Print Friendly, PDF & Email

Literarische Korrespondenz:
Hans Eller zu „Tradition mit Erbverzicht"
Beigefügt:
Otto Ulf, Begründer der Festwochen der Alten Musik:
Neue Ziele in der Blasmusik
Ein Referat aus dem Jahre 1960

Lieber Alois,

gestern hat mir mein Bruder Dein Apropos in der TT geschickt. Dazu ganz zuerst: Mein aufrichtiger Dank für Deinen nach wie vor ungebrochenen Einsatz in Sachen Blasmusik in Tirol. Und das alles nach Deinem engagierten Wirken als überzeugend kämpfender Jugendreferent einer Landkapelle, als erfolgreicher Kapellmeister von renommierten Stadtkapellen und als international anerkannter Veranstalter der Promenadenkonzerte in der Innsbrucker Hofburg. Chapeau!

In Deinem Buch Das erfolgreiche Konzert könn(t)en ja alle, die mit Blasmusik zu tun haben (wollen), eine nachweislich durch viel Arbeit und Erfahrung zustande gekommene profunde Analyse, einen umfassenden Überblick für das Projekt Blasmusik studieren.

Meine Frage ist wohl schon durch Deine Glosse in der TT beantwortet: Wie viele Blasmusikfunktionäre setzen sich mit den in Deinem Buch aufgezeigten Aufgaben ernsthaft auseinander?

Die Frühjahrskonzerte sind ein in vielerlei Hinsicht interessanter, regelmäßig wiederkehrender Baustein der blasmusikalischen Jahresarbeit auch in Tirol. Die dabei oft strapazierte Tradition beschränkt sich meist auf die mehr oder weniger unreflektierte Wiederholung desselben Prozedere mit anderen, halt dem blasmusikalischen Mainstream huldigenden Musikstücken.

Wie wir zudem auch wirklich wissen, zeigt das Frühjahrskonzert nur ganz selten die wirkliche Qualität einer Musikkapelle. Der sonst gehörte Klang wird sehr oft durch unterschiedlich viele Aushilfen unverhältnismäßig geschönt. Auch der Applaus und die Bewertung des jeweiligen Publikums ist ebenso wenig ein seriöser Indikator für das musikalische Niveau, selbst dann nicht, wenn er in STANDING OVATIONS ausartet.

Die Fragen, die Du immer wieder gekonnt aufwirfst, sind richtig und wichtig, aber für die Blasmusik nicht wirklich neu. Mein verehrter Lehrer Prof. Otto Ulf hat 1960 in Wien einen Vortrag gehalten mit dem Titel Neue Ziele für die Blasmusik. Vielleicht hast Du Zeit und Muße den Text zu lesen. Ich schicke ihn Dir gleich mit.

Beste Wünsche und herzliche Grüße,
Hans


(Hans Eller, Lehrer und langjähriger Kapellmeister in Steinach am Brenner, ehemaliger stellvertretender Landeskapellmeister)

Alois Schöpf: Das erfolgreiche Konzert. Eventmanagement für Musikvereine. DVO- Verlag. Buchloe 2011



Otto Ulf
Neue Ziele in der Blasmusik

Aus einem Referat anlässlich der Eröffnung einer Werbewoche des Bundes niederösterreichischer Blaskapellen, Wien 1960

Warum werben wir in einer Zeit, in der man durch das Radio, die Schallplatte und das Fernsehen die größten Künstler unserer Zeit zu jeder Stunde und an jedem Ort hören kann, für das Laienmusizieren?

Ist es denn sinnvoll, unsere Jugend zu veranlassen, Zeit und Mühe für das Erlernen eines Musikinstrumentes zu verwenden, wenn der Erfolg auch nie im Entferntesten an die Leistungen jener Künstler heranreichen wird, denen wir zu jeder Zeit in jedem Augenblick befehlen können, uns durch die Schallplatte, das Tonband oder sonst eine Maschine zu dienen?

Diese Frage ist keine rhetorische, sondern sie wird tatsächlich gestellt und besonders von der Seite des Berufsmusikers aus wird das Laienmusizieren gern und oft lächerlich gemacht. Es ist nun einmal so, dass das Musizieren des Laienmusikers niemals vollkommen sein wird; das wissen wir selbst ja auch. Es wird an der musikalischen Leistung also immer etwas auszusetzen sein. Sollen wir trotzdem für das Musizieren werben?

