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Alois Schöpf
Das wahre Problem ist die grüne Idylle.
Zum 44. Tourismusforum in Igls bei Innsbruck
Nachbetrachtung

Marketing-Leute können wunderbar Feste organisieren. Insofern war das 44. Tourismusforum in der erlesenen Parkanlage des Congress Igls ein voller Erfolg. Man traf sich wieder einmal, ohne Corona-Einschränkungen, konnte miteinander plaudern und zuletzt bei bester Verpflegung gemütlich zusammensitzen.

Was Marketing-Leute weniger gut können, auch wenn sie davon überzeugt sind, dass es ihre Hauptqualifikation ist, bezieht sich auf die Fähigkeit, rechtzeitig die relevanten Probleme der Gegenwart zu diagnostizieren. Da sie berufsbedingt auf Mehrheiten und Mainstream eingestellt sind, später dominierende Zeitströmungen jedoch immer als Minderheitenprojekte beginnen, waren denn auch die diesjährigen Themen unter den Schlagworten „Personalprobleme im Tourismus“ und „Nachhaltigkeit“ an Banalität nicht zu überbieten.

Was die Personalprobleme betrifft, so kann ich mich erinnern, dass meine Mutter, nachmals berühmte Wirtin des „Wilden Mann“ in Lans, bereits Anfang der 1960-er Jahre an einem Sonntagvormittag in das Nachbardorf Sistrans laufen musste (sie hatte zeitlebens keinen Führerschein), um dort eine Bäuerin inständig zu bitten, zu kommen, um den Abwasch zu besorgen. Was mich ganz persönlich betrifft, so waren die Hauptursachen, weshalb mir das Gastgewerbe niemals attraktiv erschien, obgleich ich dazu ausersehen gewesen wäre, den Wirt zu spielen, dieselben, die auch heute dazu führen, dass Gastronomiebetriebe über Personalmangel klagen: Schlechte bzw. keine Bezahlung, geringe Wertschätzung und vor allem: fehlendes Zeitmanagement!

So uralt das Problem also ist – wie es zu lösen wäre, ist ebenso längst bekannt und stand auch beim Tourismusforum außer Streit. Als Konsumenten werden wir uns darauf einstellen müssen, dass die Preise in den Gasthäusern massiv steigen und Öffnungszeiten und Speisekarten eine ebenso massive Reduktion erfahren werden. Ein Besuch in Skandinavien ist das beste Lehrbeispiel, wie es wahrscheinlich auch hierzulande in Zukunft sein wird.

Womit wir beim zweiten Schwerpunkt des Forums, dem ebenso magischen wie nebulösen Begriff „Nachhaltigkeit“ angelangt wären. Wikipedia definiert ihn als „Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung, bei dem eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung durch die Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme gewährleistet werden soll.“

Wunderbar! Das edle Prinzip hat mit dem Tourismus in gleicher Weise nichts bzw. alles zu tun, wie es auch unser aller tägliches Leben betrifft und vor allem betreffen wird, woraus sich die einfache Schlussfolgerung ergibt: Nachhaltigkeit wird niemandem erspart bleiben, sie wird, sofern je etwas rasch Wirksames gegen die menschengemachte Klimaveränderung unternommen werden muss, uns per Gesetz auferlegt werden. Und sie wird schon allein deshalb eine Notwendigkeit sein, da wir uns weder privat noch als wirtschaftlich Handelnde ohne radikale Einsparungen, Ressourcenschonung und neue Technologien in Zukunft weder Energie, Mobilität, noch Lebensmittel und hier insbesondere Fleisch werden leisten können.

Hier wurde also ganz nach dem Prinzip, die Fahne in den Wind des Zeitgeistes zu hängen, etwas zum Thema gemacht, das längst schon Thema ist und mitnichten den Tourismus allein oder besonders betrifft.

Interessanter als all die sehr allgemein gehaltenen Einlassungen über Nachhaltigkeit ist somit, worüber vor lauter Grünanbiederung nicht gesprochen wurde, obgleich es die Fundamente einer erfolgreichen Tourismuswirtschaft immer massiver bedroht.

Als idealer Einstieg, was damit gemeint sein könnte und worüber vornehm der Mantel des Schweigens gebreitet wurde, bietet sich die Diskussion über die Duldung von Wolf und Bär und die Tatsache an, dass ganze Landstriche wie in Osttirol aufgrund der Genvariante einer einzigen ansonsten weltweit vorkommenden Unkrautpflanze, der Tamariske, unter den Glassturz der ewigen Nichtveränderung gestellt wird.

Ideologisch geschult von Kinderbüchern, in denen mit schönsten Bildchen und freundlichsten Texten herzzerreißende Idyllen aus hübschen Pflänzchen und putzigen Tierleins den jungen Generationen in bester pädagogischer Absicht eingebläut wurden, ist fernab der klassischen Religionen, welche den Menschen aussandten, sich die Natur untertan zu machen, in aller Diffusität und basierend auf den natürlich niemals genau gelesenen Schriften des hochneurotischen Jean-Jacques Rousseau eine neue Naturreligion entstanden.

