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Elias Schneitter
Ein gutes Pferd zieht noch einmal.
Fortsetzungsroman
Folge 5
Meine arme adelige Mutter

Zwei Menschen auf der Suche nach etwas Glück. Eine Geschichte, getragen von Elias Schneitters – bei aller kritischen Distanz – warmherziger Empathie für die sogenannten einfachen Leute, denen auch noch unter den schwierigsten Umständen die Möglichkeit eines zuletzt guten Lebens erhalten bleibt.

Hintergrund der Erzählung ist die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Krieg. Die Ehe der beiden Hauptpersonen steht unter keinem guten Stern. Trotzdem stellen sie sich den Fährnissen des Schicksals, getrieben von der Sehnsucht nach einem halbwegs menschenwürdigen Dasein, nach etwas Wohlstand, vor allem aber nach ein wenig Freundschaft und Liebe.


5. Kapitel

Meine Mutter stammte aus ärmlichen Verhältnissen, obwohl ihr Vater auf eine nicht uninteressante familiäre Vergangenheit hätte verweisen können. Aber das lag ganz, ganz lange zurück und hatte keine Bedeutung mehr. In den Dreißigerjahren lebte die Familie meiner Mutter in einem abgewohnten Zinshaus in der Schöngasse, wo Familien mit vielen Kindern untergebracht waren und wo der Besitzer oft ein großes Herz bewies, weil er bei den Mietzahlungen recht nachsichtig war.

Meine Großeltern hatten mit ihren fünf Kindern im ersten Stock des Bangeterhauses ihre Unterkunft. Nicht gerade paradieshafte Zustände, wenn man sich die Wohnverhältnisse vor Augen führt. Aber das war im ganzen Haus nicht anders.

Alle fünf Kinder hatten in den schwierigen Zeiten das Licht der Welt erblickt, zwischen 1927 und dem Jahr 1938. Zuerst Hermann, dann folgte meine Mutter Brunhilde, dann Josef, dann Albert und als jüngstes Stefan.

Meine Großeltern mütterlicherseits trugen den Namen Gutleben, wenn man so will, sogar „von Gutleben“, denn der Familie wurde 1611 das Adelsprädikat verliehen, wobei die jahrhundertealte Ahnentafel einige besondere Persönlichkeiten auswies, wie eine Äbtissin, einen Richter, einen weitum bekannten Baumeister und eine Vorkosterin bei Hof, was immer das auch gewesen sein mag.

Sofern jemals Vermögen vorhanden gewesen war, im Laufe der Jahrhunderte war nichts mehr übrig geblieben, genauso wie von der Monarchie nicht viel mehr als Erinnerungen vorhanden waren. In späteren Jahren interessierte sich meine Mutter für die Genealogie ihrer Familie, ließ sich das Adelsprädikat und das Familienwappen in Wien ausheben und sich einen Siegelring anfertigen.

Manchmal meinte sie – und ich vermute, sie tat dies nicht nur aus einer Laune heraus –, dass in ihren Adern blaues Blut fließe. Mein Vater betrachtete das Ganze eher von der heiteren Seite, wenn er diesbezüglich im Spaß von ihrem ziemlich heruntergekommenen Geschlecht sprach.

Diese Vergangenheit spielte natürlich längst keine Rolle mehr und mein Großvater brachte die aktuelle Situation immer wieder auf den Punkt: Gutleben heißen und nichts zu fressen haben!

Großvater war eine lebensfrohe Künstlernatur, ein begnadeter Zeichner und Holzschnitzer, ebenso wie er ein hervorragender Sänger und Theaterspieler war. Ein geselliger Mensch, der es liebte, mit seinen Freunden und Bekannten ein Glas zu trinken und für Unterhaltung zu sorgen.

Einmal saß eine Runde bei ihm zu Hause in der Küche und einer der Beteiligten hatte eine Münze parat, die sie in eine Flasche Schnaps (früher wurde Schnaps getrunken, weil er die größte Wirkung hatte und die geringsten Kosten verursachte) vom Kaufhaus Glatz investieren wollten. Der Boden der Küche war aus rustikalen Holzbrettern und wie es der Teufel haben wollte, fiel diese Münze in einen Schlitz und trotz mehrerer Versuche war sie nicht herauszubringen.