Zwischen dem Laien und dem Berufsmusiker besteht zunächst einmal ein grundlegender Unterschied: der Laie musiziert in erster Linie für sich selbst und dann erst für andere; er hat Freude an der Musik und aus dieser Freude, zu seiner eigenen inneren Bereicherung musiziert er.

Ob der Berufsmusiker immer Freude an der Sache hat, kann bezweifelt werden. Viel eher dürfen wir sagen, dass der Berufsmusiker für andere musiziert. Das Streben des Laien nach innerer Bereicherung ist also nur zu bejahen, noch mehr, es verdient alle Förderung und wir dürfen sogar sagen, dass es die beste Art des Musizierens ist, für sich selbst zu musizieren.

Schon damit wäre die Notwendigkeit, für das Laienmusizieren zu werben, begründet. Aber es gibt noch weitere Gründe dafür.

Es dürfte keine Übertreibung sein, wenn behauptet wird, dass es ohne den Liebhaber in ungefähr 50 Jahren keine Musikkultur mehr gäbe, zumindest nicht das, was der abendländische Mensch darunter versteht.

Es ist eine große Schicht der musizierenden Laien, die sozusagen den Quellboden bildet für alles musikalische Wachstum; sie ermöglicht erst die Auswahl des zur Spitzenleistung Begabten und sie stellt das unumgänglich notwendige Publikum für die Konzerte der Berufenen. Aber dies ist noch immer nicht alles, sie ist noch weit mehr der Quellboden auch aller schöpferischen Kraft, die nur durch die Spannung, die im seelischen Kräftefeld herrscht, zur Entladung kommen kann.

Es ist demnach nicht wichtig, dass der Liebhaber dieselben technischen Fähigkeiten besitzt wie der Berufsmusiker, dass er absolut fehlerlose Leistungen setzt wie dieser, sondern wichtig ist in erster Linie die seelische Haltung des Laien der Musik gegenüber, wichtig ist, dass in einer möglichst großen Anzahl von Menschen die Bereitschaft zur Aufnahme musikalischer Eindrücke besteht und dass dadurch das seelische Kräftefeld für das Schöpferische geschaffen wird.

Es ist damit nicht einem hemmungslosen Dilettantismus das Wort geredet. Im Gegenteil! Es wird im Folgenden noch die Rede davon sein müssen, welche Art von Musik am geeignetsten für den Laien ist.

Aber so beglückend eine schlackenlose Darbietung durch einen oder mehrere Berufene auch sein kann, birgt die Verlagerung des Interesses zur Spitzenleistung doch die Gefahr in sich, dass alle Aufmerksamkeit nur der Perfektion zugewandt wird, dass nicht das Was entscheidend ist, sondern das Wie.

Wie wäre es z.B., wenn man auf die Idee käme, aus den besten Musikern Europas ein Orchester zu bilden, wenn man dazu auch den einen, den besten Dirigenten fände und von einem Sender aus die Musik für ganz Europa machte?

Wie wäre es, wenn man diese Auswahl noch weitertriebe und die besten Musiker und den besten Dirigenten aller Kontinente suchte und von einem Punkt aus die ganze Welt nun mit ganz hervorragend, absolut fehlerlos und glockenrein gespielter Musik versorgte?

Nun dieser stolze Turmbau würde, ähnlich dem babylonischen Turm recht bald in sich zusammenstürzen, weil nach einer Generation bereits kein Nachwuchs für dieses Wunderorchester da wäre. Und damit wäre ein vorher nie da gewesener Tiefstand erreicht, weil eben diese eine Spitzenleistung das Dasein aller jener Faktoren, die eine Nachwuchsbildung ermöglichen, verhindert hätte.

Was nun für dieses eine Wunderorchester gilt, gilt ebenso für unser ganzes heutiges Musizieren, das ja, mehr oder weniger gezwungen durch die mechanische Wiedergabe der Musik, auf Perfektion und Fehlerlosigkeit in einem vorher nie gekannten Maß hinausläuft und dadurch, man möchte fast sagen – alles sonst noch existierende Musikleben verbrennt.

Es ist kein Zufall, dass die weit größere Betätigung des musikalischen Laien in der Vergangenheit zusammenfällt mit einer größeren schöpferischen Produktion. Bis zum Jahr 1800 etwa ist der Laie noch Mitträger der öffentlichen Konzerte und erst das 19. Jahrhundert verweist ihn immer mehr auf die Hausmusik und schaltet ihn aus dem öffentlichen Musikgeschehen aus.

