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Alois Schöpf
Die Innsbrucker lieben ihre Stadt.
Sie wird seit Jahrzehnten
von bürgerlichen Revolutionären regiert.
Wahlnachbetrachtung

Johannes Anzengruber wurde übel aus der Stadt-ÖVP hinaus intrigiert und als Vizebürgermeister vom Gemeinderat abgewählt. Statt sich jedoch in sein angestammtes Reich als allseits beliebter Wirt zurückzuziehen, trommelte er seine Familie zusammen, nahm einen Kredit von angeblich 300.000 Euro auf und trat zum Gegenangriff an. Gegen den Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky, der als neuer politischer Hoffnungsträger gehandelt wurde, und gegen Christine Oppitz-Plörer, die es nach dem angeblichen Debakel mit der Patscherkofelbahn nicht mehr wagte, als Frontfrau ins Rennen zu gehen.

Beide Strategien scheiterten. Zum einen verübelten die Wähler Tursky und Oppitz-Plörer den schändlichen Umgang mit Anzengruber, zum anderen wurde Tursky als typischer ÖVP-Apparatschik aus den Büros Hofherr/ Platter und Oppitz-Plörer als Strippenzieherin aus der zweiten Reihe wahrgenommen.

Hinzu kam, dass die zu siegessichere FPÖ es nicht lassen konnte, nicht nur von Wien aus dummdämliche Verschwörungstheorien in Sachen Corona, Impfung und EU zu verbreiten, weshalb sie, von der aktuellen Spionageaffäre ganz abgesehen, für viele Bürgerliche aufgrund flagranter Denkschwäche nicht gewählt werden kann.

Aus dieser Konstellation heraus ergaben sich für Anzengruber, der zudem einen sehr geschickten Wahlkampf geführt hatte, ein überraschender Sieg und die große Chance, den amtierenden Bürgermeister bei der Stichwahl am Sonntag den 28.04. abzulösen.

Dabei wäre es fast schon egal, welcher der beiden Herren die Nase vorn hat. Sie scheinen sich zu vertragen, was in diesen hasserfüllten Zeiten Anlass zur Freude gibt, und sie scheinen beide als Regierungspartnerin an Elisabeth Mayr zu denken, die eine der ganz wenigen ernstzunehmenden Politikerpersönlichkeiten der SPÖ Tirol, wenn nicht der SPÖ überhaupt ist. Mit diesem Dreiergespann könnten die Innsbrucker jedenfalls hoffen, dass in ihrer geliebten Stadt endlich wieder etwas weitergeht und die grüne Stagnation der Ära Willi durch die Lust des Unternehmers Anzengruber, Probleme anzupacken, abgelöst wird.

Das war schon einmal so, nur dass unter Romuald Niescher das Grün eher an die Jägerei hinter der Nordkette mit anschließender Freundesrunde in einer der dortigen Almen erinnerte. Diese Ära der Stagnation, die auf die Unruhe zweier Olympischer Winterspiele unter Alois Lugger folgte, wurde bekanntlich vom Leiter des Forschungsinstituts für Forst- und Landwirtschaft der Universität Innsbruck und Schwiegersohn Eduard Wallnöfers Herwig Van Staa durch einen parteiinternen Putsch beendet.

Arm in Arm mit Hilde Zach, anfangs bösartig, dann später fast schon liebevoll Fleischkäs-Hilde genannt, verpasste er Innsbruck einen enormen, vor allem architektonisch sichtbaren Schub, den Zach mit ihm und dann selbst als Bürgermeisterin durch das Engagement Brigitte Fassbaenders am Theater, René Jacobs’ als künstlerischer Leiter der Festwochen der Alten Musik und durch die Gründung der „Innsbrucker Sommerspiele“ abrundete, von denen die inzwischen europaweit bekannten Innsbrucker Promenadenkonzerte übrig geblieben sind.

Nach dem viel zu frühen Tod der charismatischen Hilde Zach folgte ihre junge Weggefährtin aus der Innsbrucker Revolutionstruppe Christine Oppitz-Plörer, deren Verdienste für die Stadt sträflich unterschätzt wurden und immer noch werden. So wurde auf ihr Betreiben, im Gegensatz zum Gutachten angeblicher Fachleute, die von einer neuen Aufstiegshilfe auf den Patscherkofel abrieten, die architektonisch avancierte Patscherkofelbahn gebaut, was aufgrund des Termindrucks zu großen Kostenüberschreitungen führte, die ihr bei den nächsten Wahlen den Sieg kosteten. Unter ihr entstand aber auch das Haus der Musik mit einem der schönsten neuen Konzertsäle Österreichs. Und die neue Stadtbibliothek, die beim Publikum ebenso sofort eine hohe Akzeptanz erfuhr.