Die Runde war stark angeheitert und mein Großvater wusste sich in dieser prekären Situation keinen anderen Rat, als die Holzhacke zu Hilfe zu nehmen, womit das Problem gelöst wurde. Die Geschichte wurde in unserer Familie oft erzählt, wenn von Großvater die Rede war. Die kleine Begebenheit könnte aber dazu verleiten, ein falsches Bild von ihm zu bekommen, denn Großvater war alles andere als ein rüder Trunkenbold.

Wenn seine Kinder später von ihm erzählten, dann wurde immer voll Hochachtung von ihm gesprochen. Ach, unser Vater …, hieß es vielsagend und dabei schwangen stets Verehrung und Wertschätzung mit.

Die Geschichten über Großvater hatten mich immer beeindruckt, obwohl ich persönlich nur wenige Erinnerungen an ihn habe. Er starb, als ich gerade fünf war.
So soll er bei Tisch stets als Letzter vom Essen genommen haben, denn er bediente sich erst, wenn alle Kinder genug bekommen hatten.

Was Lebensfreude und Fröhlichkeit anlangte, war meine Großmutter aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Sie war eine schwer depressive Frau. Damals wurde dieser Ausdruck noch nicht so landläufig verwendet wie heute, früher sagte man einfach, dass jemand spinnt. So war meine Großmutter für viele einfach die Osttiroler oder die Pustertaler Spinnerin. Jedenfalls scheint, was Großmutter und Großvater betraf, die alte Weisheit, dass sich Gegensätze anziehen, ihre Richtigkeit zu haben.

Meine Großmutter hatte ein schweres Schicksal zu tragen, von dem sie sich ihr ganzes Leben nie lösen konnte. In ihrer Jugend überlebte sie mit viel Glück die damals grassierende Englische Grippe, die ihr mehrere Monate gesundheitlich heftig zusetzte, und kaum, dass sie wieder einigermaßen auf den Beinen war, wurde sie schwanger.

Ihr Liebhaber war ein schneidiger, wortgewandter Mann, der auch bereit gewesen wäre, sie zu heiraten, aber sein attraktives Äußeres wirkte nicht nur auf meine Großmutter. Darum lehnte sie den Heiratsantrag ab. Trotzdem wurde sie von ihm ein zweites Mal schwanger und damit war die Katastrophe perfekt. Ihre strenge Mutter setzte sie auf die Straße. Die Schande zweier lediger Kinder wollte man sich auf einem katholischen Bauernhof in einem Osttiroler Dorf nicht leisten.

Die Landwirtschaft meiner Urgroßeltern war der Moarhof in Patriasdorf, damals eine eigene Gemeinde, heute von der Bezirksstadt Lienz eingemeindet. Der Moarhof war zu Zeiten meiner Großeltern einer der größten Höfe weitum.

Meine Großmutter flüchtete nach Innsbruck, wurde dort von der Arbeitsvermittlung in der Domgasse ins Hotel Post in Zirl als Zimmermädchen vermittelt, während ihre beiden Kinder eine Zeit lang bei einer Verwandten in Ainet untergebracht wurden, ehe sie sie auf fremde Bauernhöfe gab.

Nach einer Theateraufführung der Dorfbühne Zirl, die im Theatersaal des Gasthofs Post stattfand, lernte sie meinen Großvater kennen, der sich auf der Stelle in sie verliebte und in der Folge unnachgiebig um sie warb.

Obwohl meine Großmutter sehr misstrauisch war, ließ sie sich eines Tages doch dazu überreden, ins Haus des Großvaters mitzukommen. Dort wollte er ihr eine seiner Schnitzarbeiten zeigen und ihr auch eine Schmuckkassette aus Zirbenholz schenken. Dieses Geschenk sollte neun Monate später zur Welt kommen und den Namen Hermann tragen.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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