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Helmuth Schönauer bespricht:
Egyd Gstättner
Ich bin Kaiser
Tolldreiste Erzählungen

Patriotisches Selbstbewusstsein kann manchmal in einen Cäsarenkult übergehen, wenn das Land mitspielt und den darin geäußerten Wahnvorstellungen ein Revier gibt. Das bayrische „Mia san mia“ ist genauso patriotisch-pfiffig, wie das berüchtigte „Ik bin ein Berliner“. Da ist die Weltformel eines Österreichers geradezu romantisch: Ich bin Kaiser.

Egyd Gstättner nennt seinen jüngsten Erzählband über österreichischen Wahnsinn schlicht: Ich bin Kaiser. Dabei lässt er offen, ob nicht schelmisch der Kärntner Landeshauptmann gemeint sein könnte. Denn die Glaubwürdigkeit für seine Geschichten leitet er von der Überlegung ab, dass die Storys automatisch „tolldreist“ werden, wenn man sie so erzählt, wie die offizielle Geschichtsschreibung täglich als Fernsehprogramm des Staatsfunks auftritt.

Was immer in den Texten auch an Skurrilität vorkommt, es ist in einer ähnlichen Form mit einer leichten Verdrehung schon einmal als Weltnachricht in Zeit im Bild gesendet worden.

Am Beispiel der Titel-gebenden Eingangsgeschichte lassen sich Erzählweise, Würdigung und Ausweglosigkeit der österreichischen Mythenbildung idealtypisch aufzeigen.

Als Sohn eines Maronibraters in Celovec geboren, entdeckt Kevin Kai Trotta, dass sein Name etwas Magisches hat, und er bricht deshalb auf nach Wien, wo er nach einem rudimentären Studium bald einmal in der Welt von Parvenüs, Startups und Jungbundeskanzlern landet. Als er herausfindet, dass die Wahrheit über gefälschte Meinungsumfragen aus gefälschten Äußerungen der Befragten besteht, arbeitet er sich mit diesem doppelten Dreh über TV-Shows bald einmal nach Schönbrunn vor, wo er das Ruder übernimmt.

Der Übergang vom Studenten zum Talkmaster einer Kaiser-Show ist ebenso nahtlos, wie jener vom Fernsehstar zum Schönbrunn-Meister. „Man kann nur Kaiser sein, wenn man auch Nichtkaiser sein kann.“

Die sogenannte Machtübernahme ist eine Ohnmachtsübernahme (25), denn der fiktive Kaiser hat nichts zu sagen, er muss nur repräsentieren. Zu diesem Zweck schaut sich Trotta, dessen K.K.-Initialen immer noch Kevin Kai heißen, den berühmten Bedächtigkeits-Künstler an, der in der Hofburg die Liebe zur Verfassung entdeckt hat.

Für alle diese senilen Rollen gilt die Überlegung, dass man etwas überwinden kann, wenn man es spielt. Der Gebrechliche überwindet beispielsweise die Gebrechlichkeit, wenn er sie spielt. Das gilt auch für die Liebe, die als Kaiser naturgemäß nur gespielt werden darf.

Da trifft es sich gut, dass Trotta in Wien die Kindergartenfreundin Elisabeth aus Kärnten über den Weg läuft, sie spielt gerade etwas, was für eine Landwirtschaftsministerin gehalten werden könnte. Zum Präsentieren ist sie ideal, aber bei der Fortpflanzung lässt sie aus. Der Knick in der Zeugungslinie erweist sich als großer Schwachpunkt  Trottas.

Ein Ausflug in den Buckingham-Palast bringt ihn auch nicht viel weiter, denn der Prinz mit den großen Ohren gibt zu bedenken, dass Gezeugt-werden und auf die Welt kommen noch kein Garant für ein hohes Amt sind.

