Alois Schöpf
Die Sklaven am Laufsteg
Wie der ORF junge Künstler ausnützt und sich als Retter der Unterhaltungsbranche feiert.
Essay
Was in Wikipedia steht, stimmt in der Regel nicht nur deshalb, weil es in Wikipedia steht, sondern weil insbesondere große Unternehmen durch ihre Lohnintellektuellen die Einträge genauestens überwachen lassen. Dies gilt selbstverständlich auch für den ORF, über dessen Erfolgsproduktion „Starmania“ im digitalen Lexikon folgender Eintrag zu finden ist:
Bei der Teilnahme an „Starmania“ gingen die Kandidaten auch vertragliche Verpflichtungen ein. So müssen alle „Starmaniacs“, einschließlich der Vorfinalisten, aus ihren Erlösen im Zusammenhang mit ihrer künstlerischen Tätigkeit (Auftritte, Interviews, Werbeaktivitäten) über einen bestimmten Zeitraum eine vereinbarte Provision an den ORF zahlen.
Um die Ungeheuerlichkeit dieses kurzen Eintrags zu verstehen, sollte in Erinnerung gerufen werden, dass das Milliarden-Unternehmen ORF im Wesentlichen von den Zwangsgebühren der Österreicher lebt und durch eine über technische Anlagen bedingte de facto Monopolstellung eine mediale Alleinherrschaft ausübt, die ihm nicht nur einen Gutteil des nationalen Fernseh-Werbekuchens sicherstellt, sondern auch in Bezug auf Kunst und Künstler jegliche Kritik an seinen Tätigkeiten zu einem selbstmörderischen Unterfangen macht.
Daher ist es auch verständlich, wenn die Damen und Herren der Theater-, Show- und Unterhaltungsbranche sich, wenn man sie auf die Rahmenbedingungen von „Starmania“ anspricht, in panisches Schweigen hüllen und bestenfalls Gerüchte von einer Art Sklavenmarkt am Laufsteg des provinziellen Showbusiness die Runde machen.
Der ORF unterliegt bekanntlich über das Rundfunkgesetz in der Fassung vom 02.03.2021 dem gesetzlichen Auftrag, dem Publikum einwandfreie Unterhaltung anzubieten.
Die Jahres- und Monatsschemata des Fernsehens sind so zu erstellen, dass jedenfalls in den Hauptabendprogrammen (20 bis 22 Uhr) in der Regel anspruchsvolle Sendungen zur Wahl stehen. Im Wettbewerb mit den kommerziellen Sendern ist in Inhalt und Auftritt auf die Unverwechselbarkeit des öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunks zu achten. Die Qualitätskriterien sind laufend zu prüfen.
Vom läppischen Detail abgesehen, dass die Bestimmung, wonach anspruchsvolle Sendungen zur Wahl stehen sollten, am Tag der Erstausstrahlung der Neuauflage von „Starmania“ am 26.2.2021 insofern nicht eingehalten wurde, als parallel dazu auf ORF 2 der Krimischrott „Der Staatsanwalt“ lief, stellt sich die Frage, ob es sich bei einem Casting-Programm für Show-, Tanz- und Gesangsauftritte nicht vor allem um Kultur handelt, für die laut Gesetz unter besonderer Berücksichtigung der österreichischen Identität hochwertige Programme vorzusehen sind?
Statt sich dieser hohen Aufgabe zu widmen, werden von einem Unternehmen, dessen Generaldirektor nach Berichten der „Kleinen Zeitung“ mit 400.000 € jährlich mehr verdient als der österreichische Bundespräsident und dessen Nachrichtenmoderatoren Jahresgehälter von 100.000 bis 150.000 Euro einstreifen, künstlerische Talente am Anfang ihrer Karriere abgezockt.
Der Österreichische Rundfunk ist, soweit seine Tätigkeit im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Auftrags erfolgt, nicht auf Gewinn gerichtet;
Daraus ergeben sich doch einige interessante Fragen, die sich der wohlig in seinem Lehnsessel räkelnde Zeitgenosse stellen sollte, wenn er arme Jungtalente dabei beobachtet, wie sie sich am Strich der medialen Aufmerksamkeit anstrengen, ihre Karriere in Bewegung zu setzen.
1. Warum verlangt der ORF eigentlich nicht auch von anderen Künstlern, aber auch Wissenschaftlern, die er in seine Studios einlädt, einen Teil ihres Gehalts, ist es doch zweifelsfrei so, dass der Hofsoziologe Peter Filzmaier die Honorare allfälliger Vorträge durch seine belastende Dauerpräsenz im Fernsehen vervielfachen kann. Dies gilt natürlich auch für Allroundgenies wie André Heller, Staatsdichter wie Robert Menasse oder den Prediger des Wahren und Guten Michael Köhlmeier: Es wäre nur recht und billig, von ihnen einen Teil jener Honorare zu verlangen, die sie durch die Geneigtheit unseres höfischen Staatsmediums über Buchumsätze und Auftrittshonorare zusätzlich verdienen können.