Wir dürfen da daran denken, dass z.B. J. S. Bach seine Werke mit Hilfe der Thomasschüler aufführte, dass im Orchester Haydns die Angestellten Esterhazys spielten, und dass in den Wiener Augartenkonzerten ebenso Laien tätig waren wie in den Konzerten in Paris und London. Was führte nun zur Ausschaltung des Liebhabers?

Zu einem Geiger, der sich bei Beethoven über die Schwierigkeit einer Stelle beklagte, sagte der Meister: Was schert mich seine elende Geige, wenn der Geist über mich kommt.

Vergleichen wir mit diesen Worten die Haltung der Komponisten des 16. und 17. Jahrhunderts oder auch noch die eines J. J. Fux, des Hofkapellmeisters Karls des VI., dessen Lehrbuch Gradus ad parnassum zum Lehrbuch unserer Klassiker geworden ist und auch heute noch seine Bedeutung besitzt, so finden wir, dass dort vom Komponisten verlangt wird, die Grenzen des Möglichen einzuhalten.

Es durfte keine Stimme überfordert werden, die Regeln mussten genau eingehalten werden und nur in der Beschränkung konnte sich der Meister zeigen. Es war dies die Zeit, in der ein wirklicher Meister auch mit geschulten Laien musizieren konnte, und zwar die Musik seiner Zeit musizieren konnte, denn es ist niemand eingefallen, die Musik einer vergangenen Zeit zu spielen.

Erst als der Mensch zaubern und hexen erlernte, als er durch die Erkenntnisse der Naturwissenschaften auf vielen Gebieten das Unmögliche möglich machen konnte, überschritt auch der Komponist die Grenzen und versuchte, auch in der Musik, das Unmögliche möglich zu machen. Die technischen Anforderungen an den Ausführenden wurden immer größer und wie auf allen Gebieten mussten auch in der Musik Spezialisten eingesetzt werden, um dieses Unmögliche zu leisten. Damit war dem musizierenden Liebhaber das Urteil gesprochen, und er musste immer mehr aus der öffentlichen Musikübung verschwinden.

Interessanterweise verschwindet mit dem Laien auch der für sein Ensemble komponierende Meister. Auch hier tritt also eine Spezialisierung ein, es gibt nunmehr den Nur-Kapellmeister und den Nur-Komponisten. Die meisterliche Einheit ging verloren.

Zunächst war man von diesem Fortschritt noch begeistert, und es sind sogar heute nicht wenige, die diesen Zustand recht finden. Wie sieht es aber wirklich aus? Ist denn noch ein wirklicher Meister an der Spitze unserer Kunstinstitute?

Können alle die Generalmusikdirektoren, die an der Spitze unserer Kunstinstitute stehen, auch nur eine matte Gelegenheitskomposition vollbringen? (Wie wäre der Musik geholfen, wenn nur solche Musiker Leiter werden dürften, die jährlich ein bis zwei größere Werke komponieren könnten!)

Der Komponist ist heute isoliert und muss froh sein, wenn er an irgendeiner Schule unterrichten und so seinen Lebensunterhalt fristen kann. Die Entscheidung, ob eine Komposition aufgeführt wird oder nicht, hat demnach der unproduktive, d.h. in unserem Fall der reproduzierende Musiker, und dieser wird natürlich in erster Linie Werke wählen, deren Erfolg ihm gesichert erscheint oder solche, die eine Sensation darstellen.

Wir dürfen uns demnach auch nicht wundern, wenn der heutige Komponist weniger darauf bedacht ist, Musik zu schreiben als darauf Sensation zu machen. Dass diese Sensationen nicht immer gut klingen, ist bekannt.

Wie wir sehen, brachte die Spezialisierung auf musikalischem Gebiet keinen besonderen Segen. Es kam aber noch mehr Unheil. Der Mensch fand Mittel, die Musik, die bis dahin etwas Vorübergehendes, nicht Festzuhaltendes war, auf dem Tonband, auf der Schallplatte festzuhalten.

Leider war der Mensch diesem Geschenk nicht gewachsen, und er begann nun immer mehr Wert auf die technischen Details einer Darbietung zu legen als auf ihren künstlerischen Gehalt.

Heute wird eine solche Darbietung in erster Linie von der Sauberkeit, der Intonation, der Präzision und der technischen Perfektion aus beurteilt, und das Unwägbare, das den Wert des Kunstwerkes bildet, sucht man nicht mehr.

