindeutig zugeordnet hat, dass es der Schmerz ist, weswegen er stöhnt, und nicht etwa die Entdeckung, dass sich etwas Sand an seinen Pantoffeln befand, der einen Kratzer im Parkett hinterließ.
Tja, und so geht’s 240 Seiten weiter.

Ich habs dann bald weggelegt, bin unter die Dusche gegangen und habe dort, auf meinem wasserdichten iPad, die schönen, wahren und (hoffentlich) ewigen Zahlen meines Kontos studiert. Das war schön. Und das wars dann wieder mit dem Literaturbetrieb.
Für  lange, lange Zeit.


Kapitel 25

Manchmal muss ein Mann tun, was ein Mann tun muss (Warum eigentlich nicht immer?). Und manchmal muss der Mann krank sein. Nur kurz, natürlich, denn ein Mann ist nur kurz krank, ganz im Sinne Epikurs: kurz und heftig. Und so geschah es auch.

Der Knallbar fing sich das Norovirus ein. Es streckte ihn nieder und ließ die unaussprechlichen Öffnungen des Körpers überquellen. Nicht jene sagenhaften 9, die Apollinaire besang, nur hauptsächlich deren zwei. Aber lassen wir das. Zwei Tage hat’s gedauert. Zeit genug, dachte ich, vielleicht wieder mal zu lesen. Ich lese sonst nichts. Nicht, wenn ich selber arbeite. Nur so ein bisschen davor, um mich in Stimmung zu bringen, um mir bewusst zu werden, was Sache ist.

Dann las ich, fiebrig wie ich war, einen ganzen Ziegel in zwei Rutschen. Einen Kriminalroman. Das auch noch. Die heikelste aller Gattungen. In keiner wird soviel Müll produziert, nirgends soviel Der-Plot-ist-das wichtigste-Schreibe, nirgends soviel Worthülsen und totes Satzgeäst, nirgends soviel Phrasen und uninspiriertes Herumgeeiere, nirgends so viele lesbische Katzen, nirgends soviel ausgefranstes und totgestanztes Cliché (ja, französisch kann er auch, der Lev! Wobei das mit dem Cliché ja schon selbst wieder ein Klischee ist), nirgends soviel auf dem Altar des Whodunnit geopferte Syntax, nirgends soviel Magieentsagung und Zauberabstinenz.

Aber der Bursche, dessen Buch ich las, der konnte es. Der hatte wahrhaft Eier. Wie ein Straußgelege. Der schiss sich nix, der war frei von Furcht und Tadel, der zeigte es den Pussys und den älteren Whodunnitdamen beiderlei Geschlechts. Madonna spudellata! Dio rospo!

Die ersten hundert Seiten: Exposition. Ein Sylvester. In einer Kneipe. Zwei Männer und eine hereingeschneite Girlieband. Und eine Jukebox. Gequatsche. Weisheiten. Anmache. Zigaretten. Trauer. Nostalgie. Jede Menge Shots (wie’s heute heißt).

Fast hundert Seiten, Freunde, Feinde und Gleichgültige. Und noch nicht mal der Ansatz einer Krimihandlung. Das macht ihm keiner so schnell nach. Und nicht der kleinste Anflug von jetzt aber in die Ecke mit dem Ziegel.

Und als dann die Handlung irgendwie einsetzte, merkte man es nicht mal, denn es war wurscht. Natürlich: die Auflösung nicht der Rede wert. Ein hartes Buch. Ein Buch voll kluger, schneller Sprüche, ein Buch, bis oben hin voll Wissen um die populäre Kultur von gestern und heute und morgen. Ein dunkles Buch, so verzweifelt und heiter wie etwa Alles wird gut, von Jörg Fauser, an das es mich immer wieder erinnert hat.

Ich möchte es all jenen ans Herz legen, die noch nicht resigniert haben, denen Mut und Literatur noch etwas bedeuten.
Das Buch heißt:
EIN SCHLAG INS GESICHT von FRANZ DOBLER


Kapitel 26

Ist das jetzt eine Überraschung oder was. Bob Dylan for Nobelprice! Keine Ahnung, was man dazu sagen soll. Ich meine, was ich dazu sagen soll. Sag ich halt eben, auf meine wortreiche Art, nichts.

Ist auf jeden Fall immer eine Freude, Dylan einen Preis entgegennehmen zu sehen. Sei’s der Legion étranger oder der Plämpel, den ihm der Barack um die Gurgel knüpfte. Beim Barack sachte er nicht mal was, bei Jack Lang in Paris sacht er heiser, sonnenbrillengewandet: A thousand thankyous! Abgang.

Jack Lang brauchte nur eine Sekunde, um zu checken, dass es ein Irrtum war, den Dichter und Musiker vor die ergrauten Honorationen zu nötigen. Hat er dann auch gleich zugegeben, der Jack. Guter Junge, einsichtiger Junge.

Ich glaube, Bob Dylan kann man nicht auszeichnen. Ich meine, man kann schon, aber man sieht sogleich bis auf den Karton runter; Dylans Anwesenheit entlarvt gleichsam die Fragwürdigkeit solcher Dinger.

Werd ich also angucken, die Verleihung. Nur schon deswegen hat Dylan den Preis verdient. Aber was heißt schon: verdient? Fasel nicht rum, Knallbar! Verdienen tut man einen Tritt in den Arsch oder das Höllenfeuer, aber einen Preis zu erhalten ist immer ein Irrtum.

P.S. Habe eben im TV gesehen, wie Henning Krautmacher, Frontmann der kölschen Faschingsschunkeltruppe Höhner, Bob Dylan als Kollegen bezeichnet hat. Der war gut. Echt!

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Andreas Niedermann

Andreas Niedermann, 1956 in Basel geboren. Nach einer Laborantenlehre einige Jahre in Europa unterwegs. Informelle Ausbildung zum Schriftsteller in genau 50 ausgeübten Berufen. U.a. als Steinbrecher, Alphirte, Kranführer, Kinobetreiber, Krafttrainer, Koch und Theatertechniker. Seit 1989 mit Familie in Wien lebend. Gründete 2004 den Songdog Verlag. Publizierte einige Romane, Storybände und Novellen. Zuletzt „Blumberg 2 (Die Wachswalze)“ bei Edition BAES.

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