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Elias Schneitter
Moral und Profifußball
Notizen

Wenn man an den Spitzenfußball moralische Maßstäbe anlegen würde, dann müsste man ihn auf der Stelle abschaffen. Zieht man die Geldtransaktionen, den Sklavenhandel, die Gehälter, die Machenschaften der FIFA oder der UEFA in Betracht, ist das mit ethischen Grundsätzen nicht vereinbar.

Und was die WM in Quatar anlangt, da braucht man wirklich nicht lange zu überlegen: diese WM hätte niemals stattfinden dürfen. Aber natürlich sind da Hunderte Milliarden im Spiel und bei solchen Beträgen spielt die Moral keine Rolle mehr.

Es ist alles nichts weiter als der Ausdruck eines schwer kranken Systems.

Interessant dabei finde ich aber dennoch die westliche Haltung mit ihren demokratischen, werteorientierten Ansprüchen.

Natürlich hat man nicht den Mumm, sich dem Spektaktel von vornherein zu entziehen, was wohl die einzige richtige Entscheidung gewesen wäre. Stattdessen macht man auf Moral, indem man die Love-Binde trägt. Aber selbst da knicken unsere Apostel ein, weil der große westliche Präsident Infantino (welch ein Name!) der gesamten Mannschaft gleich mit einer gelben Karte gedroht hat. Das geht dann auch wieder nicht. Wackere Männer im DFB kann man da nur sagen!

Die deutsche Sportministerin nahm auch ihren ganzen Mut zusammen und war im Stadion mit der bunten Binde und ließ sich mit Infantino fotografieren, der ihr lachend den Stinkefinger zeigte. Soviel zu den großen westlichen Werten, die den Wüstensöhnen in ihren Palästen höchstens einen Schenkelklopfer entlocken werden!

Mehrere Bekannte in meinem Umfeld sagen, dass sie die WM boykottieren. Hut ab und wahrscheinlich sitzen sie daheim auch in der kalten Wohnung, weil das Gas aus Quatar oder Russland kommt. Frieren für die Moral! Pardon. Primitive Bemerkung.

Als bekennender Fußball-Fan verfüge ich leider nicht über so viel Charakterstärke und schaue die meisten Spiele an. Und wenn das jetzt auch ein Schuss ins eigene unmoralische Knie ist: ich kann an den gebotenen Leistungen der Fußballer wirklich Gefallen finden. Da sind ganz große Könner am Werk und – sorry, es tut mir leid – und es ist ein Genuss, zuzuschauen!

Was den Fußball im Gesamten betrifft, könnte ich noch sehr lange ausholen, aber ich weiß mein Blog-Boss Alois würde nur die Augen verdrehen, denn für ihn sind die Balltreter die reine Zumutung (Stimmt überhaupt nicht! Anm. des Blog-Bosses). Darum bitte ich als alter Fussball-Fan– so wie es momentan allerorten gerade Mode ist – um Entschuldigung für mein Fehlverhalten und hoffe auf Verständnis.

Abschließend, seit dem ersten Iran Spiel, bei dem die Spieler sich aus Protest weigerten die Hymne mitzusingen, wurde mir wieder einmal vor Augen geführt, wie froh ich sein muss, in einem freien Land wie Österreich leben zu dürfen und mir Spiele mit Freunden und Bekannten anzuschauen, ohne nachher verhaftet zu werden. Oder, dass ich um meine Familie fürchten muss, wie es in Iran passiert ist.


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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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