Wenn wir nun noch bedenken, dass die elektronische Musik es erlaubt, den Menschen und das Menschliche weitgehend auszuschalten, dann bietet sich uns ein düsteres Bild einer vollständig entseelten Kunst, einer Kunst, die nicht mehr für den Menschen und um des Menschen willen da ist, sondern nur ein Zeichen der dämonischen Herrschaft der Maschine über den Menschen ist.

Wir haben feststellen müssen, dass unser anscheinend so glänzendes Musikleben wohl noch nicht durchwegs, aber zum größten Teil mehr Musikbetrieb ist als Kunst. Es besteht auch keine Aussicht, dass die Krankheit des öffentlichen Musikbetriebes geheilt werden könnte, schon aus dem Grund, weil jede Starleistung, jede Sensation sich zur Propaganda anbietet und auch vom Primitiven erfasst werden kann.

Gerade weil der Primitive aber ohne geistige Anstrengung technische Vollkommenheit und technische Fehler erkennen kann, glaubt er, nun auch Sachkenntnis zu besitzen und ahnt nicht, dass er, statt das Ideelle in der Kunst zu erfassen, krassestem Materialismus huldigt. Eine Musik, die nicht mehr dem Menschen dient, die ihn vielmehr hindert, zu sich selbst zu finden, die wohl technisch einwandfrei, aber nicht mehr Trägerin geistiger Werte ist, wird der Menschheit bestimmt keinen Segen bringen.

Hier setzt nun die Aufgabe des musizierenden Laien in unserer Zeit ein, hier beginnt aber auch die große Verantwortung jener, die den Liebhaber, sei er jung oder alt, zur Musik hinführen.

Wie wir gehört haben, konnte der Laie die Entwicklung der letzten 150 Jahre nicht mitmachen, weil er wegen seiner geringeren technischen Fähigkeiten ausgeschaltet werden musste. Dies hatte einerseits einen katastrophalen Rückgang des Laienmusizierens zur Folge andererseits wendeten die Menschen die nun freiwerdenden Kräfte anderen Gebieten zu.

Wie sehr der Mensch, vor allem der junge Mensch, die Werte, die uns die Musik vermittelt, braucht, zeigte uns die Jugendbewegung der 1920-Jahre. Hier suchte die Jugend aus Protest gegen allen bürgerlichen Ballast ein neues Musizierideal und fand es fern vom Musikbetrieb dieser Zeit in den Werken der Meister des 16. und 17. Jahrhunderts.

Selbstverständlich war es zuerst das Lied, das gesucht und gefunden wurde, aber nicht allzu viel Zeit verging, da bediente man sich auch der alten Instrumente – ich erinnere da nur an die Blockflöte. Und die Musik einer Epoche, die von der Musikwissenschaft des 19. Jahrhunderts vollständig totgesagt worden war, erwies sich nicht nur als nicht tot, sondern so lebensvoll, dass durch sie die musikalische Haltung einer ganzen Generation und der daraus hervorwachsenden Komponisten geprägt wurde.

Es ist für uns heute unvorstellbar, dass man Komponisten wie Gabrieli, Lassus, Schein, Scheidt, Schütz und Prätorius, um nur einige zu nennen, vor 50 Jahren als uninteressant und langweilig, und dass man die Liedschöpfungen des 16. und 17. Jahrhunderts allen Ernstes als unpoetisch und lächerlich bezeichnen konnte.

Es ist dies ein Zeichen dafür, dass Werturteile eben nur für eine Generation gelten.
Die Jugendmusikbewegung revolutionierte, als vom Singen ausgehend, in erster Linie die Gesangvereine, in denen hitzige Debatten über das Liedgut entstanden, sie brachte aber auch das Laienmusizieren in neue Bahnen, und das Weiterwirken dieser Impulse in die öffentliche Musikpflege hinein ließ erstmals die Bedeutung dieser Bewegung erkennen. Sie zeigte aber auch die Wichtigkeit und die Problematik der Betreuung musizierender Menschen auf.

Wenn es heute möglich ist mit einem Chor wertvolles Liedgut von Heinrich Isaac bis zu den zeitgenössischen Komponisten zu singen, so ist dies ein Verdienst der Jugendmusikbewegung, einer Laienmusikbewegung.


Was haben aber wir Bläser mit dieser Bewegung zu tun?

