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Helmuth Schönauer
Hangrutsch in Osttirol
Stichpunkt

Im Handbuch journalistischer Ausbildung wimmelt es nur so von klugen Tipps und kräftigen Bildern aus analoger Zeit. So wird eine Nachricht oft mit einer Beute verglichen, die der journalistische Beutegreifer auf zwei Arten erlegen kann: Durch jähen Satz und Sprint wie bei einem Geparden. Oder durch langsames Aussitzen wie bei einer Schlange.

Mit jedem Ausatmen der Beute zieht die Schlange fester zu, bis das Opfer das Bewusstsein verliert.

Nach diesem Lehrsatz hat der ORF-Tirol einen Einheimischen in Osttirol sitzen, der ununterbrochen an heißen Storys dran ist, um seine Existenz unter dem Schutz von Zwangsgebühren zu legitimieren.

Für das journalistische Arrangement stellt man sich Osttirol daher am besten als Disneyland vor, worin jeden Tag infantile Wesen auf der Suche nach Abenteuer unterwegs sind. Der Berichterstatter mutiert dabei zu einem guten Onkel, der seine Geschichten wie Bonbons draußen am Sendeplatz in Innsbruck verteilt, um das Publikum bei Laune und süßer Stimmung zu halten, damit es im Bedarfsfall einen Urlaub in Osttirol wagt.

Im Volksmund wird er Happy-Hippi genannt, ein aus der Zeit gefallener Nachrichten-Gutmensch, der fallweise ein Jahr lang an einer Geschichte dran ist, bis diese endlich in Bewegung kommt.

So eine Long-Story ist unter anderem ein rutschender Hang in Innervillgraten.
Schon als die ersten Brösel den Hang hinunterkollern, ist Happy Hippi mit der Kamera zur Stelle und nimmt einen wortkargen Landwirt auf, der soeben Mutter und Kühe evakuiert hat. Ja, ummi auf die andere Talseite!

Dort hat das Landes-Geologenteam aus Innsbruck draußen eine Vorrichtung für Monitoring aufgestellt. Kameras überwachen jeden Haarriss des inkriminierten Hanges und schicken fallweise eine Nachricht an Happy Hippi, dass sich in seiner Geschichte wieder etwas bewegt hat.

Wöchentlich erfahren wir nun, wie es dem dynamischen Hang und dem aufgegebenen Hof geht. Der Bauer drängt auf eine rasche Lösung, schließlich darf die Politik nicht so trödeln wie der Hang, der mit seinem Absturz zuwartet. Die Geschichte bleibt aufregend, Hang und Wildbach-Verbauung haben sich in einer Pattsituation verfestigt, und der ausquartierte Bauer ist mental in Sitzstreik getreten, obwohl er seine Interviews tapfer im Stehen gibt.

Vorläufiger Höhepunkt: Die Wildbach-Verbauung will einen Damm errichten, der dem evakuierten Bauern aber zu hoch ist. Dann sehe ich nichts mehr und das Vieh hat es dunkel. Außerdem müsste die Gemeinde allerhand Geld in die Hand nehmen und sich an den Kosten des Landes-Damms beteiligen.

Bei einer aufwühlenden Gemeinderatssitzung wird der Damm gutgeheißen, was beim Rutsch-Betroffenen Verzweiflung auslöst. Seit Jahrzehnten wohnt er mit seinem Vieh in der roten Zone. Denn er kann nichts dafür, dass seine Vorfahren an so einem dummen Ort hingebaut haben.

Der Hang ist noch unschlüssig, wann er abgehen wird. Happy Hippy freilich wird bereit stehen und senden.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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