Print Friendly, PDF & Email

Günther Aigner
Der Jahrtausendsommer 1540
Essay

In diesen Wochen geht ein extrem heißer Sommer zu Ende – in Tirol sowie in ganz Mittel- und Westeuropa. Für die Alpengletscher wird es der katastrophalste Sommer werden, seit wir die Veränderungen der Gletscher systematisch erfassen.

Dies lässt sich nicht nur wegen der Sommerhitze sagen, sondern auch wegen eines sehr trockenen Winterhalbjahrs von Oktober bis April. Beispielsweise war der März, welcher hochalpin enorme Schneemengen bringen kann, wüstenhaft trocken. Ab Mai dann kam die Hitze. Die 2-Monatsperiode Mai und Juni war die heißeste, die jemals gemessen wurde.

2022 wird – in Bezug auf das sommerliche Temperaturmittel – in etwa auf dem Niveau des Jahrhundertsommers 2003 in die Geschichtsbücher eingehen, in jedem Fall aber in die „Top 3“ einziehen – darüber besteht kein Zweifel.

Sind wir damit am Plafond des Möglichen angelangt? Kann denn ein Sommer in Mitteleuropa noch heißer ausfallen?

Die Geschichtsbücher und die Wissenschaft versichern uns glaubhaft: Der Sommer 2022 ist – so erstaunlich das klingen mag – weit von einem Jahrtausendereignis entfernt. Wenn eine Verkettung unglücklicher Umstände erfolgt, geht es noch viel extremer. Frei nach Greta Thunberg sage ich jetzt also: „Ich will, dass ihr in Panik geratet!“

Abb. 1: Ein lesenswerter Artikel über den Jahrtausendsommer 1540 findet sich auf spektrum.de 

Abb. 1: Ein lesenswerter Artikel über den Jahrtausendsommer 1540 findet sich auf spektrum.de

Der Jahrtausendsommer

Der Sommer 1540 wird in der Fachliteratur einhellig als Jahrtausendsommer bezeichnet. Er brachte die Jahrtausendhitze und die Jahrtausenddürre – und zwar vom Mittelmeerraum bis nach England. Manchmal wird er auch als „das große Sonnenjahr“ bezeichnet, weil praktisch in ganz Europa fast ein Jahr lang ein mediterranes Klima herrschte.

Abb. 2: Die Abweichung der Sommertemperaturen an der Station Innsbruck-Universität vom Mittelwert des 20. Jahrhunderts. Der „Jahrhundertsommer 2003“ war um 4,4 Grad Celsius zu heiß, während der „Jahrtausendsommer 1540“ vermutlich um 5 bis 7 Grad zu heiß war. Daten: ZAMG (HISTALP). Die Säule 1540 in Anlehnung an WETTER et al. (2012).

Abb. 2: Die Abweichung der Sommertemperaturen an der Station Innsbruck-Universität vom Mittelwert des 20. Jahrhunderts. Der „Jahrhundertsommer 2003“ war um 4,4 Grad Celsius zu heiß, während der „Jahrtausendsommer 1540“ vermutlich um 5 bis 7 Grad zu heiß war. Daten: ZAMG (HISTALP). Die Säule 1540 in Anlehnung an WETTER et al. (2012).

Was wir aus zeitgenössischen Quellen über den Sommer 1540 erfahren, zitiert aus wissenschaftlicher Literatur:

• Es war die Jahrtausendhitze und Jahrtausenddürre in Mitteleuropa.
• In großen Teilen Mitteleuropas gab es 11 Monate lang (fast) keinen Regen.
• Eine Million Tote in Europa – die meisten starben an der Ruhr (verunreinigtes Wasser).
• Rhein, Elbe und Seine konnten „trockenen Fußes durchwatet werden“.
• Die „warme Brühe“ in den Gewässern „färbte sich grün, Fische trieben darin kieloben“.
• Wälder und Städte gingen in Flammen auf, Europa war in Rauch eingehüllt.
• Der Sommer 1540 war um 5 bis 7 Grad Celsius wärmer als ein durchschnittlicher Sommer im 20. Jahrhundert.
• In weiten Teilen Europas wurde schon im Mai 1540 das Wasser knapp – Brunnen und Quellen fielen trocken, die Mühlen standen still.
• Die Leute hungerten, das Vieh wurde (aufgrund von Wassermangel) notgeschlachtet.
• Menschen gruben in ausgetrockneten Flussbetten nach Wasser.
• Trockenrisse waren so groß, „dass man hätte Schuhe hineinstellen können“.
• Sogar im regenreichen Nordtirol fiel 15 Wochen lang kein Niederschlag

Wie war dieser Sommer im Vergleich zum Jahrhundertsommer 2003?

• „2003 war heftig, aber 1540 war noch viel extremer“, so der Klimaforscher Christian Pfister.
• 1540 habe den Hitzesommer 2003 „bei Weitem übertroffen“, so Oliver Wetter (Universität Bern).

