Andreas Niedermann
Die Knallbar Diaries
Folge 21 - 23
Haute volée, ein Blindenhund und Teeniegören
Kapitel 21
Supermarkt-Monologe gehören, laut meinem Verleger, zum richtigen Leben. Aber da ich mir mein Essen (und das meiner Familie, wenn sie denn will) aus dem Haubenlokal liefern lasse, komm ich damit nicht so oft in Berührung. Das ist schön.
Schön ist auch, dass ich mich nicht um Tagespolitik kümmere. Denn dies sind ebenfalls Supermarkt-Monologe, in denen nicht die gemeine Feldgurke zum Thema gemacht wird, sondern etwas ähnliches: Der Mensch und die Haute volée.
Aber ich lebe lange genug, um zu wissen, wie dieses Land tickt: Überall Vorschriften, die unmöglich einzuhalten sind und die darum niemand einhält und nur irgendwie interpretiert, was dazu führt, dass niemand ganz legal ist und/oder handelt. Bis dann mal jemand die Vorschriften zückt und auf Einhaltung besteht.
Das ist nicht nur bei Bundespräsidentenwahlen so, sondern eigentlich überall. Hat den Vorteil, dass man bei Bedarf alle bei den Eiern hat, wenn man’s braucht. Das muss man kapiert haben, und dann braucht man keine Meinung mehr zur Tagespolitik. Meine Meinung.
Letzthin hat der eine Kandidat für den Präsidentenpalast öffentlich eine feine Einteilung des Wahlvolkes vorgenommen. Für ihn gibt es Menschen und Haute volée. Man könnte meinen, er sei einer jener Tiroler, für die es nur Tiroler oder Arschlöcher gibt. Er ist, meines Wissens, kein Tiroler. Ich nehme an, dass er sich für einen Menschen hält.
Ich jedenfalls, Lev-André Knallbar, ich bin Haute volée. Ich war schon Haute volée, als ich noch auf der Straße schlief und nichts zu fressen hatte, in Bibliotheken rumhing und las, was die Regale hergaben. Und anders als viele Menschen lag ich nicht der Allgemeinheit auf der Tasche, sondern nahm jeden Job an, der sich anbot. Egal, was es war.
So habe ich meinen Charakter gestärkt und meine Fähigkeiten ausgebaut. Und heute bin ich Knallbar, der Bestsellerautor. Ein Mann, der noch unter der Dusche seinen Kontostand checkt, so wie er früher unter der Dusche geraucht hat.
Haute volée. Menschen.
Ich habe Moss angerufen und ihm gesagt, dass ich T-Shirts mit der Aufschrift Haute volée drucken lassen will, aber er hat gemeint, ob ich denn jetzt ne weiche Birne hätte, und ob man mich nicht ein einziges Mal in den Supermarkt lassen darf, ohne dass mein Geist zu Schaden kommt?
Ich denke, er hat Recht.
Vielleicht werde ich T-Shirts mit der Aufschrift Mensch drucken lassen …
Kapitiel 22
Auf dem Weg zur Schwangerschaftsgymnastik sah ich etwas Kurioses. Strange. Irgendwie sehr komisch, aber auch bedenklich, und es hätte schlimm ausgehen können. Auch für mich.
Beim Hauptbahnhof gibt es eine fette Kreuzung, ein paar Spuren, unterbrochene Fahrbahnen, Ampeln und so weiter. Kommt ein Blinder des Wegs. Mit Blindenhund. Bei Grün läuft er los. Der Blindenhund ist offenbar ein Arschloch oder er will sich für irgendwas rächen. Oder er ist auch blind. Ich weiß nicht.
Jedenfalls geht er links so nahe an einer Ampel vorbei, dass der blinde Mann, der etwa einen halben Meter hinter ihm hergeht, voll in die Ampel bumst. Crash! Fällt hin. Brille liegt auf der Fahrbahn. Der Mann auch. Der Hund, jetzt frei, hockt sich hin, blickt in die Gegend, als ginge ihn das alles nichts an.
Okay, es war komisch. Ich habe gelacht. So ganz kurz nur. Aber schon. Dann bin ich natürlich hin. Inzwischen ham die Autos grün. Ich zerre den Blinden auf die Fußgängerinsel. Die Wagen hupen und pfeifen an meinem Arsch vorbei. Fühl mich ein wenig wie ein verdammter Held. Nur so ein bisschen. Knallbar the hero! Helfe dem Blinden auf die Beine. Der Hund kommt angetrottet.
