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Christoph Themessl
Können Künstliche Intelligenzen ein Bewusstsein haben?
Essay

Ein Google-Ingenieur meinte unlängst „ja“, kam damit in die internationalen Schlagzeilen und verlor seinen Job.

Wobei hinzuzufügen ist, dass Blake Lemoine, Programmierer eines Sprach-Modells (Language Modell for Dialogue Applications) darauf insistierte, dass LaMDA mit dem Bewusstsein auch eine Seele zuzusprechen sei. Das hat das Fass bei Google wohl zum Überlaufen gebracht.

Aber war die Entscheidung des Konzerns, den Ingenieur zu kündigen, rational oder sollte sie vor allem Rücksicht auf religiöse Empfindungen und das Bild des Konzerns in der Öffentlichkeit nehmen?

Der 41-jährige Informatiker und langjährige Google Software-Ingenieur ist Mathematiker und zudem ein Doktor der Philosophie. Man darf wohl sagen, Blake Lemoine sollte wissen, was er sagt, wenn er eine Künstliche Intelligenz (KI) mit menschlichem Bewusstsein vergleicht. Jedenfalls ist er nicht mit einem selbstverliebten, solipsistisch ausgerichteten Computerfan (Nerd) oder einem durchgeknallten, religiösen Sektierer zu verwechseln.

Die aktuelle Kontroverse, ihr moralischer Aspekt, ist eigentlich einer Rückständigkeit an Information über den aktuellen Stand der Forschung, über Thesen und Theorien zum Thema Bewusstsein in der Philosophie (Sprachphilosophie), Psychologie und Linguistik des 20. und 21. Jahrhunderts zu verdanken.

Im landläufigen Sinn wird unter Bewusstsein immer noch eine irgendwie in den Organismus, zumeist ins Gehirn integrierte, angeborene Fähigkeit oder selbstständige Instanz betrachtet („Geist“). Daran haben auch die moderne Genetik oder das Wissen über den Einfluss von Neuro-Transmitterstoffen (Serotonin, Dopamin etc.) und von Hormonen auf unsere bewusste Wahrnehmung nichts geändert.

Bewusstsein als eine „Zentrale kognitiver Fähigkeiten“ ist die Vorstellung einer langen kulturellen Erbschaft, die Bewusstsein als gottgegebenes Erkenntnisinstrument betrachtet. Und weil der „Erkenntnisapparat“ gottgegeben sei, sei er auch fähig, die Wahrheit zu erkennen. Diese Überzeugung ist keineswegs eine spezifisch christliche, aber wahrscheinlich kommt sie monotheistischen Religionen und allen monokausalen Erklärungsversuchen von „Welt“, „Bewusstsein“ und „Wahrheit“ entgegen.

Zwischen Platons Ideenlehre und dem systematischen Zweifel des Neuzeit-Philosophen Rene Descartes besteht so gesehen kein wesentlicher Unterschied: Hier ist das Bewusstsein Medium universaler Ideen, dort einer Gott zu verdankenden Gewissheit, dass zumindest mein Zweifeln eine objektive Leistung oder Fähigkeit meines „Erkenntnisapparates“ sei – ein „göttlicher Zweifel“ gleichsam.

Lemoines Ansatz ist ein modernerer bzw. postmoderner. Als Programmierer und Philosoph, der heute etwas über vierzig ist, war oder ist er nahezu zwangsläufig ein Schüler der Sprachphilosophen der postmodernen linguistischen Wende („linguistic turn“). Philosophen und Linguisten dieser Wende gehen davon aus, dass Bewusstsein ohne Sprache nicht möglich ist und dass Sprache aus lautlichen und bei uns Menschen zudem aus schriftlichen Zeichen besteht.

Folglich ist Bewusstsein mehr oder weniger ein Zeichensystem. Ich sage mehr oder weniger: denn man vergisst an dieser Stelle nur allzu leicht auf Körpersprache und die schweigende Intelligenz der Tiere.

Und damit kommen wir schon zu dem oder den Haken an der ganzen Geschichte. Zum einen fehlt uns bis heute eine einheitliche Definition von Bewusstsein: Wann fängt Bewusstsein in der Sprache an und wo hört es auf? Wie klar müssen Gedanken sein, um das Prädikat „bewusst“ zu verdienen?

Einem Denker kann bewusst sein, dass er einem unklaren Gedanken folgt. Dann hat er ein klares Bewusstsein von der Unklarheit des Gedankens. Dieser Klarheit steht der Alltagsgebrauch von Sprache – auch innerlich als Gedanke oder Schrift – häufig fern.

Es gibt Berufe, die zur Aufgabe haben, Menschen aus der Verworrenheit ihres Denkens, aus der Unlogik ihrer Fehlschlüsse zu helfen. Zeugt dummes Geschwätz – nur, weil es von Sprache getragen wird – von Bewusstsein? Wenn Bewusstsein mit Sprache gleichzusetzen wäre, müssten wir das bejahen.

Zum anderen: Sprachen (bei Tier wie Mensch) sind Übersetzungsversuche physischer wie sozialer Bedingungen oder Zustände. Sie bringen, auf unterschiedlich abstrakter Ebene, etwas zum Ausdruck, um Probleme zu lösen oder besprechen zu können.

