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Alois Schöpf
Bläserische Urlaubsfreuden
Zur Musik

Nicht nur aus beruflichen Gründen als Mitarbeiter einer Tourismuszeitung, sondern auch aufgrund meiner Herkunft als Tiroler, einem der touristisch meistgenutzten Länder der Welt, hatte ich Zeit meines Lebens Gelegenheit, mir über die Bedingungen eines gelungenen bzw. misslungenen Urlaubs Gedanken zu machen.

Dass dabei der Traum vom irdischen Paradies, bestehend aus nebenwirkungs-freiem Schlemmen, Vertilgung von Alkoholika sonderzahl und nicht enden wollenden Liebesnächten eine zentrale Rolle spielt, muss sich wohl jeder und jede ehrlicherweise eingestehen. Dass die Realitäten meist anders aussehen, allerdings ebenso. Dennoch halten die meisten Menschen ihren geheimen privaten Mythen die Treue, weshalb trotz alljährlicher Enttäuschungen das Klischee vom garantierten und buchbaren Glück inmitten eines oftmals zu sehr abgewerteten Alltags unhinterfragt bleibt.

Ganz dieser kollektiven Verirrung entsprechend betrachtete auch ich die von guten musikalischen Freunden empfohlene Idee mit Skepsis, während des Sommers eine Woche Urlaub nicht mit meiner Familie, sondern mit meiner Klarinette zu machen.

Und um es gleich vorweg zu nehmen: Selten habe ich es erlebt, dass ich so radikal und gleichzeitig so voll von Freude und Erfüllung aus meinem üblichen Lebenstrott in ein musikalisches Paralleluniversum katapultiert wurde, das schon deshalb keine Wünsche offen ließ, weil die Erwartungen nicht unter dem ewigen Diktat des Glücklich-sein-müssens, sondern eher unter dem Leitsatz „Schauen wir einmal, was da auf mich zukommt“ standen.

Es gibt viele schöne Orte mit einer gastfreundlichen Bevölkerung. Es ist also nicht notwendig, hier in besonderer Weise für Österreich Tourismuswerbung zu machen. Dennoch darf nicht unerwähnt bleiben, dass Bad Goisern im Salzkammergut in der Nähe des magischen Hallstättersees mitten in einer der schönsten Landschaften des Voralpengebietes gelegen und ein freundlicher kleiner Flecken ist, in dem alle mit den Gästen gleich per Du sind, ohne dass dies aufdringlich wäre, und in dem vorzügliche Gasthäuser beste österreichische Küche und Kaffeehäuser großartige Konditoreiwaren aus klassischer Tradition anbieten.

Das Verhalten der Einheimischen insbesondere den Hunderten von Musikerinnen und Musikern gegenüber, die sich mit ihren teilweise umfänglichen Basstuben-, Fagott- und Baritonsaxophonkoffern Ende August und Anfang September alljährlich zu den zwei je einwöchigen Kurswochen versammeln, vermittelte zumindest an jenem Montag, an dem der Unterricht für mich begann, besondere Freundlichkeit.

Dies hing wohl auch damit zusammen, dass der Ort am Nachmittag zuvor unter einer Rallye von zweifelsfrei sehr wertvollen Oldtimern zu leiden hatte, die meist von älteren, oft noch mit den Resten eines grauen Rossschwanzes bewehrten Herren inklusive ihrer aufgedonnerten Ehegesponsen im Retrolook mit ohrenbetäubendem Krach durch die Gassen des kleinen Ortes gelenkt wurden, was den offenbar kunstsinnigen Bürgermeister von Bad Goisern bei seiner Eröffnungsrede zu den Bläserwochen zur Bemerkung veranlasste, er sei nicht unbedingt über jedes Event in seinem Herrschaftsbereich froh.

Abgesehen von einigen Musiklehrern, die als Unterrichtende ebenfalls aus Tirol nach Bad Goisern angereist kamen, waren mir von den etwa zweihundert Damen und Herren auch älteren Kalibers, was mich beruhigte, da ich nicht schon wieder den Methusalem spielen wollte, allesamt unbekannt. Das änderte sich jedoch im Laufe der nächsten Tage durch die verschiedenen Ensembles, in denen man mitspielen konnte, sehr rasch und vermittelte gerade einem Menschen wie mir, der ich nun einmal als Journalist und Schriftsteller berufsbedingt neugierig bin, Einblick in die verschiedensten Berufe und Lebensbereiche. Dabei standen niemals die voyeuristische Selbstentblößung, sondern immer die Musik und das gemeinsame Musizieren, an bestimmten Tagen bis zu sechs Stunden, im Vordergrund.