2. Wenn das Showgeschäft auch nur am Rande etwas mit Kunst zu tun haben sollte, so müsste doch zumindest allen halbwegs Eingeweihten bewusst sein, dass ein überzeugender Auftritt auf der Bühne eine oft jahrelange Ausbildung etwa zum professionellen Musicaldarsteller voraussetzt. Ebenso dürfte bekannt sein, dass Damen und Herren, die sich einer solchen Ausbildung unterziehen, sich, vor allem auch in Anbetracht einer sich rasch verflüchtigenden Jugendlichkeit, intensiv darum bemühen müssen, so rasch als möglich ins Geschäft zu kommen und dafür auch eher unbedeutende Engagements wahrnehmen. Dass der ORF ausgerechnet von diesen ohnehin meist im Prekariat oder mit minimalen Einkünften Lebenden, von Menschen also, die durch die Corona-Pandemie zusätzlich ohne eigene Ersparnisse oder die Unterstützung ihrer Verwandtschaft die Flucht in die Altenpflege antreten müssten, auch noch einen Teil dieser kargen Einnahmen einstreifen möchte, selbst wenn sie es nicht bis zur Endausscheidung schaffen, ist an Schäbigkeit nicht mehr zu überbieten.
3. Genau diese Bedingungen sind es jedoch auch, die Personen, die eine professionelle Ausbildung hinter sich gebracht haben und die noch über einen letzten Rest von Ehrgefühl verfügen, davon abhalten, sich bei „Starmania“ überhaupt zu bewerben. Da zugleich davon ausgegangen werden muss, dass die für die Sendung Verantwortlichen sich ihre Vertragsbedingungen genau überlegt haben und ihre Folgen genau abschätzen können, kann Ihnen berechtigterweise unterstellt werden, dass sie es genau darauf abgesehen haben: Sie wollen nicht, dass „Starmania“ der professionell ausgebildeten Schar des jungen österreichischen Showgeschäfts dabei hilft, über den staatlichen Rundfunk einem großen Publikum Talent und Leistungen präsentieren zu können. Sie wollen dies nicht, weil es ihnen abseits von Netzwerken und abseits von Verbindungen zu mächtigen Agenturen oder bereits bestehenden Institutionen wie etwa den „Vereinigten Bühnen Wien“ viel zu aufwändig, zu lästig und zu branchenunüblich ist, in Fairness und Freiheit jene zu eruieren, die wirklich die besten sind, und nicht jene, die sich über die seit Jahrhunderten bekannten Hintertreppen eines stets von Miserabilitäten gekennzeichneten Berufsfeldes nach oben kämpfen.
4. In seiner unerträglichen Selbstüberschätzung und Eitelkeit möchte der ORF lieber, – medial zweifelsfrei billiger, ertragreicher und ein Distinktionsgewinn für das Unternehmen selbst – wie Christus der Erlöser durch die Lande ziehen und aus einem Bauernhof dort einen singenden Dödel und einer kleinen Vorstadtwohnung dort eine zwitschernde Göre aus dem Hut der Anonymität ans Licht seiner Heilsbotschaft ziehen und sich, bewaffnet mit Human Touch Stories von besorgten Müttern, weinenden Vätern und Schwanz wedelnden Hunden als der wahre Retter des Österreichischen Showgeschäfts aufspielen, obgleich diese wahren Retter in Wahrheit junge und ehrgeizige Schauspielerinnen und Schauspieler und ihre kundigen und wissenden Lehrerinnen und Lehrer wären, wenn man sie nur machen ließe und würdigen würde.
„Starmania“ hat also mit Nachwuchspflege unter besonderer Beachtung eines kulturellen Engagements und der österreichischen Identität, wie es das Gesetz vorschreibt, nur am Rande zu tun. Die Show dient vielmehr dazu, durch den unmenschlichen Missbrauch junger Leute, die für ihren Auftritt nicht einmal eine Gage bekommen, einem durch unendliche Krimiserien verblödeten Publikum ein voyeuristisches Vergnügen und einem im Bereich der Unterhaltung ohnehin seit Jahren gescheiterten öffentlichen Rundfunk einen billigen Erfolg zu verschaffen.
Lieber Alois,
ins Schwarze treffend geschrieben; dies ist aber nur ein Kritikpunkt von vielen, den momentanen ORF betreffend.
Schöne Grüße
Reinhard Schwabenitzky