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Helmuth Schönauer
Mauskleber
Short Story

In der Witz-Theorie gibt es die sogenannte Rettungspointe. Wenn bei einem Witz nichts zu lachen ist, weil ihn niemand versteht, kannst du ihn zu retten versuchen, indem du gleich zu Beginn erzählst, warum die Pointe schiefgeht.

Ähnliches gilt auch bei politischen Auftritten oder Wahlkämpfen: Wenn nichts mehr geht, kannst du immer noch sagen, dass es irgendwie anders geplant war.

Ein ziemliches Desaster musste ich dieser Tage mit einem Schriftstellerkollegen erleben, als wir uns beide in der Nähe des Sozialzentrums auf einer Bank anklebten, um das bockige Klima wieder gefügig zu machen.

Indem ich das Desaster erzähle, versuche ich den Witz zu retten, der hinter der Aktion stecken sollte. Wir nennen es eine literarische Aktion, sollten es aber so nicht bezeichnen, denn die Literatur interessiert niemanden. Also sagen wir, dass wir von der vorletzten Generation sind und es bedauern, dass wir nicht mehr viel anstellen können, um die Welt endgültig zu ruinieren.

Wir sitzen also im Westen der Stadt in der Nähe der Landepiste und haben uns angeklebt. Keine Sau nimmt von uns Notiz. Immer wieder müssen wir unseren Sitz-Diskurs unterbrechen, weil eine Maschine landet oder startet. Von der Ferne werden wir begutachtet, ob wir zum Unterschied von den Flugzeugen für das angrenzende Integrationszentrum eine Gefahr darstellen, indem wir beispielsweise davon berichten, dass es in Innsbruck einmal eine Zeit gegeben hat, wo man im Freien noch reden konnte.

Wenn wir nicht gerade über den Fluglärm herziehen oder die letzte Generation, die es sich mit uns ziemlich verscherzt hat mit ihren Anklebe-Aktionen, reden wir über das Ausgeistern in dieser Welt, die dem Untergang geweiht ist.

Wir haben beide vor Jahren Romane geschrieben, die vom Untergang der Erde handeln. Mein Kollege hat vermutlich den besten Swap-Roman produziert, der je von den Alpen aus in die Welt geschickt worden ist. Darin bricht die Menschheit zusammen, weil das Netz der Börsen kollabiert. Das Blackout legt alles lahm, vor allem die Logik der Menschheit. Wenn diese nämlich keine Börse mehr hat, um darin auf die Zukunft zu wetten, hat sie auch keinen Sinn mehr, stellt in Folge die Reproduktion ein und stirbt aus.

Der Weltuntergang ist auch das Lieblingsthema meiner Romane. Im sogenannten „Zehendreckkongress“ kommen Mitglieder des Alpenvereins mit amputierten Gliedmaßen aus dem Himalaya zurück und berichten Schauriges. Manche haben in einem Marmeladeglas abgefrorene Zehen vor sich aufgestellt, um dem Unglück Anschauung zu verleihen. In der Hauptsache sind die Himalaya-Alpinisten traumatisiert, weil sich im asiatischen Höchstgebirge Tonnen von abgefrorenen Gliedmaßen stapeln, die zu Gebetskegeln aufgeschichtet wurden.

Durch die Erderwärmung fängt diese Biomasse zu faulen an und verseucht das Wasser der heiligen Flüsse, woraufhin die Menschheit an ihren Böschungen zuerst erkrankt und später verdurstet, denn das Wasser des Himalaya zieht sich aus Ekel in den Weltraum zurück.

Wir erzählen einander unsere Dystopien und ruckeln dabei an den Händen, die angeklebt sind. Niemand außer uns beiden kennt unsere Romane, niemand weiß außerdem, dass wir protestieren und angeklebt sind. Eben ist die Umweltministerin von Ägypten zurückgekommen und muss halb weinend erzählen, dass dort drunten im Wellness-Ressort lauter disparate Umweltministerinnen auf offener Bühne sich umarmt haben, weil der Weltuntergang zum Greifen nah ist.

Am meisten hat die couragierten Klimaministerinnen auf der Wüsten-Tagung erregt, dass sie zu Hause der letzten Generation ins Gesicht sagen: Hört auf mit dem Ankleben! Die Welt lässt sich ohnehin nicht mehr zusammenkleben!

Wir beide sitzen angeklebt auf der Bank und sind froh, dass wir den schwachen Kleber genommen haben, nicht den Ultra, mit dem sich die Kids auf die Kreuzungen kleben, um dann mit Speiseöl von der Polizei entriegelt zu werden.

Das ist auch so ein Wortspiel, wie es sonst nur in Polizeiwitzen vorkommt. Statt die Delinquenten zu fixieren, müssen die Beamten jetzt die Fixierten entsperren. Um sie dann später andernorts wieder einzusperren.

Der schwache Kleber riecht noch immer wie der UHU aus der Kindheit, als wir Geli-Modelle zusammengeflickt haben, Nazi-Messerschmitts, Boeing-Fortresses, und sogar eine sowjetische Tupolew hatten wir im Sortiment. Anschließend haben wir die Papierflugzeuge in einen der naheliegenden Rohbauten getragen und angezündet. Damals wurde überall gebaut und es gab sowohl überdachtes als auch freies Terrain, was man eben brauchte. Und überall konnte man Feuer machen, weil die Erde noch nicht überhitzt war.

Mit diesem Kinder-UHU unter der Handfläche sitzen wir also auf der Bank und ruckeln insgeheim, ob wir uns im Notfall selbst entriegeln könnten von der Anklebe-Aktion. Denn noch immer hat keine Sau mitgekriegt, dass wir angeklebt sind und die Welt retten wollen.

Die Mittagszeit geht um diese Jahreszeit schnell zu Ende, wir beginnen leicht zu frösteln und wollen instinktiv unsere Hände um die Blasen klemmen, um sie zu schützen. Schräg im Sonnenlicht kommt die neue Ärztin mit dem Fahrrad aus der Mittagspause. Wahrscheinlich hat sie sogar einen Hausbesuch gemacht, mein Kollege ist bei ihr in Behandlung, kann ihr aber nicht zuwinken aus Widerstandsgründen.

Ich habe eine andere Ärztin, ich habe sie schon länger unter Vertrag, wie wir Rentner gerne sagen, wenn uns die Kasse die Konsultationen refundiert. Während wir über die Aufregung beim Blutdruckmessen räsonieren, winkt seine Ärztin, sperrt das Fahrrad ab und verschwindet in ihrer Ordination Jetzt wissen wir es kassenärztlich, dass wir unwichtig sind und unsere Klebeaktion niemanden interessiert.

Bevor wir uns was holen, geben wir auf. Die Erde wird auch ohne uns heißlaufen. Und um nicht vollends unser Gesicht zu verlieren, werden wir uns zu Hause noch eine Zeitlang an der Maus ankleben. Dann können wir wenigstens im Netz surfen, während wir protestieren.

Ich bin mit meiner Funkmaus im Vorteil, ich kann an sie angeklebt fast alles erledigen in der Wohnung. Nur auf der Toilette wird es etwas schwierig. Ich weiß nicht, wer sich schon einmal mit einer angeklebten Maus den Hintern ausgewischt hat. Man hört wenig davon.

Wenn schon der Widerstand nichts bringt, so rettet er mich vielleicht als Geschichte vor dem Altersheim. Meine Kids werden hoffentlich mit Genugtuung feststellen, dass ich noch eine Short Story schreiben kann und selbständig bin.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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