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Alois Schöpf
Mader, Kuhn, Gusenbauer
Über das Dicksein im öffentlichen Leben
Notizen

Wir alle kennen die Buddha-Darstellungen, auf denen der Erleuchtete pausbäckig und mit dickem Bauch aufrecht in Meditationshaltung sitzt oder gelassen, seinen Kopf mit dem Arm abstützend, das Ideal des Nicht-mehr-Anhaftens und der Glückseligkeit darstellt. Bei den meisten dieser Darstellungen müssten westliche Ärzte eigentlich bedenklich mit dem Kopf wackeln und Adipositas im fortgeschrittenen Stadium feststellen.

Bei den alten Chinesen und in vielen anderen Ländern Asiens sah und sieht man derlei Figurprobleme jedoch anders. Dort war, ehe der westliche Lebensstil auch diese Erdteile eroberte, Fettleibigkeit ein Zeichen für Weisheit und Güte. Und da man beides dem erhabenen Gautama zusprechen wollte, formatierte man ihn in demütiger Übertreibung umfänglicher als er in Wirklichkeit, sofern es ihn überhaupt je gegeben hat, war.

Ganz anders verhält es sich mit dem vollkommenen Körperbau im Abendland. Hier dominierte in der Antike das Ideal der Kalokagathia, also die Verbindung von körperlicher Schönheit und geistigen Vorzügen, aus denen sich die vollendete Persönlichkeit ergab, heute noch in ihren plastischen Ausformungen etwa in den Sammlungen des Louvre zu besichtigen, wo sogar ein eleganter liegender Transsexueller seine Rückenansicht darbietet.

Unvorstellbar ist es auch für den christlich sozialisierten Europäer, sich Jesus als den übergewichtigen Sohn Gottvaters vorzustellen. Er ist stets im Gegensatz zu seinem Erzeuger, der eher muskulös über dem Erdenrund waltet, ein schlanker, zu Zeiten der Nazarener geradezu feminin wirkender Jüngling, der, wenn es um die Passionsgeschichte geht, ins asketisch Ausgezehrte abdriftet.

Wen wundert es da, dass wir in unseren Vorstellungen niemals die Beleibten und Dicken mit Vollendung oder Göttlichkeit verbinden, sondern sie als deren hässlichen Gegensatz empfinden, und ihnen in den gottfernen säkularen Zeiten der Gegenwart die Unfähigkeit unterstellen, Herr ihrer Lüste oder, als Angehörige der Unterschicht, zu dumm zu sein, um zu wissen, was für den Körper zuträglich ist. Im übertragenen Sinn unterstellen wir den weniger schwammig denn vielmehr stolz einherschreitenden Leibmächtigen, sich an was auch immer illegitim bereichert und keine Sensibilität dafür zu haben, was jemandem in der Welt zusteht.

Dieses uralte Vorurteil trifft nun auf die in einer Mediengesellschaft offenbar gesellschaftstherapeutische Notwendigkeit, sich in regelmäßigen Abständen einen Sündenbock zu erwählen, um sich durch die kollektive Verurteilung desselben gemäß der Theorie des Anthropologen René Girard trotz aller Widersprüchlichkeiten der verschiedenen Weltsichten im gemeinsamen Ekel vor dem Opfer in moralistischer Empörung zu vereinigen.

So hieß, auf Tirol bezogen, eines der Opfer, dem Ungereimtheiten mit seiner Wohnung vorgeworfen wurden, Helmut Mader, war klein und beleibt, ordensbekränzt, Präsident des Tiroler Landtages und wurde von der opportunistischen Platter-ÖVP aller Ehren, von denen Österreich angeblich voll ist, entkleidet, ohne dass die WKStA, die bekanntlich wegen jeder juristischen Petitesse aktiv wird, jemals Anklage gegen ihn erhoben hätte.

Der nächste hierzulande zwecks kollektiver Empörung erkorene Sündenbock war der wie Helmut Mader nicht minder beleibte Gustav Kuhn, dessen an Falstaff erinnerndes, in Interviews immer wieder geäußertes Bekenntnis zur Sinneslust und zu schönen Frauen dazu führte, dass er am Höhepunkt der aus den USA auch nach Europa schwappenden Metoo-Bewegung am medialen Scheiterhaufen landete und wie ein Ekelpaket auch hier wieder von der landesüblich vor dem Zeitgeist im Staub kriechenden ÖVP, deren Repräsentantinnen sich noch kurz zuvor vom Maestro hatten umarmen und küssen lassen, ins Exil geschickt und seines Lebenswerks beraubt wurde.

