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Andreas Niedermann
Die Knallbar Diaries
Folge 18 - 20
Demokratie, Familienurlaub und Feldgurken

Kapitel 18

Allenthalben (eines meiner neuen Lieblingsworte, das ich, wo immer es geht, anzubringen pflege) lasse ich mich in die Niederungen der Tagespolitik herab; mit anderen Worten: Ich lese etwas Zeitung.

Heute las ich zum Beispiel, dass nur etwa dreißig Prozent der Österreicher das demokratische System gut finden. Nun denn: 7 von 10 Zeitgenossen haben ein Problem mit der Demokratie. Ich, der Knallbar Lev-André, übrigens auch.

Die ca. 70% beklagen sich darüber, dass sie nicht genug mitreden können. Dass sie nicht gefragt werden. Sie möchten, dass Demokratie die uneingeschränkte Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit sei. Ohne Wenn und Aber. Ohne Minderheitenschutz, ohne vierte Staatsgewalt, am Besten ohne Rechtsstaat (außer es geht darum, als 32-jähriger Beamter die Hacklerpension vor Gericht durchzusetzen). Dann schon, bitte sehr.

Und dies ist so in etwa der Grund, warum ich ein Problem mit der Demokratie habe: Jeder Semihirsch, der per Tastendruck in Sekundenschnelle eine neue App auf sein Gehirnsurrogat applizieren kann, denkt, dass Politik genauso funktionieren muss. Klicken, bestellen, zahlen! Oder zurückschicken! Und schon klingelt der Bote und streckt dir die Dreiviertelhose, made in Bangladesh, entgegen.

Und deswegen bin ich Monarchist.

Wenn jede/r mitmachen kann, macht Demokratie keinen Sinn. Her mit der Demokratiebefähigungsprüfung! Und das ist der Moment, wo die Allerdümmsten: Schweiz! Aber die Schweiz!! rufen.

Ja, die Schweiz. Mehr als hundert Jahre Erfahrung und Praxis haben die Bürger dazu gebracht, die Pappn zu halten, wenn man nichts versteht.

Das heißt: Stimmbeteilung so um die 40 %. Und das ist gut so. Die Semihirsche meckern und jammern und bleiben zuhause. Wie es sich gehört.

Außerdem sollen die Meckerer mal die Fresse halten. Egal, was für sie getan wird, es wird nie genug sein. Das ist eine der Erkenntnisse, die einem den Becher mit den süßen Vanille-Whey-Proteinen ziemlich schal werden lässt .

Ich wünsch mir eine Monarchin. Schön, klug, ausdauernd, gebildet, gelassen und sehr, sehr streng. Vor allem mit den Demokratieverabscheuenden.
Und mit mir …


Kapitel 19

Verleger Moss hat sich gemeldet. Eben zurück aus Italien. Er meinte, dass er sich und seiner Familie endlich einmal einen Urlaub gegönnt habe. Er klang nicht froh oder ausgeruht oder vergnügt. Er klang irgendwie zerknirscht und machte mir Lust, diese Zerknirschung noch zu steigern.
Was machst’n Urlaub, du als Verleger. Ihr habt doch immer Urlaub.
Ach, halt die Pappn, Knallbar. Was weißt du schon? Ein alleinstehender, verwöhnter, reicher Autor …
Entschuldige mal, Moss: Ich bin nicht alleinstehend. Ich habe Familie, wie du.
Ja. Aber dir merkt man das nicht an. Bei dir hat man immer das Gefühl, dass du Single bist …
Das Ergebnis perfekter Partnerwahl, sagte ich. Also Augen auf, beim Heiratsantrag.
Du hast gut reden …
Er klang wirklich bedrückt.
Isses was Ernstes?, fragte ich.
Ach nee, der übliche Familienblues. Da liegen dir Frau und Kinder jahrelang in den Ohren: „Wir machen nie gemeinsam Urlaub. Nie. Immer arbeitest du, hast nie Zeit für uns … und so weiter. Und dann steigst darauf ein, buchst ein tolles 4-Sterne-Hotel, direkt am Strand, und dann jammern sie die ganze Zeit darüber, dass das Essen nicht gut ist, der Strand zu sandig, die Palmen Krebs haben, die Kellner aufdringlich sind, der Zimmerservice unzuverlässig, der Wind zu stark und … dass oben in der Dusche ein winziges Spinnennetz hängt und man deswegen nicht duschen kann. Verstehst du jetzt?
Theoretisch“, sagte ich, rein theoretisch. Aber als Autor bin ich ein Empathieprofi. Also, raus damit!
Was raus?
Na, erleichtere dein schwarzes, gieriges Verlegerherz …
Mehr war nicht.
Mehr war nicht? Und deswegen so ein Gejammer?
Du bist zwar Autor, Knallbar, aber du hast keine Ahnung vom Leben. Vom richtigen Leben mein ich.
Und das soll das richtige Leben sein, Moss? Schwulitäten mit Frau und Kindern? Grundgütiger. Jetzt mach ich mir aber wirklich Sorgen!
Brauchst du nicht. Ich hab dich nur verarscht. Der Filmvertrag ist gemacht und heute kam eine Optionsanfrage für ein Opernlibretto. P.T. möcht’s gern schreiben.
P.T.? Schreibt der jetzt auch Librettos …
Libretti.
Weiß ich doch, Moss, wollt nur testen, ob du’s auch weißt.
Weiß ich.
Ich weiß.
War schön, einen wie Moss zum Verleger zu haben.
Ich drückte ihn freundlich weg und ging unter die Dusche. Mit meinem wasserdichten iPad, und sah zärtlich und lange auf meinen Kontostand und fragte mich, wieviel so ein Libretto wohl bringen würd …


