Alois Schöpf
Frustrierte Idealisten
Immer mehr Berg- und Almhütten bleiben geschlossen.
Notizen
Manchmal kann man so richtig stolz sein auf Tirol. Zum Beispiel, wenn man, keine 20 Minuten vom Stadtzentrum Innsbrucks entfernt, Freunde aus Schweden auf eine der Almhütten am Patscherkofel einlädt, wo bei kleiner Karte und einfachen Gerichten dennoch Haubenniveau geboten wird und die ewig um ihre Linie und ihren korrekten Stuhlgang besorgten Großstädter zuerst nur ein Wienerschnitzel zu zweit, dann doch jeder für sich mit Pommes Frites und gemischtem Salat bestellen und zuletzt alles, stöhnend zwar und begleitet von einer Flasche köstlichen Umathums, ratzeputz aufessen.
Da ist man dann wirklich stolz und erlebt selbst als Einheimischer wieder einmal das Alleinstellungsmerkmal eines Landes, das neben einem perfekten Wegenetz über eine nicht minder attraktive Berggastronomie verfügt. Inklusive sauberer Toiletten wohlgemerkt!
Leider bekommt im derzeit stagnierenden Österreich auch diese Idylle langsam ihre Kratzer ab. So wollte ich vor einigen Tagen meine Bergsaison mit einer Wanderung zu einem äußerst beliebten Almgasthaus der Tiroler Naturfreunde eröffnen, erfuhr jedoch noch rechtzeitig, dass es geschlossen sei, weil man keinen Pächter gefunden habe. Inzwischen hat man im letzten Moment doch noch einen gefunden, der jedoch mit einer anderen Hütte gerade Konkurs gegangen ist.
In diesem Zusammenhang fällt mir auch das sich nun schon über Jahre
hinziehende Drama in Heiligwasser oberhalb von Igls ein, wo die verantwortlichen Grundstücksmillionäre des Stiftes Wilten in christlicher Nächstenliebe inzwischen bereits den dritten Pächter an die Wand fahren lassen, indem sie auf einer Öffnung im Winter bestehen und es zugleich der Patscherkofelbahn Betriebsgesellschaft erlauben, die mit Servitut abgesicherte Zufahrtsstraße zum Wallfahrtsort meterdick mit Kunstschnee zu überhäufen. Die Folge: Was die Wirtsleute sich im Sommer an Gewinnen erwirtschaften, brauchen sie im Winter wieder auf, um damit die Fixkosten bestreiten zu können.
Oder es fällt mir jener Almwirt ein, bei dem eines Tages ein paar Innsbrucker Bürger einkehrten, die sich bei Schnapsl und Plauderei verköstigen ließen, um dann eine Woche später als Finanzer wiederzukommen und dem Senior des Hauses zu erklären, dass er seine Pension zu Unrecht beziehe, weil sie beobachtet hätten, dass er seinem Sohn im Betrieb hilft.
Hierher passen natürlich auch die zunehmend grantigen Mutterkühe, die durch die Freilaufställe und automatischen Melkmaschinen den Menschen nicht mehr gewohnt sind und für unbelehrbare Touristen mit Hunden schon gar kein Verständnis aufbringen. Und natürlich darf in all diesen Überlegungen nicht die Idylle vom Wolf bzw. Goldschakal und Bär fehlen, ein von naturfernen Städtern erträumtes irdisches Paradies, von dem sie sich einen Zugang auf versicherungs-und klagssicheren Wegen, Strom- und Wasseranschluss, Kanalisation und untadelige Hygiene wie in ihrem 4-Sterne Hotel im Tal erwarten. Allerdings zu Almpreisen!
Um ein Almwirt oder eine Almwirtin zu werden, vielleicht gar noch kombiniert mit der Aufgabe, das Weidevieh zu beaufsichtigen, muss man schon ein besonderer Freund der Naturstille, eines verlangsamten Tempos und der Einsamkeit sein. Wenn der Preis für diese selbstgewählte Art eines fast schon aus der Zeit gefallenen Lebensstils, der zugleich mit Arbeit rund um die Uhr verbunden ist, dann mit Hektik, Bürokratie, überbordender Kontrolle und finanziellen Verlusten erkauft werden muss, stellt sich nicht nur die ökonomische Rentabilitätsfrage immer dringender.
Sollten in Zukunft immer mehr Hütten und Almwirtschaften leer stehen, verliert unser Land nicht nur das wichtigste Element seines sommerlichen Charmes: Sich selbst nach einer je nach Kondition immer irgendwie anstrengenden Wanderung mit gutem Essen und Trinken und meist auch in freundlicher Gesellschaft in einer sicheren und schönen Natur zu belohnen.
In diesem Sinne ist bereits Feuer am Dach. Statt bei ihren zeitgeistigen Kongressen über so esoterische Themen wie Nachhaltigkeit und Klimawandel zu schwurbeln, sollten sich unsere Touristiker lieber mit den basics ihres bisherigen Erfolgs beschäftigen und sich dafür einsetzen, dass ihnen selbiger nicht durch selbstverliebte Verblendung still und heimlich abhandenkommt.
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