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Helmuth Schönauer
Watsche in Schwarz
Stichpunkt

Wenn ein Schwarzer einen Schwarzen ohrfeigt, weil dieser seine schwarze Frau in einem Witz verunglimpft hat, dann regt sich niemand auf. Offensichtlich ist das Watschen auf offener Bühne unter Schwarzen so üblich.

Aber wenn ich das als Weißer sage, ist es rassistisch.

Selbst als ausgebildeter neugieriger Glossist kriegt man nicht immer alles mit. Angeblich soll es bei der diesjährigen Oscar-Verleihung zu einer Abwatschung auf der Bühne gekommen sein. Aufgeregte Oscar-Fernseher sind extra bis in die Morgenstunden hinein wach geblieben, um diese Szene zu TV-watschen.

Ihr Pech: Niemand konnte auf Anhieb im Morgengrauen eine Antwort geben, ob Rassismus im Spiel ist.

Als gesund-schläfriger Glossist bin ich froh, dass ich die Szene nicht gesehen habe und somit auch nicht deuten kann. Ich muss leider das Publikum bitten, sich selbst die Frage zu stellen, ob das Rassismus gewesen ist.

Eine andere Anregung ähnlich dunkler Provenienz kommt aus der Szene der Spontanhelfenden.

Wenn der Krieg vorbei ist, sagen sie, sollen Leihmutterschaften in der Ukraine verboten werden, es sei denn, später wird zum Kind auch die Leihmutter adoptiert. Auch hier kann ich als Glossist nichts sagen, weil ich keinen Zugang zum Leihmuttermarkt habe.

Überhaupt nehmen in letzter Zeit Fragestellungen zu, die niemand beantworten kann. Am leichtesten tut sich noch das österreichische Gemüt bekanntlich damit: Immer schön neutral bleiben!

Eine dritte aus dem Bauch eines Mitbürgers heraus formulierte Überlegung lautet: Es werden zu viele Fälle vom Höchstgericht eindeutig entschieden. Das Wesen heikler Fälle besteht ja darin, dass man sie auf dieser Welt nicht entscheiden kann.

Dieser Meinungsanreger fügt auch noch den Vorschlag hinzu, man möge doch an jedem Gericht eine Abteilung für Kriegsverbrecher aufmachen. Dort könne man über eine Einlaufstelle viel Wut aus der Bevölkerung herausnehmen und wortreich vertagen. Denn das scheint ja mittlerweile der Fahrplan europäischer Gerichte zu sein: Die Wut herausnehmen, protokollieren, vertagen und später einmal ein Buch über ungeklärte Fälle herausgeben.

Gerade durchquert der Glossist den Kinderspielplatz, wo eine Kinderschlägerei stattgefunden hat. Der Pausenaufseher der angrenzenden Schule fügt zwei Schwurhände der Kids ineinander und spricht die Formel: „Vertagts euch wieder!“

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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