Kapitel 20

Das ist keine Feldgurke. Ich habe mich beschwert und sie haben gesagt, es sei Feldgurkensamen. Feldgurkensamen!! Ich bin gefühlte neunzig Jahre alt, aber das ist keine Feldgurke. Eine Feldgurke hat auf einer Seite eine helle Fläche, weil sie auf dem Feld gelegen ist. Aber die haben keine. Ich bin neunzig Jahre alt, und so bescheißen sie uns. So bescheißen die uns. Ich bin neunzig und das ist keine Feldgurke …

Solche Dinge widerfahren dem alten Knallbar, wenn er sich für einmal sein Essen nicht aus dem Hauben-Restaurant bringen lässt, sondern leibhaftig in den Supermarkt wandert und sich dort umsieht.

Vonwegen Moss’ Diktum, dass ich ein reicher, verwöhnter Autor sei, der vom richtigen Leben keine Ahnung hat.

Ich meine, wenn diese Supermarkt-Monologe zum richtigen Leben gehören, wer möchte dann etwas mit diesem richtigen Leben zu tun haben? Ich jedenfalls nicht.
Nun, die Sache mit der Feldgurke ging noch halbwegs gut aus.

Da ich für gewöhnlich die Mitmenschen in drei Kategorien einteile, in : Triple A – Knallbarleser, Double A – potentielle Knallbarleser, und Triple X – Knallbarnichtleser, hätte ich eigentlich keine Mühe haben müssen, mich der Situation durch eine rasche Drehung meines Einkaufswagens zu entziehen. Theoretisch!

Aber je älter ich werde, desto mehr kommt mir meine gute Scheißerziehung in die Quere, die es mir schwer macht, das zu tun, was in einem solchen Fall angebracht wäre: sofort Knallbarleserfaktor checken, und danach angemessen reagieren.

Die Gurkenlady war sicher den Triple–X–en zuzurechnen, also: Ignorieren und seiner Wege gehen. Aber wie gesagt: Scheißguteerziehung. Ich behandelte die Feldgurkengreisin wie ein Double–A, wenn nicht gar Triple–A, und wandelte den schroffen, schoflen Abgang in einen verzögerten streichelweichen Emo-Schongang ab, der vorschreibt, ein paar freundliche Worte an die Person zu richten und erst dann abzuzischen. War hart.

Wann endlich kann Knallbar wieder der Drecksack sein, der er eigentlich ist? What’s happened to his image? Wenn das jemand sieht?

Man muss sich ja schämen …

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Andreas Niedermann

Andreas Niedermann, 1956 in Basel geboren. Nach einer Laborantenlehre einige Jahre in Europa unterwegs. Informelle Ausbildung zum Schriftsteller in genau 50 ausgeübten Berufen. U.a. als Steinbrecher, Alphirte, Kranführer, Kinobetreiber, Krafttrainer, Koch und Theatertechniker. Seit 1989 mit Familie in Wien lebend. Gründete 2004 den Songdog Verlag. Publizierte einige Romane, Storybände und Novellen. Zuletzt „Blumberg 2 (Die Wachswalze)“ bei Edition BAES.

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