Andreas Niedermann
Von eigenen Gnaden
Essay

„Vielleicht brauchen nur die noch
Schriftsteller, die keine Bücher lesen.“
(Nelson Algren)

Ich bin ein Autor von eigenen Gnaden. So bezeichnet man wohl einen Schriftsteller, dessen Arbeiten vom Markt zögerlich angenommen werden, der davon seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann. Das ist natürlich nicht nett, aber andererseits auch nur schwer zu ändern.

Ende der achtziger Jahre beschied mir mein damaliger Verleger, nach einer Unverschämtheit meinerseits (Autoren sind gegenüber Verlegern immer unverschämt) mit profunder Heftigkeit: Vom Bücherschreiben kann man nicht leben!

Nun gut, sieht man einmal von der etwas kuriosen Aussage eines Mannes, der mit Büchern berufsmäßig zu tun hat, ab, hatte er natürlich Recht. Man braucht nur eine kleine Rechnung anzustellen und weiß Bescheid: Um einen äußerst zurückgenommenen Lebensunterhalt zu bestreiten, also 1 Paar Stiefel pro Jahr, 2 Paar Hosen, die Hemden mag man alt und zerschlissen, die Lederjacke hält doch sowieso ewig – braucht auch ein (fast) suchtfreier Autor, sagen wir mal ca. 7000 €. Wenn er jetzt jedes Jahr ein Buch schreibt, das im Laden Euro 25.- (ein teures, dickes Buch) kostet, und seine Tantiemen 10% ausmachen, braucht er jährlich nur ca. 3000 Stück abzusetzen. Jährlich. Jedes Jahr.

Zeigen Sie mir einen deutschsprachigen Autor, der diesen Absatz behauptet (die Handvoll, die es tatsächlich gibt, ausgenommen) und ich zeige Ihnen einen Angeber.

Sowas merkt man sich.

Denn nur ein Mann, der seine Sinne nicht beisammen hat, steigt untrainiert mit einem Mike Tyson in den Ring. Außer, es ist ihm gerade danach, mit einem einzigen Schlag in ein traumloses Koma befördert zu werden. Ich legte es also nicht darauf an meinen Lebensunterhalt mit Schreiben zu verdienen, sondern gönnte meinem schnell gelangweilten Herzen die Abenteuer, nach denen es sich sehnte. Ich beschloss, einfach jeden Job anzunehmen, der an mich herankam oder in den ich in meinem ehrgeizlosen Unverstand hineintaumelte.

Die Liste meiner Berufe ist lang, ebenso die Länder und Städte, wo ich ihretwegen landete. (Übersetzer auf einem Campingplatz in Korsika, Bühnentechniker in der glühenden Mittagshitze von Kreta, Alphirte in den Bergen, Kranführer, Steinbrecher, um nur ein paar zu nennen.) Diese Jobs kamen schnell und waren oft noch schneller erledigt. In den Pausen dazwischen schrieb ich an den Büchern, die ich schreiben wollte.

Bücher? Ja, Bücher. Und natürlich lebt ein Autor, der sich sein Geld mit Brotberufen hereinholt, immer im Spannungsfeld Arbeit und Schreiben. Eine schwer erträgliche Spannung, mitunter. Aber was wäre die Alternative?

Nun, Bücher sind nicht gleich Bücher. Obschon sie von ihrer Facon her den Eindruck erwecken mögen. „Harry Potter“ oder „Das Sakrileg“ sind keine Bücher. Es sind – und damit maße ich mir kein Urteil über literarische Qualitäten an – Massenpsychosen. Wie Rolling-Stones-Konzerte oder die Jahrtausend-Sonnenfinsternis. Eine Art Pandemie in Buchform. Kaum jemand entgeht ihr, und die Hospitäler sind voll, die Gespräche, die Bestenlisten, die Buchhandlungen und die Regale. Die Chancen dem Virus zu entkommen sind äußerst gering.

Aber, ich lese keine Bestseller. Manchmal gestatte ich es einem Freund oder Bekannten, mir in dürren Worten den Inhalt eines Werkes der Bestenliste zu explizieren. Aber auch das ist völlig sinnlos. Die Tages- und Wochenzeitungen verrichten hier ganze Arbeit. Sie sind von umwerfender Effizienz und man glaubt mithin in das Auge des Erfolgs zu blicken, jenes märchenhaften Erfolgs, der Autoren und Verlagen Millionengewinne einbringt: Die Rezeption und Verbreitung dieser Werke ist so katholisch, eindringlich und gnadenlos erfolgreich, dass der Käufer das Buch aus purer Dankbarkeit ersteht.

Nur schon dafür, dass er, ohne das Buch lesen zu müssen, sich bestens auskennt. Er kauft und verschenkt es weiter an jemand, der es auch nicht lesen muss.
Nicht nur mir fehlt die Zeit, mich um diese 500-1000 Seiten Dinger zu kümmern. Den andern auch. Daher wird von uns auch nichts weiter verlangt, als dass wir das Ding erstehen.

Auf der anderen Seite finden sich jene Autoren, denen ein vielleicht doch gnädiges Schicksal den schnellen Bestseller verweigert, die das kaum zu besiegende Geldproblem anders angehen. Sie lassen sich – auf dem Weg in die Bestenliste – von staatlichen/privaten Kulturinstitutionen oder Vereinen subventionieren. Ihr gutes Recht. Dafür kämpfen sie wie Gewerkschafter. Das Recht auf Tippen. An der Futterkrippe wird es mitunter eng. Aber es ist beachtlich, was der eine oder andere so zusammensammelt. Hier ein Tausender, dort ein paar Hunderter. „Kultur“ muss doch was kosten! Meinetwegen. Aber, was zum Teufel, hat denn Bücherschreiben mit Kultur zu tun?

