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Andreas Niedermann
Die Knallbar Diaries
Einleitung und Folge 1

Lev-André Knallbar, ein nach seinen Angaben sich redlich mühender, aber erfolgloser Autor, landet wider aller Erwartungen und nach zig Ablehnungen von Verlagen einen Mega-Seller (so nach dem Hergang von Schlafes Bruder). Titel: Verreckt.

In seinen Tagebuchaufzeichnungen beschreibt er, was nun abgeht, wie er sich fühlt, und wie sich die Welt ihm gegenüber und er sich der Welt gegenüber verhält.

Böse, zynisch, rachelüstern, philosophisch und nur an Geld interessiert schmäht er Kollegen und Kolleginnen, den korrumpierten Literaturbetrieb. Anstatt ins Fitnessstudio geht er zur Schwangerschaftsgymnastik, wo er sich als berühmter Autor zu Recherchezwecken Zutritt verschafft hat (er steht auf Schwangere), und berichtet voll Häme von den Männchen der Frauen.

Nichts ist vor seinem Zynismus und seiner bitteren Kritik sicher. Er verachtet den Pöbel ebenso wie den Betrieb, der sein – nach eigener Ansicht – mieses Buch zum Megaseller gehypt hat. Herzlos, aber großzügig, verwöhnt er Bettler mit großen Scheinen, schreibt über sie.

Menschen teilt er in Kategorien ein: In Knallbarleser, Potentielle Knallbarleser, Nichtleser.

Aber am liebsten steht er mit seinem wasserdichten iPad unter der Dusche und checkt seinen Kontostand. Kommunizieren tut er vor allem mit seinem jungen, schnoddrigen Sohn und seinem leidenden Verleger Moss.

Für Geld – gibt er zu – macht er alles, nimmt jeden Schreibauftrag an, solange die Kasse stimmt. Warum? Weil er, bis auf wenige Ausnahmen, alle Literatur für Mist hält. Auch, und vor allem, seine eigene und den ganzen abgefuckten Literaturzirkus.


1.

Für die, die mich noch nicht kennen – viele dürften es nicht mehr sein: Mein Name ist Lev-André Knallbar. Beruf: (seit neuestem) Bestseller-Autor. Verheiratet. Ja, Kinder.

Heute das Konto gecheckt. Gleich nach dem Aufstehen, also nach dem Pissen, das nicht so von der Hand ging – hahahaha, von der Hand ging, checkt ihr’s? – die Prostata, die alte Strumpfkugel, nun ja, was soll man machen, man wird nicht jünger – um mir auch mal eine Binse zu gönnen.

Mach mir also Kaffee, und zwar in so ner Maschine wie der Dingsda sich hat beerdigen lassen, Bialetti, hol das Scheißschlampenbook (das mein ich nicht so) aus dem Arbeitszimmer, klapp es auf, drück den Knopf, warte, warte und … warte (darum Scheißschlampenbook, und ich mein´s doch so) und dann komm ich endlich rein, ins Netz, natürlich, und geh mal auf die Bank, und seh und seh und seh: Der Herr Verleger – der alte Schnäbichätscher (ist er natürlich nicht, der gute Moss), wie mein Kumpel und Kollege A. sagen würde – hat den Schuss für mein neues Werk überwiesen. Halleluja!

Wollt ihr wissen, wieviel? Wollt ihr? Na, klar wollt ihr, ich kenn euch doch, ihr seid meine Leser, meine treuen, und irgendwie habt ihr deswegen ein Anrecht darauf es zu erfahren, denn es kommt ja von euch: Ihr habt Verreckt zum Bestseller gemacht.

Also gut: Es sind … ach was, ich sag’s doch nicht. Nur soviel: Es hat einige Nullen, und mit einige meine ich nicht etwa 2 oder 3, denn das wären nicht einige, sondern höchstens nicht wenige bis geht so, aber bei einige, da könnt ihr schon noch ein paar dazu rechnen, okay?

Noch vor kurzem war ich ein armer, aber redlicher Tipper mit einem Haufen Schulden und einem schlechten Ruf. Aber seit Verreckt auf die Bestsellerliste kam und sie seit Wochen anführt, sieht es anders aus. Ganz anders.

Es gibt nicht wenige, die mich für eine Art Genie halten. Zumindest für einen tollen Autor. Vor Verreckt hielt man mich für einen bemitleidenswerten Posthippie, der endlich die Schreiberei aufgeben und sich nach einem Job umsehen sollte.

Ein Job der zum ihm passt: Regalfüller in einer Billafiliale, Securitymann vor einer Raiffeisenbank oder Auftragskiller. Warum? Weil ich nicht schreiben kann, sagten sie. Haben sie vermutlich recht. Ich finde, ich kann immer noch nicht besser schreiben. Aber jetzt ist es allen egal, und sie tun so, als könnte ich es.

Nur hinter meinem Rücken, da wird die Sache natürlich zurechtgerückt. Vorher taten sie es aus Verachtung und Unverständnis, heute aus Neid. Sollen sie!
Ich werde den Tag damit verbringen meinen Kontostand anzuhimmeln und ein wenig über meinen neuen Roman nachzudenken. Vielleicht noch über Kollegen und Kolleginnen ablästern:

Irgendwie schön und äußerst lakonisch balancierte er zurückgelehnt auf einem Klappstuhl…

Okay. Ich kann ja auch nicht schreiben, aber lakonisch ist nun mal ein Wort, das sich nur auf Sprache beziehen kann. Ich sag jetzt nicht, wer’s ist. Ist ne Bestsellerkollegin. Die kann vielleicht noch mal was für mich tun. Man kann nie wissen.

Hab gerade wieder einen Blick auf meinen Kontostand geworfen: Der Schnee des Montblanc ist ne Jauchegrube dagegen. Wie schön. Wie beruhigend. Wie zukunftsheischend.

Morgen mehr …

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Andreas Niedermann

Andreas Niedermann, 1956 in Basel geboren. Nach einer Laborantenlehre einige Jahre in Europa unterwegs. Informelle Ausbildung zum Schriftsteller in genau 50 ausgeübten Berufen. U.a. als Steinbrecher, Alphirte, Kranführer, Kinobetreiber, Krafttrainer, Koch und Theatertechniker. Seit 1989 mit Familie in Wien lebend. Gründete 2004 den Songdog Verlag. Publizierte einige Romane, Storybände und Novellen. Zuletzt „Blumberg 2 (Die Wachswalze)“ bei Edition BAES.

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