Trotta beschließt, dereinst den Kaisertod zu sterben. Ähnlich wie beim Kaiserschnitt wird der Kaisertod künstlich eingeleitet und befreit den Sterbenden von seinen Leiden. Bleiben soll jedenfalls ein Mythos, der nach dem Motto „vom Migrantenkind zum Kaiser“ gestrickt ist. Eine Erfolgsgeschichte, die sich in echt nachspielen lässt, aber auch als Serie in die Streamingdienste abwandern kann. „Das Schöne ist nicht das Gute“ sollen die letzten Worte sein.

In dieser Story ist das Wesen der österreichischen Geschichtsschreibung als Groteske formuliert: Der Sachverhalt beginnt oft als Fälschung (Meinungsumfrage), sattelt auf ein bewährtes Motiv auf (Kaiser) und endet schließlich als Fiktion im TV.

Da sich sowohl in der Groteske, wie auch in echt nichts verändert, weil Veränderungen nur gespielt sind, ist die Geschichte touristisch nutzbar und somit zutiefst österreichisch.

Die insgesamt zehn tolldreisten Erzählungen haben jeweils mit diesem Spiel des ewigen Dekorierens zu tun. Das Erzählte ist vorerst ein Aha-Erlebnis, das glaubwürdig erscheint, weil man es in ähnlicher Form schon gehört hat. Der leichte Dreh in die Beleuchtung durch die Gegenwart gibt den Geschichten alsbald jene Patina, von der das Land lebt und aus der zumindest der Geist besteht: Ruhe, Glanz, Panier von Backhendel und Republik (22).

So werden etwa in einer Wörthersee-Ruine Manuskripte gefunden, die darauf hindeuten, dass Sigmund Freud ein abartiges Leben im eigenen Unterbewusstsein geführt hat. Während ein Double nach Triest gefahren ist, soll er selbst das Unterbewusstsein am eigenen Leib erforscht haben und zu der ernüchternden Erkenntnis gelangt sein, dass die Psychiatrie immer scheitern muss, weil sie nur erkennen, aber nicht heilen kann. In dem Augenblick, wo jemand gesund ist, ist er für die Psychiatrie verloren.

Die sogenannte Lend-Königin soll ähnlich dem unbekannten Soldaten ein Denkmal für unerkannte Unterhaltungskunst bekommen. Die Büste an die Unbekannte bereitet allerdings Kopfzerbrechen.

Zwei österreichischen Giga-Dichtern sind Tolldreistigkeiten zugeschrieben, indem Peter Handke etwa von einer Biene gestochen wird, als er beim Gartentor hinaus zu einer Wanderung aufbrechen will. Und von Thomas Bernhard wird behauptet, dass jeder Schas rund um sein Museum gesondert beforscht werden soll. In einer ultimativen „Ohrensesselausstellung“ soll alles das gezeigt werden, worauf literarische Patrioten so stolz sind: Auf jenes Österreich, das erst im Museum zur wahren Größe erblüht.

Der dritte große Dichter-Österreicher, Robert Musil, wird mit einer Hommage an das Rauchen gewürdigt. Ein Leben lang kämpft Musil nämlich so heftig gegen seine Zigarettensucht, dass er nicht mehr zum Schreiben kommt. Der Erzähler fühlt ihm nach, er hat ebenfalls das Rauchen aufgegeben und dadurch an Schreibkraft verloren. Man müsste wissen, wann man stirbt, dann könnte man ausrechnen, ob Nichtrauchen sich bezahlt macht. Wenn man ohnehin zu früh stirbt, kann man es gleich Musil nachmachen und rauchen, bis einen der Schlaganfall in der Badewanne ereilt.

Egyd Gstättner gibt seinen Helden eine Chance, sich zu rehabilitieren. Oft sind seine Charaktere vom Zuckerguss der Geschichtsschreibung bekleckert, höchste Zeit, an dieser Glasur zu kratzen und zu kosten, ob das Gerippe darunter auch noch so süß ist wie die Oberfläche.

Egyd Gstättner: Ich bin Kaiser. Tolldreiste Erzählungen.
Wien: Picus 2022. 307 Seiten. EUR 24,-. ISBN 978-3-7117-2126-6.
Egyd Gstättner, geb. 1962 in Klagenfurt, lebt in Klagenfurt.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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