Nun ist der jeweils selbstzufrieden in die Kamera grinsende, aus allen Anzugsnähten platzende ehemalige SPÖ-Parteivorsitzende und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer an der Reihe. Und man muss sich, wenn man ihn so anschaut, wirklich am Riemen reißen und zur Selbstdisziplin ermahnen. Denn unweigerlich steigen da Fragen auf wie: Darf sich ein Sozialdemokrat als der Vertreter der Menschen da draußen am Tisch der Reichen und Schönen, die auf vielen Fotos neben ihm stehen, so vollfressen, und darf er, nun im übertragenen Sinn, derart stupende Millionenhonorare verlangen?

Wenn Zivilisation die Domestizierung, die Einhegung der niederen Instinkte des Bürgers bedeutet, dann hat sie in diesem Moment aktiviert zu werden: denn so verlockend es auch sein mag, diesen feisten Kerl namens Gusenbauer als die Karikatur eines SPÖ-Parteimitgliedes zu betrachten, weshalb er schleunigst die Parteimitgliedschaft zurückgeben sollte, so sehr ist die nachgerade langweilige Tatsache in Erinnerung zu rufen, dass eine Verurteilung in einem Rechtsstaat nur den Gerichten zusteht, wofür es genau vorgeschriebene Prozeduren gibt. Was bedeutet: Solange nichts strafrechtlich Relevantes vorliegt, ist es in gleicher Weise schäbig, über Gusenbauer herzufallen, wie es schäbig war einen Helmut Mader aus der ÖVP und einen Gustav Kuhn aus Erl hinaus zu ekeln.

Womit wir bei der vom burgenländischen Landeshauptmann ins Spiel gebrachten Moral angelangt wären. Der Frage zum Beispiel, ob es unsozialdemokratisch ist, reich zu sein oder nach Reichtum zu streben, eine reichlich heikle Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass Friedrich Engels, der Karl Marx fütterte, ein Fabrikant und Ferdinand Lassalle, Gründervater der Deutschen Sozialdemokratie, Sohn eines reichen Seidenhändlers und ein Dandy war. Ebenso, dass Viktor Adler der Sohn eines vermögenden Immobilienmaklers. Bruno Kreiskys Vater war Generaldirektor der österreichischen Wollindustrie und Kreiskys Frau Vera Fürth-Kreisky stammte aus einer Industriellenfamilie. Nicht zu vergessen Bankdirektor Franz Vranitzky, dieser letzte Heros einer noch erfolgreichen SPÖ. 

Mit ihm und seinem Parteigenossen Hannes Androsch aber begann auch die Ära des Nadelstreifsozialismus, der Karieristen aus kleinsten Verhältnissen über die Politik den Zugang zu einem grossbürgerlichen Vermögen verschaffte, das es nun über Stiftungen und ähnlich fragwürdige Konstruktionen zu schützen galt, statt dafür zu sorgen, dass sich auch die Klientel der Kleinen Leute durch ihrer Hände Arbeit ein bescheidenes solches schaffen konnte. Das Engagement der ehemaligen vermögenden Gründerväter ging dabei in gleicher Weise verloren, wie ab diesem Zeitpunkt die Wahlergebnisse zunehmend bescheidener ausfielen. 

Wie auch immer: Die Partei der kleinen Leute ist mit ihren Reichen, weniger mit ihren durch sie Reich-gewordenen, besser gefahren als sie jemals mit dem authentischen Kleinbürger Babler aus Traiskirchen fahren wird.

Wenn also der Reichtum an sich und das Streben danach nicht das Verwerfliche ist, was, Herr Doskozil, könnte es dann sein? Müssten Sie, wenn Sie schon die Moralkeule schwingen, dem Genossen Gusenbauer nicht zumindest nachweisen, dass er zwecks Gewinnmaximierung durch seine Aufsichtsrat- bzw. seine Beratertätigkeit für Ausbeutung und Schlechterstellung der in Benkos Reich tätigen Arbeiter und Angestellten eingetreten ist? 

Wenn sie einen solchen Verrat an den sozialdemokratischen Grundsätzen nicht nachweisen können, ist wohl auch ihre Forderung nach einer Höherbewertung moralischer Grundsätze bei ehemaligen politischen Spitzenrepräsentanten eine zu populistische Hinnahme der niederen Instinkte des Wahlvolkes und des Sündenbocksyndroms.

 

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Ronald Weinberger

    Inhalt, Wort- und Satzwahl in diesem Beitrag: (für mich) ein Genuss! Ich habe mich an all dem derart delektiert, dass ich – wäre das oben Genannte mit Kalorienzufuhr verbunden – einer namhaften Gewichtszunahme anheim gefallen wäre. Ergo: superb! Fünf Hauben! Und drei Sterne obendrein!

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