Interessieren uns die Sänger überhaupt und können wir aus diesem Geschehen etwas lernen? Vielleicht darf ich da mit einer Frage antworten: Können auch wir Bläser mit unseren Kapellen ein wertvolles Programm aus Originalkompositionen von Heinrich Isaac bis zu den heutigen Komponisten zusammenstellen? Und wenn wir es nicht können, warum können wir es nicht?

Wir alle wissen, wie schwer es ist, ein auch nur einigermaßen seriöses Programm für eine Blaskapelle zu erstellen. Wo liegt denn eigentlich der Grund für das mangelnde gute Spielgut der Blaskapellen? Wir haben ja auch Musikkapellen, die ihr dreihundertjähriges Jubiläum feiern; warum gibt es da nicht auch wertvolles Musiziergut wie bei den Sängern?

Nun, die Kapellen, die ihr dreihundertjähriges Jubiläum feiern, wären bass erstaunt, wenn sie sehen und hören würden, wie ihre Musik etwa im Jahr 1650 ausgesehen hat. Vergessen wir doch nicht, dass das Instrumentarium unserer Kapellen, wenigstens was das Blech anlangt, aus dem vorigen Jahrhundert stammt, also ganz jungen Datums ist.

Bei uns spielt außer der Klarinette das Holz keine Rolle, und die Klarinette allein stammt aus dem 18. Jahrhundert. Wir haben für das Bläserensemble in seiner heutigen Form also nur die Musik des vorigen Jahrhunderts, und da schrieb man in der Hauptsache auch nicht Originalmusik für die Blaskapelle, sondern verwendete eben geeignete Stücke der Unterhaltungs- und Opernliteratur, die für die Blaskapellen arrangiert wurden.

Ich darf daran erinnern, dass Verdi und Wagner sicher durch die Blaskapellen populär wurden, die seinerzeit vielleicht irgendwie die Rolle des Rundfunks bzw. des Lautsprechers in der heutigen Zeit hatten.

Da es kein Radio und kein Grammophon gab, erfüllten die Blaskapellen den Zweck, eine gewisse Art von Musik ins Volk zu tragen. Diese Aufgabe wurde der Blasmusik in unserer Zeit durch die mechanische Musik abgenommen, und wir sollten eigentlich froh sein, dass wir uns dadurch nun anderen Problemen zuwenden können.

Wir müssen uns nur vorerst die Frage stellen: Was wollen wir? Genügt es uns, bei unseren örtlichen Veranstaltungen ein wenig Musik zu machen – die Blaskapelle wird ja immer und überall angefordert – begnügen wir uns mit ein wenig Marschmusik mit ein paar Platzkonzerten und einem Ball oder einer Tanzerei im Freien und all den Aufgaben, die einer Musik in einem kleineren oder größeren Ort gestellt werden?


Oder haben wir in der heutigen Zeit doch noch andre Aufgaben zu erfüllen?

Vielleicht ist die Frage auch so zu formulieren: Kann eine Verbandsleitung, die die musikalischen bzw. kulturellen Probleme der heutigen Zeit überblickt, noch so tun wie im Jahr 1925? Oer drängen sich da unwillkürlich Gedanken an eine Arbeit auf, die über den Rahmen das alltäglichen, weit hinausgeht, die nicht nur blasmusikalische Bedeutung hat, sondern gesamtmusikalische?

Noch anders formuliert: Dürfen wir weiter auf einer Insel der Glückseligen leben und uns einfach nicht um das kümmern, was um uns herum vorgeht? Sind wir da nicht einfach verpflichtet, uns für die Musik schlechthin einzusetzen, wenn wir spüren, dass unsere gesamte Musikkultur in Gefahr ist?

Nun sehe ich wieder das mitleidige Lächeln einzelner Musikfachleute, die laut oder leise die Mahnung äußern, dass die Arbeit der Blaskapellen viel zu gering sei, um überhaupt mit dem Wort Musikkultur in Verbindung gebracht zu werden.

Die Entwicklung der letzten 25 Jahre hat gezeigt, dass in allen Blasverbänden Europas sehr viel gearbeitet wird, dass man ununterbrochen bemüht ist, der Blasmusik Anerkennung zu verschaffen. Es steht hier nicht zur Diskussion, ob die Mittel hiezu immer geeignet waren. Fest steht, dass nur eine Blasmusik Anerkennung erringen wird und auch verdient, die nicht an den musikalischen Problemen unserer Zeit vorübermusiziert, sondern eine Blasmusik, die die Probleme erkennt und bereit ist, aus dieser Erkenntnis, die Aufgabe zu übernehmen, die ihr zukommt und die sie erfüllen kann.