Diese ungezwungene persönliche Begegnung stiftete dennoch rasch den Beginn möglicherweise längerer Freundschaften, die musikalische Begegnung wiederum erlaubte die interessante Erkenntnis, dass noch so perfekte Technik am Instrument keine Garantie dafür ist, dass damit auch der Zusammenklang im kleinen Ensemble gegeben ist.

Den Organisatoren der Bläserwoche von Bad Goisern gebührt großes Lob dafür, dass es ihnen offenbar immer wieder gelingt, hervorragende Orchestermusiker als Lehrer zu engagieren, die zugleich über ausreichend Fähigkeit verfügen, einen Amateur mit seinen für einen Profi zweifelsfrei enervierenden Problemen einfühlsam zu behandeln.

Interessant an den Proben in größeren Ensembles war die Beobachtung, dass nicht nur Musikerinnen und Musiker Angst vor der Gestrenge eines Dirigenten haben, sondern auch Dirigenten sich vor einem Orchester fürchten, dessen Mitglieder sie nicht kennen. Dies veranlasst sie offenbar immer wieder zur Auswahl von Stücken, deren rhythmische und technische Schwierigkeiten sie davor bewahren, wirklich zeigen zu müssen, was sie als empfindende Musiker „drauf haben“, eine Fähigkeit, die nach der technischen Bewältigung eines Stücks zwecks Anstiftung zu mitreißenden Emotionen unabdingbar ist, jedoch ausbleiben kann, solange noch gestümpert wird.

Apropos stümpern: Es ist schlichtweg faszinierend und unvergesslich, wenn Jugendliche, meist weiblichen Geschlechts, hübsch anzusehen und liebenswürdig in ihrem ganzen Gehabe, coram publico ein virtuoses Können an den Tag legen und am Ende einer halsbrecherischen Passage sich aus Freude über ihr eigenes Können voll Stolz umschauen und fröhlich lachen.

Solche jungen Leute, man kann es nicht oft genug betonen, haben bereits sehr früh drei wesentliche Dinge des Lebens begriffen: Dass von nichts nichts kommt! Dass man, wenn man etwas können möchte, dafür viel üben muss. Und dass es wohl kaum eine größere Freude gibt, als mit anderen, die ebenfalls, in welchem Bereich auch immer, viel geübt haben und viel können, etwas gemeinsam zu unternehmen, im konkreten Fall: gemeinsam zu musizieren.

Bleiben nur noch zwei Dinge hinzuzufügen: Zum einen kann ich den Ratschlag, den ich von meinen Musikerfreunden erhalten habe, einmal eine Bläserwoche wie in Bad Goisern auszuprobieren, nur dankbar weitergeben. Der scharfe Schnitt, mit dem mein übliches Leben dadurch unterbrochen wurde, erwies sich nicht nur als Glücksfall von wenigen Tagen, sondern als Perspektivenwechsel, der bekanntlich immer mit der Befähigung verbunden ist, vieles, was man ansonsten zu ernst nimmt, weniger ernst, in diesem Fall von schönen Klängen besänftigt zu nehmen.

Zuletzt jedoch erfolgte aus den Tagen einer intensiven Auseinandersetzung mit Lehrern, Notentexten mit ihren Tücken und technischen Schwierigkeiten, mit Mitspielenden, vor allem jedoch auch, angeleitet von Fachleuten, mit dem eigenen Instrument als einem Medium, das begriffen, im Falle der Klarinette mit dem richtigen Mundstück und dem richtigen Blatt bestückt und nach dem Spiel entsprechend gereinigt werden muss, ein feststellbarer Fortschritt, ja in gewissen Bereichen ein kleiner Quantensprung in Sachen Spieltechnik und Tongebung. Und eine daraus abgeleitete Motivation, sich weiterhin der unlösbaren Aufgabe zu widmen, irgendwann etwas zu können.

Wenn es möglich ist, bin ich nächstes Jahr wieder dabei! Das weiß ich bestimmt.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Leitner Franz-Josef

    Sehr geehrter Herr Schöpf, lieber Alois, bin von Deinem Artikel ganz begeistert. Bin ein echter Goiserer, spiele auch ab und zu Klarinette, zwar bescheiden aber immerhin. Bitte weiter so und vielleicht sehen wir uns irgendwann beim nächsten Bläserurlaub. Beste Grüße Franz Leitner!

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