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Alois Schöpf
Nemo siegt.
Der Muttertag soll abgeschafft werden.
Aus der Rubrik:
Neues aus dem Narrenkastl

Nemo

Mit dem Titel dieses Artikels soll niemand diskreditiert werden. Das gilt es festzuhalten. Auch für alles Folgende. Zum Beispiel, wenn ich auf den diesjährigen Sieger des Eurovision Song Contests (ESC) zu sprechen komme, den aus Biel stammenden, nonbinären Nemo, bürgerlich Mettler, der nach Conchita Wurst, bürgerlich Thomas Neuwirth aus Gmunden am Traunsee, die LGBTQ Community komplettiert hat und die Jury für den nächsten Wettbewerb vor die heikle Frage stellt, wie es mit dem Song Contest und dem Zeitgeist weitergehen soll.

Angesichts der Tatsache nämlich, dass nun fast jede nur mögliche Variante menschlichen Seins der Befreiung aus den Zwängen des alteuropäischen Patriarchats zugeführt wurde und zugleich die Befreiung der Tiere aus den Schlachthöfen einer fleischfressenden Kultur immer unausweichlicher wird, liegt es auf der Hand, dass die besten Chancen im nächsten Jahr ein sogenanntes NHB (Sprich: en-eitsch-bi für: Not Human Being) hätte, was nur eingefleischte Musiker, die noch immer nicht begriffen haben, dass es beim Song Contest nicht um Musik geht, irritieren dürfte.

Zu diesem Zweck allerdings einen Menschenaffen zu nominieren, was nahe läge, erscheint schon allein aufgrund der Bezeichnung des Tiers fragwürdig, obgleich es kein Mensch ist, sondern mit selbigem lediglich 99 Prozent des Erbguts teilt. Ein Prozentsatz übrigens, der vergleichsweise aus radikalfeministischer Sicht einem alten weißen Mann im Verhältnis zu einer jungen woken Frau nie und nimmer zugebilligt würde.

Ganz abgesehen davon könnte die Nominierung eines Menschenaffen, auch wenn es sich dabei um eine Äffin handelt, von vielen TV-Konsumenten doch als Zumutung empfunden werden. Die Evolutionstheorie, wonach der Mensch zwar nicht vom Affen abstammt, aber beide auf die gleichen Vorfahren rekurrieren, gilt eben nicht nur in den evangelikalen Kreisen der USA, sondern neben christgläubigen Konservativen in Europa auch zunehmend dort, wo alles nur für eine zu dekonstruierende kulturelle Konstruktion gehalten wird, als inakzeptable Beleidigung.

Aufgrund der Tatsache, dass Nemo gewonnen hat, wird der nächste ESC wohl in der Schweiz über die Bühne gehen. Dieses Land ist bekanntlich nicht nur durch seine roten Taschenmesser berühmt – sie müssen übrigens in Zukunft so gebaut werden, dass sie aus polizeilicher Sicht nicht mehr als Terrorinstrumente verwendbar sind – sondern auch durch Heidi, die leider ein Mensch ist, und ihren Almöhi, der, noch viel schlimmer, ein alter, möglicherweise übergriffiger Schweizer ist.

Was bleibt also anderes übrig, als unter gemeinsamer Anstrengung aller in der Eidgenossenschaft ansässigen Pharmafirmen und unter Oberaufsicht der ETH Zürich gentechnisch eine Kuh so zu designen, dass sie erstens singen und beim ESC auftreten kann und zweitens zumindest uns Österreicher durch ihre blaue Hautfarbe an die beliebteste Schokolade des Landes erinnert, deren Namen wir ebenso wie unsere dereinst sehr beliebten Zigaretten „Dames“, noch nie richtig ausgesprochen haben.


Muttertag

Womit wir im heimatlichen Österreich gelandet wären, aus dessen Narrenkastl dieser Tage die Nachricht drang, dass nicht nur in einem, sondern gleich in mehreren Kindergärten der Muttertag als überholt und damit das Basteln von Muttertagsgeschenken als überflüssig eingestuft wird. Der Muttertag, so heißt es, würde nämlich traditionelle Rollenbilder verankern und das Klischee der leidensbereiten Mutter verfestigen, weshalb man einen Elterntag daraus machen möge. Dann wäre man übrigens auch der Verlegenheit enthoben, dem Kind zweier Schwuler erklären zu müssen, wo seine Mutter geblieben ist.

Es ist natürlich extrem konservativ daran zu erinnern, dass etwa im römischen Reich mehr Frauen an der Geburt ihrer Kinder starben als Soldaten am Schlachtfeld. Und es ist sicherlich nicht von Bedeutung, wenn ich ganz persönlich einbekenne, dass ich bei der Geburt meines Sohnes anwesend war und diesen Moment, ganz im Gegensatz zu den unendlich betulichen, verlogenen und schönredenden Büchern, die ich als braver Vater vorher gelesen habe, trotz glatten Verlaufs als ein absolut nervenaufreibendes Elementarereignis erlebte, woraus für mich unverbrüchlich folgt: Ich zolle schon allein deshalb allen Frauen, die sich dieser Tortur der Natur unterziehen, meinen tiefen Respekt. Ganz abgesehen davon, dass es nicht wir Männer sind, die in den ersten Zeiten nach der Geburt die Säuglinge stillen. Und auch später, in Zeiten der Karenz der Frau, übernehmen wir, auch aufgrund ungeminderter beruflicher Pflichten, bei den meisten Tätigkeiten wie in der Nacht aufstehen, trösten, das Kind bei Blähungen herumtragen, bis es endlich wieder einschlafen kann, den weit geringeren Anteil.

Das ist alles zur Genüge bekannt, soll jetzt aber offenbar von einigen besonders lauten Bewohnern des Narrenkastls in seiner Bedeutung und Würdigung geschmälert werden. Und möglicherweise stehen die Chancen dafür gar nicht so schlecht, kann man sich doch wieder einmal billig und gefahrlos auf Kosten anderer als fortschrittlich profilieren.

Dennoch zweifle ich nicht, ganz persönlich, an der langfristig größeren Autorität des Mutterseins.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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