Gehen wir wieder zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen über die Blasmusik zurück zur Frage, warum wohl für einen Chor ein musikalisch hochwertiges Programm möglich ist, aber nicht für eine Kapelle.

Wir haben gehört, dass unsere Instrumente aus dem vorigen Jahrhundert stammen, also mehr oder weniger der romantischen Zeit angehören, und dass darum die Brücke zur Musikliteratur der Zeit vorher fehlt. Und noch eines dürfen wir nicht vergessen: nämlich, dass die Blasmusik ihrer Bestimmung nach in erster Linie für die Zwecke des Militärs und militanter Formationen geschaffen wurde und dass dadurch das Gebiet, auf dem sie sich zu bewegen hatte, ein eng begrenztes war.

Es gab natürlich dann auch noch die Einrichtung der Platzkonzerte, und es ist mir auch nicht verborgen geblieben, dass die österreichischen Militärkapellen durch die ganze Welt gezogen sind und viel Ruhm geerntet haben. Aber – und das müssen wir unbedingt festhalten – es wurde doch bei all diesen Konzerten in erster Linie Unterhaltungsmusik gemacht.

Für gute und saubere Unterhaltung zu sorgen ist schon viel, und wenn Sie sich kein anderes Ziel gesetzt hätten, als eine gute Unterhaltung zu pflegen, so verdienten Sie schon alle Förderung.

Ich muss Sie aber fragen: Können Sie das auch? Oder spüren Sie, dass es nicht mehr geht, wie bisher, dass man heute etwas Anderes will, dass man auch von der Blasmusik mehr verlangt in jeder Beziehung und zwar, ich möchte fast sagen, nach allen Richtungen?

Da ist eine Richtung, die nur Interesse am schön klingenden Leerlauf hat. Die Begründung für diese Volksverdummung ist, der moderne Mensch habe nicht die Geduld und nicht die Zeit für ernste Musik. Und dann gibt es eine Richtung, die in Gebiete vorstoßen will, die bisher von niemand beackert wurden, nämlich in das Gebiet der alten Bläsermusik, d.h. in das Gebiet der alten Musik auf Blasinstrumenten.

Es hat eine Zeit gegeben, da das Blasinstrument ebenbürtig neben dem Streichinstrument gestanden ist. Ich darf Sie daran erinnern, dass die ersten Solosonaten noch für Kornett oder Violine geschrieben wurden. So hat es auch Musik gegeben, die entweder gesungen oder gespielt werden konnte, und bei der auch gar nicht angegeben war, welche Instrumente verwendet werden sollten; das war dem Belieben des Ausführenden überlassen.

Ich will Sie nicht mit historischen Daten quälen, aber das eine muss ich Ihnen noch sagen: dass diese Musik die Kunstmusik ihrer Zeit war, deren Schönheit wir auch heute noch bewundernd erfahren dürfen.

Nicht in irgendeiner Ecke waren die Bläser, missachtet und zu kulturellen Aufgaben eigentlich nicht geeignet, sondern Hauptträger des musikalischen Lebens. Und sehen Sie, das ist es, was mir vorschwebt, wenn wir von einer Werbewoche für die Jugend sprechen. Wir müssen der Jugend ein Ziel geben, das es wert ist, erreicht zu werden.

Wir müssen jedem, der ein Blasinstrument erlernen will, die Gewissheit geben, dass er durch dieses Instrument auch zur Musik hinfindet, und nicht nur ein willkommenes Mitglied eines örtlichen Unterhaltungsvereines wird.

Nur wenn wir unsere Aufgabe so auffassen, hat unsere Werbeaktion Berechtigung. Nur wenn wir uns neue Ziele stecken, werden wir neue Anhänger finden, nur so lange wir ein Ziel haben, sind wir lebenskräftig, nicht mehr die wehleidigen Bewunderer einer vergangenen, sondern die Former unserer Zeit.

Glauben Sie nun nicht, dass ich dabei an eine Renaissance der alten Musik denke. Nein, aber wir müssen erst wieder lernen, aus einem anderen Geist heraus zu denken und zu musizieren, mit einem Wort: Wir brauchen in unseren Bläserverbänden die Jugendbewegung.

Erst wenn wir uns wieder musikalischen Zielen zugewendet haben, werden wir auch Komponisten finden, die bläsergerechte Werke schreiben, und wir werden den Weg zu einer neuen Blasmusik mitbereiten helfen.



Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Schreibe einen Kommentar