Hatte der ’n Blackout? Der Mann hat ne Beule über dem rechten Auge. Die Brille ist noch heil. Ich übergebe sie ihm und frage, ob alles okay ist, und ob ich den Hund erschießen soll. Is nur n’ Witz, füge ich hinzu. Jou, sagte der Blinde, aber vielleicht sollten Sie es wirklich tun. Klar, sag ich, hol nur schnell meine Flinte, warten Sie solange.
Er ging dann seiner Wege und ich auch. Dann dachte ich an Hemingway und stellte ihn mir als gewöhnlichen Autofahrer vor, aber ich kriegte das Bild nicht zusammen. Hatte der überhaupt Führerschein? Ich erinnerte mich an Bilder von ihm im Jeep. Auf der Beifahrerseite. Mit Brille und Notizblock. Bei der Befreiung von Paris.
Oder Safari. Ich denke, Hemingway fuhr nicht. Der flog oder ging zu Fuß. Oder Pferd. Und vor allem Boot.
Er hätte mir heute also nicht den Arsch abgefahren, als ich gerade ein Held war. Außer, er hätte Jagd auf dumme Hunde gemacht. Dann vielleicht schon. Aber sonst eher nicht…
Kapitel 23
Verleger Moss ruft an, besser gesagt: er stört an. Er möchte, dass ich mit ihm essen gehe, sagt, er hat die Bude voller kichernder, kreischender, quiekender Teeniegören, und er hält es nicht aus, sacht er, dass er neben der Betreuung von Dichtern, Autoren und anderem schreibenden Randstand, auch noch die Freundinnen seiner Tochter aushalten soll.
Na gut, ich will nicht schofel sein und sage zu. Ich meine, der Mann hat Töchter! Ich habe Söhne, und bin damit etwas im Vorteil. Will sagen, habe einen akustischen Vorteil. Die Emissionen der Jungs sind besser zu ertragen, weil da kaum was kommt.
Also gehen wir essen. Gleich um die Ecke. Kleines, neues Lokal. Fast primitive Einrichtung, schlicht, klar, und reduziert aufs Maximum, wie die beste Knallbar Prosa. Genau so muss es sein.
Das Essen ebenso. Kein Schnickschnack, schnörkellos, beste Zutaten, nicht überkocht. Guter Weißwein. Moss ist angetan. Kippt schnell hintereinander vier G´spritzte. Er entspannt sichtlich, reißt an seinem Gürtel, öffnet die Hose, was mir ein wenig Angst macht. Holt er ihn jetzt raus? Natürlich nicht. Er hat nur ein paar Pfund zugelegt. Er weiß es und schiebt es auf den Stress.
Mensch Knallbar, du hast es gut, sagt er und ein gewaltiger Seufzer entströmt der Lücke in seinem gepflegten Bart. Ich warte auf das, was noch kommen soll, aber es kommt nicht. Scheint ihm zu genügen, dass ich es gut habe. Mir soll’s recht sein, aber dann, nach einer minutenlangen Pause, kommt dann doch noch was.
Diese Oasch-Dichter-Autoren-Literaten san wie die Kin-der.
Ich schenke ihm einen meiner Jetzt-aber-mal-sachte-Kumpel-Blicke, er checkt’s und fährt fort: Du natürlich nicht, Lev, du nicht. Du gehörst zu der raren Gattung der erwachsoiden Autoren. Aber die anderen, die machen mich fettig.
Fettig?, sach ich.
Jawohl, fettig, wiederholt er. Sigstessjo. Er klascht mit der Hand auf seinen Ranzen.
Dann, während wir ein wahres Hammertatar verzehren, erzählt er mir Autorenschwänke aus seinem bewegten Verlegerleben. Schwänke sind es für mich, für ihn ist es scharfer Nervenraspel.
Ich höre ihm halb zu und denke mir, dass doch fast alle Menschen wie Kinder sind, nicht nur wir, die Tipper. Laut, unverständig, egoistisch, unwissend und nur das schon Bekannte akzeptierend. Man sollte ihnen, wo es nur geht, aus dem Weg gehen. Aber das sage ich ihm nicht, denn er sieht nun gerade so zufrieden aus, so rosig und freundlich wie ein sattes Kind.
Ja, da sitzen wir nun. Die Welt ist scheiße und uns geht’s gerade gut. Ich denke an Doktor Faust, der den Augenblick festhalten wollte, und ich weiß, dass wir das alle tun wollen.
Und dann denke ich, dass dies zu wissen nicht tröstlich ist, aber darüber schreiben schon. Und bereits habe ich wieder einen Vorteil Moss gegenüber. Sag ich ihm auch nicht, dafür begleiche ich die Rechnung. Das macht ihn noch zufriedener und rosiger.
Schön und einfach, nicht wahr?
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