Leider konnte Oppitz-Plörer diese ihre Tatkraft nicht mit jener sozialen Intelligenz verbinden, mit der es der oft geradezu schrulligen Zach, auf Stöckelschuhen durch die Fußgängerzone stapfend, gelungen war, mit einem Viertel der Wählerstimmen fast schon diktatorisch zu herrschen.

So gewann die nächste Wahl der freundliche Georg Willi, einem streng konservativen Haus entstammend, aber als Grünpolitiker der ersten Stunde für Innsbruck erneut eine revolutionäre Variante. Seine ebenfalls mangelnde soziale Kompetenz verführte ihn dazu, ohne strafrechtliche Tatbestände und obwohl der Patscherkofel gleich nach Fertigstellung der Bahn von der Bevölkerung gestürmt wurde, der Abwahl Oppitz-Plörers als seiner Vizebürgermeisterin zuzustimmen und Mandatare der eigenen Partei so zu verärgern, dass sie diese aus Protest verließen, sodass er zuletzt ohne Mehrheiten nur noch am Amts-Sessel klebte und, von allen boykottiert, nichts mehr weiterbrachte.

Wenn man ihn nun auf dem neuesten Plakat zur Stichwahl gemütlich auf einer Parkbank sitzen sieht, mit der einladenden Geste, man möge sich für die nächsten Jahre doch neben ihn setzen, so symbolisiert dies wohl seine ganze Ära und das Ansinnen vieler zum urbanen Selbstbetrug neigenden Innsbrucker, die sich, wenn sie vom Patscherkofel oder von der Seegrube aus mit Weitwinkeloptik ins Tal schauen, voll hochalpinen Stolzes eine Weltstadt wünschen, in der es allerdings so ruhig zugehen sollte wie an einem Sonntagnachmittag im vornehmen Stadtteil Saggen.

Die Stichwahl am nächsten Sonntag wird darüber entscheiden, ob sich die Innsbrucker Bevölkerung weiterhin vom Sprung in die Moderne, wie er durch Van Staa, Zach und Oppitz-Plörer erfolgte, unter Aufbietung grüner Argumente erholen möchte, oder ob sie es wieder an der Zeit findet, sich parallel zur neuen Pflasterung in der Altstadt und zur Platzgestaltung vor der Hofburg und Hofkirche bzw. auch am Boznerplatz in Erinnerung zu rufen, dass Innsbruck eine zwar kleine, jedoch vitale, weniger sport- als kulturaffine und stark von einer großen Universität geprägte Minimetropole ist, die sich einen neuen Aufbruch verdient hätte.

Wobei zuletzt die Frage bleibt, ob Johannes Anzengruber, der als Wahlkämpfer Beachtliches geleistet hat, auch als Politiker im täglichen Dienstsessel die Kompetenzen, Kräfte und Fähigkeiten aufbringt, in friedvoller Kommunikation mit seinen Koalitionspartnern diesen Anspruch politisch umzusetzen.

Die Chance dazu sollte man ihm einräumen.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Karlheinz Veit

    Van Staa ein Springer in die Moderne – auf so einen Satz muß man auch erst draufkommen….! Chapeau !

    1. schoepfblog

      Architektonisch stimmt das, obwohl er zunehmend fromm geworden ist.

  2. Otto Riedling

    S.g. Hr. Schöpf!
    Haus der Musik, Stadtbibliothek etc. gut und recht. Nur ein wesentliches Thema – das Wohnen – wurde komplett negiert, und das Scheitern in dieser Frage den bürgerlichen Parteien „angehängt“.
    Georg Willi ließ man mit dem Thema „Vorbehaltsflächen“ komplett „auflaufen“. Das war auch das Thema, mit dem sich KPÖ, ALI etc. etablieren konnten. Außerdem hat man es nicht geschafft, den Hintern zu heben und in den Flächenregionen (Reichenau, Pradl, O-Dorf) Akzente zu setzen bzw. Fuß zu fassen.
    Aus purem Jux und Tollerei hat man die Gestaltung des Vorplatzes des Hauses der Musik scheitern lassen und dafür zur Kenntnis genommen, dass Bundesförderungen nicht abgerufen werden konnten. Sehr BÜRGERLICH war dies nicht.
    P.S. Ich habe am 14.04.2024 BEWUSST meine Stimme Florian Tursky gegeben und stehe auch heute noch dazu.

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