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Alois Schöpf
Subventionierte Egomanen:innen
Über die Behinderung künstlerischer Leistungen
durch Regie
Am Beispiel der Inszenierung von
“Le nozze di Figaro”
am Tiroler Landestheater
Essay

Das Innsbrucker Opernpublikum ist in Sachen Musiktheater ziemlich gebildet, frequentieren doch viele Besucher des Tiroler Landestheaters auch die Opernhäuser in München, Wien und Zürich und die Festspiele in Bayreuth, Salzburg, Bregenz, Verona, aber seit einigen Jahren auch in Erl. Auch die Theaterkritik ist wissend, wenngleich, wie das Publikum, viel zu geduldig und harmoniebedürftig. Man kennt sich ja und es ist wirklich unangenehm, bei der Premierenfeier jemanden zu treffen, dem man gerade ausgerichtet hat, er möge den Job wechseln.

So hätte ich auch bei der Premiere zu Le nozze di Figaro letzten Samstag am Tiroler Landestheater beim Schlussapplaus dem Regieteam schon etwas mehr als nur ein paar verschämte Buhrufe gewünscht. Überreife Tomaten, Pfirsiche oder ein paar Eier (Bio vom Berg) wie zu Zeiten Rossinis hätten schon eher gepasst. Denn erneut wurde nach Purcells The Fairy Queen und Nestroys Freiheit in Krähwinkel ein klassisches Stück gemeuchelt. Und zwar nicht irgendein Stück, sondern gleich eines der besten Opernwerke von einem der besten Opernkomponisten und einem der besten Librettisten der abendländischen Musik schlechthin, Le nozze di Figaro von Wolfgang Amadeus Mozart, Musik, und Lorenzo da Ponte, Libretto.

Erschwerend kommt hinzu, dass das dummdreiste Regie-Desaster eine Einkaufsproduktion aus Mannheim/Schwätzingen ist, wodurch zum Kreis der Schuldigen, die von allem Anfang an wussten, womit sie ihr Publikum ärgern würden, auch die Theater-Intendanz gehört, die sich statt der Absonderung woken Gutmenschentums endlich auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren sollte: Optimale Bedingungen für ihre über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schaffen, um sie zu Höchstleistungen zu befähigen und dadurch das Publikum mit exzellenten Aufführungen zu versorgen, bei denen die von den Autoren und Komponisten intendierte Kunst im Vordergrund steht und nicht die aufdringliche Belehrung durch rücksichtslose Oberlehrer:innen.

Zum Glück sind die Kritiker und Kritikerinnen, auch hier im schoepfblog, säkular genug gesinnt, um nicht, wie offenbar die Berufungskommission dieser unsäglichen Intendanz, in postkatholischer Frömmigkeit zu erstarren, wenn sich, um nur ein Beispiel zu nennen, Figaro gegenüber Cherubino über die Freuden des Kriegsdienstes lustig macht und im Hintergrund auf Video Explosionen aus Kriegsreportagen eingespielt werden, um auch noch dem letzten Deppen im Publikum zu verdeutlichen, wovon die Rede ist. Entsprechend fielen denn auch die Kritiken zum Innsbrucker Figaro einheitlich negativ aus, sodass an dieser Stelle der Ärger über all das Halbgebildete, Belehrende, Illustrierende, Propagandistische und Plakative, mit dem die Oper zugepflastert wird, nicht weiter wiederholt werden muss.

Ein Punkt wurde, wie auch bei vielen anderen Regiearbeiten speziell im Musiktheater, allerdings auch nicht im Zusammenhang mit dieser Aufführung thematisiert. Dass nämlich Barbora Horákovás Inszenierung auf eine intrinsische Unmusikalität zurückzuführen ist, ein Nichtbegreifen, was Musik und was insbesondere die Musik Mozarts in einer Oper ist, die vom Begehren und den verschiedenen Arten dieses Begehrens handelt, und dem Versuch, den Kampf um den Zugang zur Lust sozial und kulturell einzuhegen.

Ganz dieser Unfähigkeit entsprechend fallen denn auch die stets notgeilen Männer (Achtung: Feministischer Ansatz einer Dame, die in den Angaben zu Ihrer Person sehr antifeministisch das Alter verheimlicht) über die Frauen her, meist gleich von hinten, Erotik existiert nicht, der Weg vom Wahrnehmen des anderen, von der Sehnsucht bis zur ersten Berührung, Verliebtheit, Liebe, Enttäuschung, Eifersucht, Erinnerung, all diese zeitaufwändigen, genial in Musik übertragenen hochemotionalen Phänomene werden unter sogenannten Regieeinfällen verschüttet. Und die Musik, welche die einzige Ursache ist, dass die Leute das Theater überhaupt aufsuchen, wird zur Nebensache. Die Regisseurin scheint nämlich von der Annahme auszugehen, es mit intellektuell einschichtigen Gehörlosen zu tun zu haben, denen man via Bildsprache begreiflich machen muss, was akustisch passiert.

