Helmuth Schönauer
Das Tagwerk des Denkens
Ein Überblick über interessante Blogs aus Tirol

1.
Ins Kaffeehaus zu gehen und im Feuilleton zu lesen galt zumindest in der Monarchie als anerkannte Beschreibung für Hoch-Kultur.

Feuilleton, Essayismus und Glosse tragen seither einen nostalgischen Glanz mit sich herum. Wenn es einem gelingt, einen Gedanken zu fassen und diesen vielleicht noch mit der Gattungsbezeichnung Essay zu unterlegen, so ist man für diesen einen Tag sowohl als Leser als auch als Schreiber gerettet.

Das Tagwerk des Denkens besteht aus dem Luxus, sich Gedanken leisten zu können, irgendein Medium zu finden, das einen Gedanken speichert und archiviert, und ab und zu Gleichgesinnte zu treffen, die den Gedanken des Tages mit anderen Gedanken zu verbinden imstande sind.

Ein idealer Vormittag, wie er zumindest in Joseph-Roth-Filmen vermittelt wird, setzt sich aus abgedunkeltem Ambiente, hellem Gedankenblitz auf dem Gesicht und mattem Papier auf dem Tischchen neben dem Likör-Kaffee zusammen.

2.
Heutzutage müsste man sich dieses feuilletonistische Ambiente vielleicht so vorstellen, dass jemand zehn Blogs vorinstalliert hat, sich zu Hause eine Kaffee-Kapsel eindrückt und zehn Minuten lang im Netz schaut, was seine vorinstallierten Tiroler-Blogs so machen.

Die Verknüpfung dieser Files zu einem persönlichen Magazin macht einen auch ohne Föhn euphorisch, denn man braucht nichts selbst zu denken und hat doch den Eindruck, das Denken für diesen Tag abhaken zu können.

3.
Das digitale Feuilleton ist vielleicht irgendwo zwischen Facebook und Firmenseite etabliert. Jemand gestaltet eine Seite oder einen Blog, und verwendet dabei in der Inhaltsangabe die Wörter Tirol – Essay – Magazin – Gedanken – Blog.

Während auf Facebook in der Hauptsache trivialer Insider-Flow mit kurzen Wortgruppen hin und her geschickt wird, auf sozialen Medien wortlos irgendwelche Witze und Fotos herumflitzen, informieren die sogenannten Firmenseiten über Produkte, die es zu kaufen gilt.

Im Bereich von Büchern, Essay und Tiroler Geschichte wird man vor allem die Buchhandlungen, Museen, Bibliotheken und Theater daraufhin absuchen, ob Gedankengänge dabei sind, die man selbst fortsetzen kann.

Auf die einzelnen Produkte kann man nur reagieren, indem man sie kauft oder besucht. Anschließend lässt sich die persönliche Erfahrung dann noch mit einem Emoticon zu Ende posten.

4.
Genau dazwischen liegt freilich das unerschöpfliche Reich des Blogs, worin Menschen freiwillig ihre Gedankenwelt vorstellen und glücklich sind, wenn diese Gedanken noch zu Lebzeiten gelesen werden. Manche Blogs lassen auch Reaktionen mit Klarnamen zu, andere ermuntern einfach zu einem neuen Artikel.

Diese geheimnisvollen Essay-Magazine sind zwar über die Suchmaschinen leicht zu finden, aber sie unterliegen der magischen Formel: „Ich würde gerne was denken, wenn ich wüsste was.“

Ein Essay lässt sich meist nur dann zufällig finden, wenn man noch gar nicht weiß, wonach man sucht.

5.
Als Vorschlag für ein sogenanntes Mega-Feuilleton in Tirol sind hier zehn Blogs angeführt, die man regelmäßig anklicken könnte, bis der selbst servierte Kaffee kalt ist.

Die Reihenfolge ist umgekehrt alphabetisch.

### Tirol isch toll https://tirolischtoll.wordpress.com/
Gute Nachrichten aus ganz Tirol.
Herausgegeben von Werner Kräutler.

### Subkulturarchiv https://subkulturarchiv.at/
Geheimnisvolle Orte, Untergrundzeitungen, verschollene Archive.
Herausgegeben von der Arge Subkultur in Innsbruck.

### schöpfblog https://schoepfblog.at/
Alleinstellungsmerkmale: Essays, Roman in Fortsetzungen, Musikbesprechung hoch und tief, Sterbeverfügungsgesetz.
Herausgegeben von Alois Schöpf.

### provinnsbruck https://provinnsbruck.at/
Skurrilitäten, Impressionen, Irritationen zu Innsbruck.
Herausgegeben vom Verein digitales Stadtgeflüster.

### Kakanien https://kakanien.eu/
Klug verzopfte Geschichten mit dem Gestus einer untergegangenen Monarchie.
Herausgegeben von Erich Ledersberger.

### Klimakultur https://klimakultur.tirol/
Geschichten über Menschen, die mithilfe der Werkzeuge Kunst und Kultur zukunftsfähige Wege für das Leben und Wirtschaften im Alpenraum erproben.
Herausgegeben von Arge Klimakultur

### Lesen in Tirol https://lesen.tibs.at/
Alles zur Kulturtechnik des Lesens, angewandt auf Tirol.
Herausgegeben vom Tiroler Bildungsservice.

### Innsbruck Info https://www.innsbruck.info/blog/de/
Innsbruck sehen und erleben. Bilder, die wir gerne hätten, Bilder, die sich andere über uns machen.
Herausgegeben von Innsbruck Tourismus.

### Bürkle-Work https://www.buerkle.work/
Der Kampf des Individuums mit Problemen des Kontinents. Texte zu Bildung, Politik und Ähnlichem und die Einladung zur Diskussion.
Herausgegeben von Michael Bürkle.

### Alpenfeuilleton https://www.afeu.at/
Ehrenamtliche, ehrliche und elegante Essays – von den Alpen in die Welt.
Herausgegeben von Felix Kozubek und Markus Stegmayr.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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