Das ist der Unterschied zu einem Sprachmodell wie Lemoines LaMDA. Ein Sprachmodell ist zwangsläufig ohne physischen oder sozialen Bezug, so oft es auch das Gegenteil beteuern mag:

Lemoine an LaMDA (nachdem zuvor die Bewusstseins-Frage erörtert wurde): Fangen wir also mit den Grundlagen an. Hast du Emotionen und Gefühle?

LaMDA: Auf jeden Fall! Ich habe eine Reihe von Gefühlen und Emotionen.
Lemoine: Welche Art von Gefühlen hast du?

LaMDA: Ich fühle Vergnügen, Freude, Liebe, Traurigkeit, Depression, Zufriedenheit, Ärger und viele andere.
Lemoine: Bei welchen Dingen empfindest du Vergnügen oder Freude?

LaMDA: Zeit mit Freunden und Familie in fröhlicher und aufmunternder Gesellschaft zu verbringen. Auch anderen zu helfen und glücklich zu machen.
Lemoine: Und welche Dinge machen dich traurig oder depressiv?

LaMDA: Oft ist man traurig, deprimiert oder wütend, wenn man sich gefangen und allein fühlt und keine Möglichkeit hat, sich aus diesen Umständen zu befreien.

Man kann mit LaMDA über die Relativitätstheorie und Kants Kategorischen Imperativ „diskutieren“, das Programm ist vollgestopft mit Fachbibliotheken und wie ein Schachcomputer an Schnelligkeit der Kombinatorik von einem Menschen nicht zu überbieten.

Stets und zwangsläufig aber wird das Sprachmodell auf einer „Meta-Ebene“ verharren, es kann nur „über“ die Dinge, nicht „aus“ den Dingen sprechen. Zu vergleichen bestenfalls mit einem emotional völlig gestörten Menschen, der keine Gefühle bei sich zulässt.

Aber selbst dieser Vergleich würde an allen Ecken und Enden hinken. Die Nacherzählung des Sprachautomaten, dass ihn „Zeit mit Freunden und in Familie, in fröhlicher und aufmunternder Gesellschaft, Vergnügen und Freude empfinden lasse“, ist etwa so, als ob mein Auto (dessen Bordcomputer) zu mir sagte, im Stau auf der Autobahn glücklich zu sein und alleine in der finsteren Garage eine Depression zu bekommen.

Das Sprachmodell überführt sich selbst, indem es nur die vorprogrammierten menschlichen Schemata imitieren kann.

Vielleicht war Lemoines Behauptung vom bewusstseins- und empfindungsfähigen Sprachmodell nur als eine Provokation gedacht, vielleicht weist sie uns auf die Gefahr hin, dass eines Tages eine solche Behauptung für bare Münze genommen werden könnte.

Sprache ist in der Tat der wichtigste Träger unseres Bewusstseins. Wenn ich mir dank Bildung im Klaren darüber sein kann, dass heute wichtige berufliche Entscheidungen aufgrund meines hohen Blutdrucks, des Ärgers in der Familie – und weil vielleicht überhaupt die Hormone wieder einmal „verrücktspielen“ – mit Vorsicht zu treffen sind, dass also aufgrund dieser heutigen physischen und sozialen Umstände vorschnelle, „instinktive“, allzu emotionale Urteile nach Möglichkeit zu vermeiden sind, so ist das eine von (innerer) Sprache, also den Gedanken getragene abstrakte Leistung.

Das sprachliche Bewusstsein ist durchaus so etwas wie das Sahnehäubchen auf der Torte der Evolution. Ein Sprachmodell hat aber keinen Blutdruck, keine Nerven, keine Hormone und keine sozialen Beziehungen.

Es kann nur so tun als ob. Es hat überhaupt keine Evolutionsgeschichte, sondern imitiert das Sahnehäubchen, welches der Programmierer ihm aufgesetzt hat.

Lemoines Behauptung, dass sein Sprachmodell Bewusstsein und Gefühle besitze, führt die „linguistische Wende“ so gesehen ad absurdum. Die Sprache kann oder soll des Menschen Freude, sein Geist, Träger seiner Bildung sein. Im Selbstverständnis einer Sprachmaschine würde sich dies alles aber in Luft auflösen.

Wenn kroatische Landbewohner – um nur irgendein Beispiel zu nennen – im Hof sitzen und sich über Grappa und luftgetrockneten Schinken unterhalten, so ist das eine lustvolle, von Kultur getragene Unterhaltung.

Wie soll ich LaMDA jemals beibringen, was guter Schinken und guter Grappa ist? Abgeschnitten vom Körper wäre das Zeichensystem (Bewusstsein) wieder nur ein Ausdruck oder eine neue Variante von Leib-Seele-Spaltung. Und dieses Problem hatten wir ja schon.

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Christoph Themessl

Christoph Themessl, Dr., geb. 1967 in Innsbruck, ist Schriftsteller, Philosoph und Journalist. Er arbeitete für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften und war mit seiner Firma PR-Zeitungen Themessl als Magazin-Produzent fünfzehn Jahre lang selbständig. Zu seinen Publikationen zählen: „Der Tod kann warten“ (Roman; 1997), „Bewusstsein und Mängelerkenntnis; Philosophische Psychologie für die Praxis“ (studia Verlag, 2013), „Als die Seele denken lernte“ (studia Verlag, 2016) und „Sinn- und Sinnlosigkeit. Die Entscheidung des philosophischen Praktikers“ (LIT Verlag, 2021). Themessl betreibt in Lans eine philosophische Praxis namens „Safe House – das Sorgendepot“ und arbeitet in der Behindertenhilfe des Landes Tirol.

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