Als Beleg für diese Beobachtung kann angeführt werden, dass just in dem Moment, in dem zur Abwechslung einmal während der Arie der Gräfin Porgi amor im 3. Akt auf der Bühne nichts passiert und somit endlich einmal der Musik Mozarts Zeit eingeräumt wurde, ihre Wirkung zu entfalten, dementsprechend begeisterter Szenenapplaus aufgrund der überzeugenden Leistung der Sängerin aufbrandete.

Die entscheidende Frage, die in diesem Zusammenhang leider viel zu selten gestellt wird, die jedoch aus der nüchternen Sicht des Arbeitnehmerschutzes vorrangig gestellt werden müsste, lautet somit: Wie kommen eigentlich Sängerinnen und Sänger dazu, in ihrer Kunst, die sie über Jahre hinweg unter großen Opfern entwickelt haben und die sie nun, immerhin an einem ansehnlichen und professionellen Theater, einem großen Publikum präsentieren dürfen, ununterbrochen gestört zu werden?

Wie kommt ein Dirigent dazu, der vom Einstudieren der Rollen am Klavier bis hin zum Premierenabend das komplexe Gespinst einer Oper zusammen zu halten und darüber hinaus auch noch künstlerische Intensität zu vermitteln hat, als nebensächlicher Luftpinsler in den Orchestergraben abgeschoben zu werden? Und wie kommen all die professionellen Musikerinnen und Musiker im Orchestergraben dazu, zu einer Art Soundtrack herabgewürdigt zu werden, um halbgare inszenatorische Ideen zu beschallen?

Da ich mich selbst mit vier Libretti, die ich geschrieben habe, zumindest bei zweien als Opfer der Regie betrachte, weiß ich, wovon ich rede, wenn ich weiter die Frage stelle: Wie kommen eigentlich Komponisten, auch wenn sie wie Mozart oder Purcell schon lange gestorben sind, und wie kommen Autoren dazu, die wie Shakespeare, Nestroy oder Da Ponte ebenso nicht mehr leben, ihre Werke in einer Weise aufgeführt zu sehen, wie es für sie als erfahrene und nachgewiesenermaßen herausragende Dramatiker mit allergrößter Wahrscheinlichkeit niemals ihr Wille gewesen wäre.

Letzte Zweifel, ob dem tatsächlich so ist, erübrigen sich, wenn die Opfer der Regie noch leben und als zeitgenössische Komponisten und Autoren dabei zuschauen müssen, wie das Ergebnis ihrer monatelangen Arbeit sehr oft von Intendanten, Dramaturgen und Regisseuren lediglich dazu benützt wird, um den eigenen Job bzw. die eigene Karriere abzusichern, indem man behaupten kann, berechtigter Weise subventioniert zu werden, weil man sich für das zeitgenössische Musikschaffen einsetzt. Weil man, wie es der renommierte österreichische Komponist Ernst-Ludwig Leitner auszudrücken pflegt, wieder einmal ein Werk ur-ab-geführt hat.

Der US-amerikanische Walt Disney-Konzern handelt also konsequent, wenn er die Erfolgsstücke, an denen er die Rechte besitzt, nur inklusive Regie vergibt. Denn schließlich muss er von seinen Produktionen leben und damit Gewinne erzielen, was bedeutet, dass er ein zahlungswilliges Publikum begeistern und private Sponsoren überzeugen muss. Eine Regie, welche für diese Überzeugungsarbeit die Basis liefert, ist sehr schwierig, verlangt höchste Professionalität und kann ihr Ziel nur erreichen, wenn sie für Werke und Darsteller ideale Aufführungsbedingungen schafft, um damit auch optimale Wirkungen zu erzielen. 

Es geht hier also darum, großes Können fast schon anonym in den Dienst einer Kreativleistung anderer zu stellen, und nicht darum, egomanischen Dilettantismus als neue Sicht auf ein altes Werk zu verkaufen.

Damit soll keineswegs am Sinn unserer subventionierten Theater gezweifelt werden. Speziell in deutschsprachigen Landen ist die Dichte an Orchestern und Opernhäusern ein kulturelles Alleinstellungsmerkmal, das es als Weltkulturerbe zu pflegen gilt. Diese Pflege kann jedoch nur darin bestehen, in gleicher Weise wie bei Disney den jeweiligen Werken und dem Publikum zu dienen. 

Und dies geschieht derzeit am Tiroler Landestheater, aus welchen Gründen verblasener Ideologie auch immer, entschieden zu wenig.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Johannes Vilanek

    Lieber Herr Schöpf!
    Hier lesen Sie meine / unsere Meinung, die Sie ins Netz stellen können / dürfen:
    Wo sind und bleiben die Damen und Herren der Kulturkritik in den verschiedenen Tiroler Medien?
    Frei nach Thomas Bernhard, 1931-1989, „Jedes Wort ein Treffer, jedes Kapitel eine Anklage“,
    formuliert Alois Schöpf die Gedanken zu dieser Inszenierung und spricht damit auch allen Nicht-Buhrufern aus der Seele:
    So werden wenigstens auch die Abonnenten seit
    – Helmut Wlasak, 1967-1992
    – Dominique Mentha, 1992-1999
    – Brigitte Fassbaender, 1999-2012 und
    – Johannes Reitmeier, 2012-2023
    endgültig aus dem Haus getrieben!

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