Ich habe – gerade auch in Wien – schon Autoren zu Lesungen antraben sehen, deren pittoresk flankierende Damenbegeleitung (so ähnlich wie die der notorischen Stenze, die sich zu Boxkämpfen einfinden) dann zusammen mit meiner Wenigkeit und der Veranstalterin des städtisch finanzierten Literaturladens das Publikum mimten. Der Dichter las seinen Stiefel runter, und nach einer halben Stunde ging’s zur Kasse, und ab ins Beisl.

Ich wurde das Gefühl nicht los, gerade Zeuge beim Abkassieren von Schweigegeld geworden zu sein. Nicht mal reden mag ich von den Spezifitäten, Animositäten und Neidereien an den Rändern des Futtertroges, dem so genannten Literaturbetrieb. Oder, dass man einen Wiener Dichter, Suhrkamp Autor, nun plötzlich in fast jeder Jury, die einen Geldpreis zu vergeben hat, wiederfindet. So kann man es auch schaffen. Das nennt man dann wohl erfolgreiche Kulturpolitik. Erfolgreich für wen?

Als der Schriftsteller, Dichter, DJ und Journalist Franz Dobler, in Wien seine furiose Johnny Cash Biographie im „Buch und Wein“ vorstellte, waren gerade mal 8 Leute anwesend. Eine interessante Mischung. Da war ich, zusammen mit einem mitgeschleppten Freund, ein halbjunger Mann mit Freundin, der hergekommen war, weil er, wie Dobler, die Schulzeit im bayrischen Städtchen Schongau verbracht hatte und nun herausfinden wollte, ob man sich vielleicht kannte? Damit waren wir vier. Hinzu kam die in Wien lebende Schwägerin von Dobler, zusammen mit Freund. Und tatsächlich fand sich auch noch ein Pärchen ein, das, kaum hatte die Lesung begonnen, in den Clinch ging und wild herumschmuste. So, als wären sie unbehauste Teenager, die keinen warmen Platz zum Fummeln hatten und denen die Kinokarte zu teuer war.

Nun, so was kann passieren. Jeder Autor kennt es. Aber in München, wo Dobler sein Buch ebenfalls vorgestellt hatte, tat er es vor 500 Leuten. Wie heißt es so treffend: Andere Länder, andere Ehr.

Nach der Lesung fragte ich den subventionierten Veranstalter, was er denn so unternommen habe, um den Abend zu bewerben? Daraufhin machte er die Veranstaltungsanzeigenseite des Tages auf und sagte: Heute hätte es doch keine Konkurrenz-Leseveranstaltungen gegeben, und somit hätte der Laden voll zu sein. Basta. Die Subi liegt jeden Monat auf dem Konto. Kein Bedarf an irgendwelchem Aufwand. Das riecht irgendwie nach Arbeit. Immer schön cool bleiben.

Wir beschlossen den Abend im Nachtasyl, wo eine raffinierte Untergrundcombo – im eigentlichen Sinn des Wortes – aufgeigte. Ein voller Laden, eine engagierte Band, ein überraschender Gig in jeder Hinsicht, und der Wirt Jiri Chmel veranstaltete das Ding ohne jeden Cent aus den Euros der Steuerzahler. Und der Eintritt war gerade mal 2 € mehr als im Subi-Keller.

Eine Woche später fiel mir in einem Cafe eine Literaturzeitschrift in die Hände. Ich blätterte sie durch und blieb bei einem Artikel hängen, den ich mit wachsender Neugierde und einem eigenartigen, aufwallenden Bluesgefühl las. Es handelte sich – katholisch ausgedrückt – um eine Beichte. Die Beichte eines mir unbekannten Kärntner Autors, der auf ein paar Seiten seinen Werdegang als Schriftsteller schilderte. Er sprach über die Mühen, die Pleiten und auch die Freude, eine Literaturzeitung herauszugeben, die ca. zweieinhalb Abonnenten hatte. Dafür wurde er gefördert. Er bekam Geld, Kohle, Marie und irgendwann, gesteht er freimütig, irgendwann hatte er keine Lust mehr, das Ding weiter zu machen, es war schlicht am Ende und er fühlte sich auch als Schriftsteller am Ende, wollte nicht mehr. Er hatte inzwischen auch eine kleine Familie. Aber aufhören tat er nicht. Er machte auch noch weiter, als er längst keinen Abonnenten mehr hatte, die Zeitung zu dünn für’s Einwickelpapier geriet, machte weiter und weiter, aus einem einzigen Grund: Die Subvention.

Nicht der Umstand, dass es eine Zeitung gab, erforderte die Subvention, sondern der Subvention wegen musste es eine Zeitung geben. Ein netter, sympathischer, nicht mehr ganz junger, aber aufrichtiger Mann, eine wahre Rarität. Fast wünschte ich mir, er würde ein Buch schreiben. Ich würde es lesen.

Und wenn ich es mir recht überlege: Von eigenen Gnaden ist ganz in Ordnung!

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Andreas Niedermann

Andreas Niedermann, 1956 in Basel geboren. Nach einer Laborantenlehre einige Jahre in Europa unterwegs. Informelle Ausbildung zum Schriftsteller in genau 50 ausgeübten Berufen. U.a. als Steinbrecher, Alphirte, Kranführer, Kinobetreiber, Krafttrainer, Koch und Theatertechniker. Seit 1989 mit Familie in Wien lebend. Gründete 2004 den Songdog Verlag. Publizierte einige Romane, Storybände und Novellen. Zuletzt „Blumberg 2 (Die Wachswalze)“ bei Edition BAES.

Schreibe einen Kommentar