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Alois Schöpf
Wir versprechen:
Dieses Buch ist spannend!
Eine Ursachenforschung
zum Erfolg von Kriminalromanen

Vom 7. bis zum 13. Oktober 2023 findet in Tirol das sogenannte Krimifest statt, das, groß angekündigt in einer voluminösen Beilage in der Tiroler Tageszeitung, Branchenstars wie Bernhard Aichner, Charlotte Link, Nele Neuhaus und viele andere zu zweifelsfrei wieder erfolgreichen und überfüllten Lesungen einlädt.

Dass ich auf den Besuch dieser erfolgreichen Veranstaltungsreihe dennoch verzichten werde, hat damit zu tun, dass mich Krimis seit Edgar Wallace Zeiten, von dem ich als pubertierender Jüngling so viele Werke las, bis sie einander immer ähnlicher wurden, nicht interessieren: weder im Fernsehen mit seinen unsäglichen Tatort-Serien, noch in Buchform.

Dies hängt zum einen damit zusammen, dass ich die Beschreibung von kriminellen Delikten eher deprimierend finde, und zum anderen damit, dass ich froh bin, in einer Gesellschaft zu leben, in der solche Delikte eher selten vorkommen (im Gegensatz zur Tatsache, dass Joggerinnen und Kinder von Hunden tot gebissen werden).

Aus beiden Gründen ist es mir daher unverständlich, wie die meisten meiner Zeitgenossen fast allabendlich und ununterbrochen, wenn sie nicht gerade eine Dokumentation über Adolf Hitler und das Dritte Reich über sich ergehen lassen, auch im Bereich der Fiction Freude daran finden, einen Blick in die Abgründe der menschlichen Bösartigkeit zu werfen.

Bei genauerer Betrachtung erweist sich die überragende Beliebtheit von Kriminalromanen abgesehen von solch psychohygienischen Argumenten für einen Schriftsteller, dessen erstes Buch, ein Avantgarderoman, vor genau 50 Jahren erschienen ist, jedoch im Hinblick auf die österreichische Literaturgeschichte der letzten Jahrzehnte dennoch als überraschend aussagekräftig.

Voltaires Maxime

Vom französischen Philosophen Voltaire stammt der Satz: Sie können schreiben, was Sie wollen und wie Sie wollen, nur langweilig darf es nicht sein.

Ich könnte nicht behaupten, dass ich mich mit meinem Bucherstling Ritter, Tod und Teufel an diese Empfehlung gehalten habe, wobei ich als Entschuldigung hinzufügen möchte, dass es auch die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen nicht getan haben. Mein Berufsleben als Schriftsteller begann in einer Zeit, in der etwa Oswald Wieners absolut unverständliches Werk Die Verbesserung von Mitteleuropa oder Gert Jonkes Geometrischer Heimatroman erschienen, zwei Bücher, an denen sich begeisterte Germanisten nicht sattinterpretieren konnten. Belletristik hatte, um dem Mainstream zu entsprechen, elitär, abgehoben, in die Form verliebt und realitätsfern zu sein.

Ich spreche hier speziell von den Produkten der damaligen österreichischen Literatur, die von tüchtigen Kulturfunktionären und Subventionsakquisiteuren instrumentalisiert worden war, um eine Art neuer kleinstaatlicher Identität aufzubauen und Österreich auch über die sogenannte moderne Kunst neben seiner Geschichte und seinen wunderschönen Landschaften ein gleichsam literaturtouristisches Profil zu verschaffen.

Lehrer-Literatur

An erster Stelle ist hier an den bezeichnenderweise in Salzburg mit seinen plutokratischen Festspielen angesiedelten Residenzverlag zu erinnern. Mit Ausnahme des alle anderen überragenden Thomas Bernhard wurde in den Büchern dieses Verlages ausgiebig an der Sprache gezweifelt, was dazu führte, dass ganze Werke im Konjunktiv geschrieben wurden, eine läppische Marotte, die Andreas Niedermann in seinem Erinnerungsbuch Schreiben. Selbstbildnis mit Tier präzise als Lehrer-Literatur bezeichnet, ein Begriff, mit dem, etwas vornehmer formuliert, formal verstiegene Werke bis heute auch als Literatur-Literatur eingestuft werden. Ihnen liegt der fundamentale Irrtum zugrunde, man könne durch das Hinterfragen von Sprache und ihre Veränderung bequem vom Schreibtisch aus die Zeitläufte im Sinne der damals gerade aktuellen 1968er Revolution zum Besseren wenden.