Bodensee
Es gibt zahlreiche Berichte zum Jahrtausendsommer 1540 am Bodensee. Chronisten staunten, dass der See „so klein“ war. Der Bodenseepegel sank so tief, dass die Insel Lindau mit dem Festland verbunden war. In den ausgetrockneten Teilen des Bodensees suchten die Menschen nach römischen Münzen. Der Rhein war so klein, dass man zu Fuß durchging.

Abb. 3: Lindau verlor im Sommer 1540 seinen Status als Insel im Bodensee. Foto: Edda Praefcke

Abb. 3: Lindau verlor im Sommer 1540 seinen Status als Insel im Bodensee. Foto: Edda Praefcke

 

Jahrtausendwein und Landwirtschaft

Die Auswirkungen auf die Landwirtschaft waren mannigfaltig. Es wurde ein Jahrtausendwein gekeltert, für den eigene Prunkfässer angefertigt wurden. Dieser Wein, der im Glas „wie Gold“ aussah, war so gut, dass Menschen sich daran „zu Tode getrunken“ haben sollen. Knapp 100 Jahre später fahndeten im Dreißigjährigen Krieg schwedische Truppen in Würzburg nach dem Wein. Sie konnten ihn aber nicht finden, weil die Würzburger die Prunkfässer eingemauert hatten.

Abb. 4: Die Flasche in der Mitte ist eine des Jahrtausendweins von 1540. Sie lagert im Weingut „Bürgerspital“ in Würzburg. Foto: Michael Stephan

Abb. 4: Die Flasche in der Mitte ist eine des Jahrtausendweins von 1540. Sie lagert im Weingut „Bürgerspital“ in Würzburg. Foto: Michael Stephan

In Pfons (Tiroler Wipptal) konnte man bereits im Mai das Getreide ernten. Danach wurde erneut ausgesät – und am 08. September zum zweiten Mal geerntet. In Lindau am Bodensee gab es zwei Kirschernten. Auch im Elsass blühten die Obstbäume zweimal. Wein war 1540 vielerorts billiger als Wasser – z. B. am Bodensee und in Bayreuth.

Das große Sonnenjahr

Das sogenannte „große Sonnenjahr“ brachte Mitteleuropa 11 Monate Mittelmeerklima. Bis Jänner 1541 blieb es sonnig und warm. Der Winter 1540/41 ist praktisch vollständig ausgefallen. In Schaffhausen (CH) badeten die Menschen zu Weihnachten 1540 im Rhein. Im Jänner 1541 blühten in Matrei am Brenner (Tirol) die Kirschen. Dafür fiel im westlichen Russland der Sommer 1540 aus: Chronikeinträge berichten von Hochwasser und Kälte.

 

Kommen wir zu einem Fazit:

1. Der Sommer 1540 brachte den Jahrtausendsommer, die Jahrtausendhitze und die Jahrtausenddürre.
2. Dieser Sommer war um etwa 5 bis 7 Grad Celsius wärmer als im Mittel des 20. Jahrhunderts.
3. 1540 war deutlich extremer in puncto Hitze und Trockenheit als 2003.
4. Das große Sonnenjahr brachte auch nördlich der Alpen fast ein Jahr lang mediterranes Klima. Der Winter 1540/41 ist praktisch ausgefallen.

 

Alle Quellenangaben sowie weitere Informationen für Interessierte

Im YouTube-Kanal „SCHNEE und KLIMA“ finden Sie dieses Thema in einem kurzweiligen Videovortrag aufbereitet.
Auf www.zukunft-skisport.at/videos finden Sie einen umfangreichen Foliensatz zum Jahrtausendsommer mit allen Quellenangaben.

Literatur:
WETTER Oliver et al. (2014): The year long unprecedented European heat and drought of 1540 – a worst case. In: Climatic Change 125, 349 363. Link: https://link.springer.com/article/10.1007/s10584-014-1184-2

Günther Aigner

Günther Aigner (* 1977 in Kitzbühel) ist ein Zukunftsforscher auf dem Gebiet des alpinen Skitourismus. Mit dem 2013 gegründeten Unternehmen ZUKUNFT SKISPORT bietet er Beratungs- und Marketingdienstleistungen auf der Basis von „Forschung aus der Praxis für die Praxis“. ZUKUNFT SKISPORT möchte als Bindeglied zwischen dem akademisch-wissenschaftlichen Denkraum und den alpintouristischen Praktikern verstanden werden. Hierbei wird ein ganzheitlicher und interdisziplinärer Ansatz verfolgt. 2021 ist Aigner an die Universität Innsbruck zurückgekehrt, wo er als „PhD candidate“ (Doktorat „Management“) den Kreis zur akademischen Forschung schließt. Günther Aigner gibt sein Wissen als Gastlektor an Hochschulen in Europa und Asien weiter. Außerdem nimmt er in den Medien als Experte am öffentlichen Diskurs teil. Als „Speaker“ hält er Fachvorträge im In- und Ausland.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar