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Literarische Korrespondenz:
Alois Schöpf an die Egerländer-Fans
Betrifft:
Antwort an meine Kritiker

Sehr geehrte Damen und Herren!

Meinen Überlegungen möchte ich drei Grundsätze voranstellen:
1. Ich habe nicht die Weisheit mit dem Löffel gefressen. Sie auch nicht.
2. Wer austeilt, muss auch einstecken können.
3. Und im Umkehrschluss. Wer einstecken muss, darf auch austeilen.

Vor dem Hintergrund dieser Präambel zur österreichischen Konsenskultur komme ich nicht nur der Aufforderung einiger Leserbriefschreiber nach, Ihnen eine Antwort zu geben, ich möchte mich auch gegen einige ungerechtfertigte, untergriffige und beleidigende Angriffe verteidigen und zugleich den Versuch unternehmen, drei wesentliche Argumente noch einmal klar darzustellen.


1.

Die einfachste Methode, mit missliebigen Kritikern umzugehen, besteht naturgemäß darin, Ihnen die Kompetenz abzusprechen. In diesem Sinne bedanke ich mich sehr herzlich für die Gelegenheit, meine musikalischen und musiktheoretischen Kenntnisse, ohne der Eitelkeit bezichtigt werden zu können, in Erinnerung zu rufen.

Als Gründer und langjähriger künstlerischer Leiter der Innsbrucker Promenadenkonzerte habe ich nicht nur über 500 Konzerte organisiert und dramaturgisch begleitet, sondern im Rahmen derselben durchschnittlich 10 Stücke pro Konzert genauer kennengelernt. Dies ergibt in Summe ca. 5000 Stücke.

Als am Konservatorium in Innsbruck staatlich geadelter Blasorchesterleiter hatte ich über 20 Jahre lang Gelegenheit, ca. 300 Stücke mit verschiedenen Blasorchestern und Musikkapellen einzustudieren, wobei Werke der sogenannten böhmischen Provenienz einen nicht unwichtigen Anteil dabei ausmachten und von mir besonders geschätzt wurden. Beweis dafür sind 5 CD-Einspielungen.

Das goldene Verdienstkreuz wurde mir vom Österreichischen Blasmusikverband vor einigen Wochen nicht nur wegen meiner Verdienste um die Innsbrucker Promenadenkonzerte verliehen, sondern auch, weil ich als Musikschriftsteller seit Jahren die Blasmusik- und Bläserszene kritisch begleite und in mehr als 100 verschiedenen Artikeln in allen namhaften Fachzeitschriften zur Diskussion anregte.

Ebenso habe ich als Schriftsteller mehrere Bücher verfasst, welche die Bläserszene zum Gegenstand haben, so etwa den Provinzklassiker „Heimatzauber“, die Hommage an die Blasmusik „Platzkonzert“ oder das Fachbuch „Das erfolgreiche Konzert“, das sich mit dem Management eines Musikvereins beschäftigt.

Nicht vergessen möchte ich 4 Opernlibretti, die ich für die Komponisten Ernst Ludwig Leitner, Florian Bramböck und Michael FP Huber verfassen durfte und die allesamt an renommierten Bühnen aufgeführt wurden bzw. werden. Begleitet wurden alle diese Tätigkeiten durch das lebenslängliche, fast tägliche Anhören von klassischer Musik, Jazz und fallweise Volksmusik und durch eine inzwischen 30-jährige amateurhafte Liebe zum Klarinettenspiel.

Ich sehe also keinen Anlass, mich von irgendeinem meiner hochmögenden Kritiker als inkompetent bezeichnen zu lassen.


2.

Abgesehen davon, nicht die Autorität zu besitzen, über die kompositorische Qualität und die Qualität der Aufführung der Egerländer Musik urteilen zu dürfen, zielt der zweite Vorwurf gegen mich darauf ab, dass ich arrogant sei und es mir nicht zustehe, eine bestimmte Musik abzuqualifizieren, da jede Musik gleichwertig neben jeder anderen zu akzeptieren sei, sofern sie von den Menschen geliebt werde und ihre Herzen erreiche.

Ich darf daran erinnern, dass ich in meinem Artikel in erster Linie jene Herren und Damen im Publikum ansprach, von denen ich weiß oder zumindest mit guten Gründen annehmen konnte, dass sie erfahrene und sehr oft auch gute Musiker sind, die eine meist lange Ausbildung durchlaufen haben. An sie richtete ich in erster Linie die Frage, wie ihnen eine solch langweilige und lieblos heruntergefetzte Musik gefallen könne. Ebenso richtete sich meine Frage auch an die mit öffentlichen Geldern finanzierten Musikschulen und Musiklehrer, denen es offenbar nicht gelungen ist, ihren Schülern einen einigermaßen treffsicheren Musikgeschmack zu vermitteln.

Womit wir doch beim Kern der Sache angelangt wären: Wenn im Hinblick auf einen Kitschwalzer der Egerländer oder den Song der liebenswürdigen Helene Fischer und einer Sopran-Arie aus Mozarts Don Giovanni nicht mehr darüber diskutiert werden darf, welches Stück künstlerisch hochwertiger ist, würde sich nicht nur im Bereich der Musik jegliche Wertschätzung für Bildung erübrigen. Wobei Bildung und ein ihr geschuldetes lebenslanges Lernen nicht Selbstzweck sind, sondern ihr Ziel im Idealfall darin besteht, die Menschen zum eigenen Vernunftgebrauch und damit zu einem glücklicheren, freieren, interessanteren und reicheren Leben zu befähigen.

Dies ist denn auch der Hauptgrund meiner leidenschaftlichen Kritik an der kommerziellen Zumutung der Egerländer. Ich würde allen Musikfreunden, die da begeistert auf die Bühne blickten, eine bessere und eine beglückendere Musik wünschen und weiß ganz bestimmt, dass es diese Musik für sie gibt. Sie zu genießen ist jedoch nur möglich, wenn die Debatten über gute und schlechte Kompositionen, gute und schlechte Aufführungen möglich und erwünscht sind und auch, ohne abseitige Beleidigungen, geführt werden.

Solche Debatten werden derzeit jedoch nicht geführt: Die Fans der sogenannten ernsten Musik kümmern sich nicht um die Fans der Unterhaltungs- und Popularmusik. Man ist sich nur in der gegenseitigen Verachtung einig, die übrigens auch beredt aus den mir zugegangenen Mails spricht.

Dieser Zustand ist deprimierend für beide Seiten, vor allem jedoch für die Musik selbst eine Katastrophe: Die Unterhaltungsmusik, für die in besseren Zeiten immerhin ein George Gershwin komponierte, ist immer mehr in die Fänge kommerzieller und medialer Quotenhurerei geraten, wohingegen die sogenannte ernste Musik sich in abgehobener Verblasenheit in die unbeachteten Mitternachtstermine kultureller Minderheitenprogramme zurückgezogen hat. Zwischen beiden Polen existiert keine Kommunikation.

Auf der Strecke bleibt zugunsten eines immer langweiligeren, auf wenige Klassiker eingedampften Konzert- und Opernprogramms jene Moderne, die es zwar gibt, die vom Publikum akzeptiert und geliebt würde, die jedoch von den Opfern der kommerziellen Musikindustrie als zu anstrengend, von den subventionierten Avantgardisten hingegen als zu simpel abgetan wird. Und auf der Strecke bleibt eine Unterhaltungsmusik, von der aus der Übergang, wie es alle musikalisch bedeutenden Epochen bisher bewiesen haben, zur sogenannten ernsten Musik fließend ist, wenn sie etwas taugt.


3.

Besonders kritisiert wurde ich, möglicherweise sogar zu Recht, für meine Beschreibung der Musiker als übergewichtig und bluthochdruckgefährdet. Ich habe diese politisch unkorrekte Bemerkung ganz bewusst gemacht und darf als Grund dafür anführen, dass die bewunderten und weltweit bekannten Musiker der Egerländer naturgemäß eine Vorbildwirkung haben und mit ihrem Auftritt eine bestimmte, vor allem in ländlichen Gebieten beliebte Lebenskultur repräsentieren und durch ihre Musik hochleben lassen.

Da ich aus dieser Kultur selbst komme und sie also genau kenne, ja geradezu jahrzehntelang miterlebt habe und daher auch im ganz privaten Sinn mit ihr zu kämpfen hatte, indem mir weder Übergewicht, noch Bluthochdruck, noch zum Glück ein längst überwundener übermäßiger Zigaretten- und Alkoholkonsum fremd waren und sind, betrachte ich es als ein besonderes Anliegen, gerade jene Zeitgenossen, von denen sich durch meine Bemerkungen möglicherweise einige besonders angesprochen bzw. beleidigt fühlen, unüberhörbar, ja man kann mir durchaus vorwerfen, „gouvernantenhaft“ auf die gesundheitliche Fragwürdigkeit ihres Lebensstils hinzuweisen.

Gerade dieser Tage vermeldete eine Aussendung der österreichischen Pensionsversicherung, dass gebildete und meist dadurch auch besser gestellte Personen um 6 Jahre länger leben und um 6 Jahre länger ihre Pension beziehen, obgleich unser allseits geschätztes Gesundheitssystem allen und dies fast kostenlos zur Verfügung stünde.

Ist es vor diesem Hintergrund wirklich so unverschämt, ein Publikum, das ganz offensichtlich zum kurzlebigeren Teil der Bevölkerung gehört, dazu aufzufordern, sich nicht unreflektiert von Wohlklängen benebeln zu lassen, sondern aus Eigeninitiative heraus ein gesünderes und damit, zumindest wenn es nach der Statistik geht, wesentlich längeres Leben anzustreben? Vielleicht auch ein glücklicheres. Darüber jedoch eine Aussage zu tätigen, wäre wirklich arrogant.

Mit besten Grüßen und der Bitte, mich nicht weiterhin zu beschimpfen, sondern in eine Diskussion auf Augenhöhe einzutreten.
Alois Schöpf

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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