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Alois Schöpf
Es darf geweint werden!
Die Absurdität der Leitkulturdebatte
am Beispiel Blasmusik
Essay

Als unser Innsbrucker ORF-Großverdiener Armin Wolf den Wiener Neustädter ÖVP-Großverdiener Christian Stocker in der Sendung ZIB2 fragte, ob man auch ein guter Österreicher sein könne, wenn man die Blasmusik nicht mag, erreichte ein Interview anlässlich der aktuellen Leitkulturdebatte, das sich zuletzt nur um die Frage drehte, wer von den beiden mehr als 300.000 Euro im Jahr verdiene, doch noch einen gewissen kulturphilosophischen Höhepunkt.

Denn so sehr es auf der Hand liegt zu antworten: Ja selbstverständlich kann man ein guter Österreicher sein, wenn man die Blasmusik nicht mag, so müsste die korrekte Antwort in Wirklichkeit lauten: Wenn man die Blasmusik mag, kann man genau deswegen kein guter Österreicher sein! Zumindest wenn es sich um jene Blasmusik handelt, wie sie sich derzeit landauf landab präsentiert.

Dabei ist nur am Rande das unglaublich erfolgreiche, in Wahrheit jedoch unsägliche Woodstock der Blasmusik gemeint, ein Massenfestival, das sich in unüberbietbarer Marketingverlogenheit den Namen eines US-amerikanischen Events unter den Nagel gerissen hat, das bis heute den Aufbruch in eine neue Zeit, den Protest gegen den Vietnamkrieg und das Ende des von Amnesie befallenen Nachkriegsspießertums symbolisiert.

Was da hingegen in Oberösterreich auf der Wiese über die Bühne geht, ist kein Aufbruch in eine neue Zeit, kein Protest gegen irgendetwas und keine Abkehr von welchem Spießertum auch immer. Es ist vielmehr die Rückkehr in eine dumpfe Ländlichkeit, deren Aufgabe darin besteht, mit Polka, Schunkeln und böhmischen Terzen die auftretenden Musiker von ihren Anforderungen als Orchesterknechte oder frustrierte Lehrer zu entlasten und die Zuhörerschaft vom Stress, in einer globalisierten Welt das Geld verdienen und fragile Beziehungen vor ihrem stets drohenden Ende bewahren zu müssen, ins Glück der finalen Bier-Ekstase zu befördern.

Das können die ÖVP-Anthropologen doch wohl mit Leitkultur nicht gemeint haben?

Gedacht ist da schon eher an die ca. 2163 Musikkapellen mit ihren 143.000 Musikerinnen und Musikern, die eigentlich, wenn sie tatsächlich so etwas wie Österreichische Kultur repräsentieren würden, in bester Tradition Märsche, Polkas, Walzer und Ouvertüren spielen würden, wie sie es getan haben, als die österreichische Blasmusik entstanden ist und es noch ihre Aufgabe war, in Zeiten fehlender Tonträger die Werke der Kunst- und Unterhaltungsmusik, wie sie in den Opernhäusern und Konzertsälen der Hauptstädte erklangen, in Bläsertranskriptionen ins Land hinaus zu tragen und damit an der aktuellen Entwicklung der Musik durch eigene Aktivität und unmittelbare Begegnung mit dem Publikum teilzunehmen.

Diese Aufgabe wird in zeitgemäßer Form auch heute wahrgenommen, mit dem gravierenden, also zeitgemäßen Unterschied allerdings, dass sich das Österreichische, womit im Rekurs auf das 19. Jahrhundert naturgemäß die Produktion der gesamten Donaumonarchie gemeint ist, aus den Programmen nahezu verflüchtigt hat. Dies geht sogar so weit, dass Kapellen in ihrem Drang nach Internationalität und arrogierter Professionalität auf die Tracht verzichten und als schwarz gekleidete Orchesterdomestiken auftreten.

Gespielt werden auch nicht mehr Stücke, die ihre formalen Parameter von den Werken der großen Meister der Wiener Klassik oder der Unterhaltungsmusik des 19. Jahrhunderts von Strauß bis Lehar ableiten und somit zum Weltkulturerbe der altösterreichischen Unterhaltungsmusik gehören, mit der die Wiener Philharmoniker immerhin alljährlich bei ihrem Neujahrskonzert weltweit Hunderte Millionen erreichen und mit der auch der Niederländer André Rieu das Fernsehpublikum begeistert.

Gespielt wird vielmehr kommerzieller Schrott der internationalen Unterhaltungsindustrie, und dies herunter gebrochen auf das Können stilistisch komplett überforderter, ländlicher Amateure, deren ungebildete Arroganz sie zum Glauben verführt, man könne sich das in Musik ausgedrückte Lebensgefühl der Völker, Kulturen oder Milieus, ohne sonst etwas davon begriffen zu haben,  authentisch auf Basis eines Notentextes aneignen. Und gespielt wird, wenn die Kapellmeister meinen, etwas für die zeitgenössische Kunstmusik tun zu müssen, geschickt instrumentierte bläsersymphonische Schlagermusik, die gerade genug Dissonanzen und zusammengesetzte Takte enthält, dass die Spielenden sich einbilden dürfen, auf der Höhe der Zeit zu sein, die in Wahrheit jedoch immer gleich einfallslos gestrickt ist, mit billigen Schlagzeugeffekten arbeitet und für jeden, der wirklich etwas von Musik versteht, die beschämende künstlerische Verlorenheit von Leuten aufzeigt, von denen behauptet wird, sie würden die traditionelle österreichische Musikkultur repräsentieren.

