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Elias Schneitter
Lemberg
Die Stadt mit dem unterirdischen Fluss
Notizen

Vor knapp einem Jahrzehnt (noch vor den Maidan-Aufständen) fuhr ich mit Kollegen zum Literaturfestival in Lemberg. Wir waren im Hotel „Sputnik“ untergebracht, mit besonderem Service. Des Nachts erhielt man eine Telefonanfrage, ob man sich einsam fühle.

Während dieser Woche wurden wir vom sehr sympathischen österreichischen Kultur-Attaché Andreas Wenninger betreut. Er zeigte uns ein wenig die Stadt. Bis auf eine Straße, die frisch asphaltiert war, und die dazugehörigen Häuserzeilen, die bestens renoviert waren, war alles ziemlich baufällig und die übrigen Straßen bestanden vor allem aus Schlaglöchern. Der Grund für diese einzige „Pracht“ war der Besuch von Papst Johannes Paul II vor einiger Zeit gewesen. Man wollte einen guten Eindruck bei ihm hinterlassen.

Auch kamen wir an der Universität vorbei, an der Joseph Roth studiert hatte, aber, wie uns Herr Wenninger bestätigte, der nachmals berühmte Autor sah das Gebäude nur ganz selten von innen.

Der Kultur-Attaché selbst wohnte in der ehemals berüchtigten Straße des Geheimdienstes. Inzwischen für ihn eine gute Adresse, weil hier nur selten der Strom ausfiel, was ansonsten regelmäßig der Fall war. Auch habe er keine Sorge, abgehört zu werden, denn erstens würde das Wienerische ohnehin kaum jemand verstehen und zudem hätte der Geheimdienst nicht genug Geld für Übersetzer.

Beim Festival staunten wir nicht schlecht, welche Stellung die Dichtkunst unter dem zahlreich erschienenen, vorwiegend jugendlichen Publikum hatte.

Bei unseren Lesungen waren jede Menge interessierter Zuhörer, und nachher wurden wir geradezu von jungen Studierenden belagert. Bei den lebhaften Diskussionen ging es natürlich auch um die politische Situation in der Ukraine. Die Ukraine habe zwei Amtssprachen, ukrainisch und russisch. Im westlichen Landesteil werde vor allem ukrainisch gesprochen, und hier wäre man fortschrittlicher als im östlichen Teil. Dort wären die Menschen noch „konservativer“, mehr in der Tradition verhaftet, mehr nach Russland orientiert.

Wir waren jedenfalls erstaunt, welche Aufbruchsstimmung unter den jungen Leuten herrschte, alle energiegeladen bis in die Haarspitzen. Und alle sahen ihre Zukunft in der Annäherung zum Westen. Weg von der russischen Vergangenheit!

Einmal wurden wir in ein eigenartiges Restaurant eingeladen. Es trug den Namen „Kryivka“ (Versteck). Beim Eingang musste man anklopfen, worauf ein verkleideter Soldat mit Waffe die schwere Tür öffnete und man beim Eingang gleich einen Wodka trinken musste. Wir stiegen in ein unheimliches Kellergewölbe hinunter, wo es rau und brachial zuging.

Wir bestellten das empfohlene Spezialmenü und während wir es zu uns nahmen (mit Wodka), fiel plötzlich das Licht aus und rauchige Stimmen brüllten aus Lautsprechern: „Russki raus!!!! Russki raus!!!“ Im ersten Moment war ich etwas erstaunt, aber bald stellte sich heraus, dass diese Einlage zum Programm des Themenrestaurants gehörte. Das Licht ging wieder an, lautes Gelächter ertönte und ein paar verkleidete Kämpfer stürmten durch die Gänge.

Jedenfalls war ich froh, als wir das Etablissement wieder verlassen hatten. Nicht unbedingt meine Kragenweite; aber wie wir erfuhren, gibt es in Lemberg mehrere solcher Lokale mit Themen-Gastro. Unter anderem auch ein Cafe „Masoch“. Sacher Masoch war ja in dieser Stadt geboren worden und in dem betreffenden Café konnte man sich symbolisch von der Kellnerin mit einer Peitsche den Rücken malträtieren lassen. Seltsamer Geschmack.

Im Zentrum der Stadt gab es aber auch ein Wiener Café, in dem ich mich eindeutig wohler fühlte als im „Versteck“.

Lemberg ist mit seinen 700 Tsd. Einwohnern ein großes urbanes Zentrum. Dennoch, als besonderes Merkmal, liegt die Stadt nicht an einem Fluss. Die Poltwa, ein kleines Rinnsal, durchquert sie nämlich unterirdisch.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. c. h. huber

    traurig, was man jetzt von lemberg berichtet bekommt! damals wär ich aber sehr gern dabei gewesen.

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