Eine solch arrogante Selbstüberschätzung, die etwa den bösartigen Oberlehrer Ernst Jandl in Rage versetzte, wenn man ihn mit Ephraim Kishon verglich, führte ganz im Sinne der Voltaire´schen Maxime zu einer literarischen Ödnis, die oft auch noch durch einen weitgehenden Verzicht auf jegliche Handlung ergänzt und gesteigert wurde. Die Gesetze der Dramaturgie, nach denen der Leser zuerst verführt, dann in der Mitte des Buches oder auch eines Films herausgefordert und zuletzt durch ein schlüssiges Ende wieder besänftigt werden sollte, wurden als reaktionär abqualifiziert.

Gepaart mit der millionenschweren Subventionierung braver Verleger mit ihren braven Verlagen und ihren noch braveren Autorinnen und Autoren entstand über die Jahrzehnte ein Werkkorpus von großem äußeren Glanz und ebenso großer innerer Leere, was zur Folge hatte, dass die Literatur als meinungsbildende Kraft im Laufe der Jahre immer mehr an Bedeutung verlor, sodass heute in öffentlichen Angelegenheiten fast niemand mehr auf die Idee verfällt, Dichter um ihre Meinung zu fragen: diese wird längst als völlig abgehoben, wenn nicht gar als peinlich eingestuft.

Gegen die Langeweile

Die Beliebtheit des Kriminalromans kann also auch interpretiert werden als die durchaus unerwünschte Nebenwirkung des Umstandes, dass das Gros unserer heimischen Literaten und Verlage über Jahrzehnte die Maxime Voltaires Sie können schreiben, wie und was sie wollen, nur langweilig darf es nicht sein sträflich missachtet haben und das kurze Wort Krimi in Wirklichkeit mit dem Marketingversprechen übersetzt werden muss: Verlage und Autoren bemühen sich, Ihnen ein spannendes Buch vorzulegen

Wobei in diesem Zusammenhang ein entscheidender Punkt fehlt: Die allermeisten Produkte der staatlich subventionierten Literaturproduktion der letzten Jahrzehnte handeln bis heute in geradezu deprimierender Weise stets vom gescheiterten Leben bzw. von der Unfähigkeit der Schreibenden selbst, mit sich und ihrem in Verblendung erwählten Beruf als Künstler inklusive aller Abstiegssorgen und Abstiegsfakten zurande zu kommen. Der Leser und die Leserin werden also nicht nur durch formalistische Spielereien und den Verzicht auf Handlung gequält, sondern auch noch durch die intrinsische Impotenz der Verfasser, das Leben zu bewältigen.

So aktuell also die Frage vom Beginn unserer Überlegungen immer noch ist, wie es erklärt werden kann, dass so viele Zeitgenossen mit Genuss allabendlich in die Abgründe der menschlichen Bösartigkeit schauen, so verblüffend ist zuletzt doch die Erkenntnis, dass in fast allen Kriminalgeschichten der Leser am Ende des Buches oder des Films in eine Welt entlassen wird, die besser ist als sie am Anfang war, als das Unheil – der Mord, der Betrug, der Diebstahl, die Gewalt – seinen Ausgang nahm und nunmehr als moralischer Skandal aufgeklärt, beendet und der Gerechtigkeit zugeführt wird.

Krimis sind also nicht nur sprachlich eindeutig, indem das, was geschrieben wird, auch so und nicht anders gemeint ist. Sie sind auch spannend, weil sie sich an die Gesetze der Dramaturgie halten, und sie gehen trotz aller Gräuel zuletzt gut aus, indem eine Schandtat aufgedeckt und die moralische Ordnung wieder hergestellt wird.

Wen wundert es daher, dass Krimis all jenen Bücher, die als zeitgenössische und vor allem als österreichische Literatur in den Buchhandlungen aufliegen, weit überlegen sind und bislang die Verkaufszahlen der Belletristik vor ihrem endgültigen Absturz gerettet haben.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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