Nur der ist ein guter Österreicher, der diesen hochsubventionierten Schwindel zurückweist und nicht etwas für eine Leitkultur hält, das in Wirklichkeit schon seit Jahren auf die Zerstörung derselben, sprich auf die Zerstörung einer tatsächlich wertvollen, authentischen und schätzens- und daher schützenswerten Tradition hinausläuft.


Zur Klarstellung:


1. In Österreich herrscht Vereinsfreiheit. Was ein Musikverein und wie ein Musikverein spielt, ist ausschließlich seine eigene Angelegenheit.

2. Dass die allermeisten Musikvereine diese Freiheit nutzen, um zu spielen, was ihren Mitgliedern als ihre Musik im Alltag gefällt, macht sie als Symbol für eine österreichische Leitkultur denkbar ungeeignet. Das Letzte, das vielleicht noch an eine solche erinnert, ist die leere Hülse der Tracht und der Alkoholkonsum. Der Präsident des Österreichischen Blasmusikverbandes Erich Riegler hat also schon Recht, wenn er sich dagegen verwehrt, von der Politik als Symbol der Leitkultur eingespannt zu werden. Nur hat er es natürlich anders gemeint!

3. Wenn nämlich unter Leitkultur ein Bewusstsein für Tradition, die kulturelle Vergangenheit und ein sogenanntes kulturelles Erbe verstanden werden soll, so ist zu bedauern, dass die Blasmusikbewegung sich mittels einer Revolution der Unbildung und der Anbiederung an den Kommerz als Medium der musikalischen Leitkultur, das sie einmal war, verabschiedet hat.

4. Dies nicht bemerkt zu haben, beweist, dass selbst die meisten Politiker zu ungebildet sind, um zu wissen, was Leitkultur ist, weshalb sie besser schweigen sollten.

5. Tatsache ist, dass die österreichischen Musikkapellen über die Musikschulen, die Vereinsheime, die Musikpavillons, die Zuschüsse für Trachten und Instrumente und für ihre verschiedenen Dachorganisationen Millionenbeträge an öffentlichen Geldern erhalten. Das Mindeste, das man von der Politik in diesem Zusammenhang verlangen müsste, bestünde in einer Umschichtung der Budgetmittel vom Kultur- in das Sozialbudget als Belohnung für friedliches, gemeinsames Musizieren um den Preis der Verhunzung der Kunst.

6. Eine wirklich verantwortungsvolle Kulturpolitik des Staates, der Länder und der Gemeinden bestünde darin, in gleicher Weise eine Rückkehr zur Leitbildfunktion einzufordern wie auch, überspitzt formuliert, einem syrischen Migranten mit der größten Selbstverständlichkeit Deutschkenntnisse abverlangt werden. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit sollte auch von unseren kulturell abgewirtschafteten Musikvereinen für das Geld, das sie bekommen, ein Wissen um die eigene Musikgeschichte, Kenntnis der klassischen Musik und ein daraus resultierender zielsicherer Geschmack, und dies vor allem von den Kapellmeistern und den führenden Funktionären der Vereine und Dachverbände eingefordert werden.

Zur Untermauerung der Beobachtung, wie verwüstet die Programme der heimischen Musikkapellen inzwischen real geworden sind, einige zufällig ausgewählte Beispiele der gerade über die Bühne gehenden Frühjahrskonzerte in Tirol. Sie zeigen den vollkommenen Verlust jeglicher Anbindung an die Österreichische Musikkultur und den Ausverkauf an den internationalen Musikkommerz deutlich. Es darf geweint werden!


Fanfare For Symphony Hall / Atlantis / Hymn To The Fallen / The Adventures Of Mutt / Flower Duet / Wyatt Earp / Music / Where Eagles Dare / Alfred Hitchcock Hour / Gruß an Trapani / The 10 Commandments / Harry’s Wondrous World / All Heros United

Sedona / Alvamare Ouverture / Sempre Unita / Galop / Fiesta in Spain / Symphonic Marches / Robin Hood / Theme von Schindlers List / Goldsmith

Appalachian Ouverture / Perger Polka / Corsican Litany / Bassoonissimo / Legenda Rumantscha / Ungarns Kinder / Coldplay in Symphony

Into the Empire / The Last Flight / Polka Diavolo / A Filvar Story / Marsch der Titanen Reloaded / Baba Yetu / All Glory Told / Sweet Memory / 80er Kult(tour) / Viva la Vida

Bellinzona / Incantation and Dance / Concertino für Flöte / Harry Potter / Grease / Gladiator / Otto e mezzo / Star Wars

Montana Fanfare / Music for the Royal Fireworks / Farandole / Friendship Fantasy / Rapture / Triumph of the Optimists / Panorama-Marsch / Pequeña Czarda / Sax, Wind and Funk / Almtaler-Polka

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Anton Gruber

    Ein Kommentar welcher die absolute Arroganz und Überheblichkeit eines erzkonservativen Zeitgenossen beschreibt. Hier wird überdeutlich, dass sich der Schreiber für etwas Besseres hält als der ländliche Pöbel in seiner von ihm beschriebenen Amateurhaftigkeit.
    Ihre Zeilen sind ein gutes Zeugnis ihres Charakters.

  2. Reinhard Kocznar

    Sterling EQ ist eine Band von Frauen, die so toll spielen wie sie aussehen. Der Videoclip mit dem Thema von Caravans von Mike Batt ist eine Augenweide und genauso zu hören. Inzwischen füllen sie das Repertoire inflatorisch mit Mist wie oben angeführt auf, versehen mit dem Zusatz ‚Sterling EQ and Friends‘.
    Entbehrlich. Besser ist nur, dass sie die Inflation ohne Förderungen schaffen.

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