Der zeitgeistig volkskulturellen Auffassung von Religion entsprechend hat sie das reale hedonistische Leben allerdings nicht sonderlich zu stören. Als Ausgleich dafür wird der katholischen Beichte vergleichbar in einer Art Selbstabsolution das Idealbild einer unberührten Natur und eines paradiesischen Ausgleichs zwischen Flora, Fauna und Mensch als Ideal und Richtschnur zukünftigen Lebens eingefordert. Vor allem natürlich, sofern es andere betrifft! Und Branchen, von denen man selbst nicht lebt!

Nur vor diesem Hintergrund einer solchen psychologischen Gemengelage ist der absolute Wahnsinn zu verstehen, in einem Land, in dem sich die Bevölkerung über Jahrhunderte bemühte, Raubtiere wie Wölfe und Bären loszuwerden, und in dem nicht nur die Bauern von der Almwirtschaft, sondern auch der Sommertourismus geradezu elementar von der erschlossenen und gastronomisch eingehegten Berglandschaft lebt, die Diversität einer steinzeitlichen und idealerweise menschenleeren Urnatur reimplementieren zu wollen.

Nur so ist auch die am Landhausplatz von Innsbruck vom zuständigen Politiker und Landeshauptmannstellvertreter paradigmatisch vorgeführte unhöfliche Hilflosigkeit einer Vertreterin des WWF gegenüber zu verstehen, maßen sich sogenannte NGOs doch inzwischen eine totalitäres Meinungsmonopol und damit eine politische Macht an, die eben nicht nur sprachlos macht, sondern auch in keiner Weise durch demokratische Wahlen durch die von ihren Aktionen betroffene Bevölkerung legitimiert ist.

Nur so ist es zu verstehen, dass gegen den geplanten Zusammenschluss zweier Skigebiete binnen kürzester Zeit, betrieben von einem pensionierten Lehrer mit Hang zur Weltverbesserung, 170.000 Unterschriften zusammenkommen konnten, obgleich die überwiegende Mehrheit jener, die unterschrieben haben, nicht in der Lage wäre, auf einer Landkarte zu zeigen, wo der von Ihnen abgelehnte Zusammenschluss überhaupt errichtet werden sollte.

Nur so ist es zu erklären, dass zwecks Wähleranbiederung windschlüpfrige Tourismuspolitiker dirigistische Maßnahmen verkünden, die an Zeiten des real existierenden Sozialismus erinnern, da offenbar das Gute im Tourismus bei 300 Betten endet und das Böse in Gestalt internationaler Konzerne dortselbst beginnt.

Und nur so ist es zuletzt zu erklären, dass touristisch und wirtschaftlich rückständige Gebiete wie etwa das Obernbergtal weiterhin keine Chance haben, der Entsiedelungsfalle zu entkommen, weil in der Auseinandersetzung zwischen Investoren ohne Geschmack und einer Politik ohne Fantasie und Entscheidungsfreudigkeit die ewige Stagnation angesagt ist.

Die Serie solch katastrophaler Missverständnisse könnte noch lange fortgesetzt werden.

All diese Symptome konnten sich in den letzten Jahren nur deshalb so zuspitzen, weil die Tourismusgesinnung der vom Tourismus betroffenen einheimischen Bevölkerung völlig vernachlässigt und mit zunehmend unlesbaren Publikationen voll von Funktionärsphrasen abgespeist und die ideologische Auseinandersetzung zwischen wirtschaftlicher Prosperität, notwendiger Mobilität und vernünftiger Nutzung der Natur den hübschen Wimmelbüchern frühkindlicher Indoktrination überlassen wurde.

Um nicht missverstanden zu werden: Nicht ein pragmatisches, um Lösungen bemühtes, die Wohlfahrt der Menschen bei gleichzeitiger Achtung der Natur berücksichtigendes grünes Denken ist das Problem. Ein solches Denken wäre und wird sogar die Lösung sein.

Das Problem ist ein naturreligiöser totalitärer Ansatz, der Kompromisse verabscheut, um die Idylle nicht zu verschmutzen. Sie muss als Ausgeburt aktueller Paradiesessehnsüchte einer komplexen, zunehmend unübersichtlichen und damit zunehmend auseinander driftenden Gesellschaft gegenüber unter allen Umständen gerettet werden. Im radikalsten Fall unter dem Leitspruch „credo quia absurdum est“ – satirisch übersetzt: Ich glaube, weil es Unfug ist!

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Gerhard Lumassegger

    Zwei Gedanken dazu:

    1. Die besonders in den Industriestaaten vorherrschende Prämisse, dass der gesamte Raum uns und unseren Haus- und Nutztieren zusteht, ist zu hinterfragen; und wenn man diese Einstellung auf die gesamte Erde umlegt, wird für die Wildtiere kein Platz mehr übrig bleiben.

    2. Betrachtet man die gesamte Besiedlungsgeschichte in unserem Raum, die mindestens vor 7000 Jahren begann oder auch früher, dann kann man diese Phase ohne große Raubtiere von ca. 150 Jahren auch als Besonderheit oder Ausnahme betrachten, das heißt 98 % der Zeit haben wir mit den Raubtieren koexistiert und es ist auch irgendwie gegangen. In unserer Zeit mit unseren technischen Möglichkeiten müsste das eigentlich zu machen sein, ein Wille dazu ist natürlich die Grundvoraussetzung.

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