Vanessa Musack
Von verrückten Hormonen und Frustrationen
Notizen
Kinder kommen zur Welt und lösen damit eine bisher unbekannte Welle der Euphorie aus. Die Hormone spielen verrückt und das nicht nur bei uns Frauen. Die Liebe ist grenzenlos und wir sind uns einer Sache gewiss: Jetzt werden wir alles richtig machen.
Lange genug hatten wir Zeit, um darüber nachzudenken, wie unsere Kinder einmal sein sollten: selbstbewusst natürlich. Sie sollen wissen, was sie vom Leben wollen und wofür sie einstehen möchten. Und sie sollen dem nachfolgen, was wir ihnen als gut und redlich vorleben, denn wer sollte es schon besser wissen als wir, ihre Eltern. Bei der Beobachtung anderer Familien ist uns nicht nur einmal der Satz über die Lippen gekommen, dass wir das „unseren Kindern nicht durchgehen lassen werden.“
Aber mit der grenzenlosen Freude über das große Glück ist es nicht getan. Im Rausch der Gefühle fallen uns nach und nach allerhand Dinge ein, die in der eigenen Kindheit nicht so großartig verlaufen sind und uns traurige Momente beschert haben. Mit dem einen wurden zu wenige Ausflüge und Reisen unternommen, von einem anderen gibt es zu wenige Kinderfotos, wiederum ein anderer war jedes Jahr an Weihnachten enttäuscht, der nächste wurde zu wenig gefördert und überhaupt wurde mit uns viel zu wenig geredet und zu wenig gespielt und wir wurden zu wenig gehört, getröstet und ernst genommen.
Die Betonung bei diesen Aufzählungen liegt auf ZU WENIG. Und genau dieses ZU WENIG soll es im Leben der eigenen Kinder nicht mehr geben. Also pendeln wir von einer Attraktion zur nächsten, spielen, was das Zeug hält, sind überall dabei und fiebern mit, auch wenn es uns im Moment vielleicht gar nicht danach ist. Detektivisch sind wir auf der Suche nach versteckten Talenten und halten penibel jede Körperhaltung und jeden Lacher fotografisch fest. Weihnachten und Geburtstage bieten die Möglichkeit für besonders großartige Inszenierungen. Eigentlich sind wir nicht einfach Eltern, wir sind DIE Eltern, die perfekten Eltern, man könnte schon fast sagen, wir sind die „best friends“.
Unsere Kinder dürfen all das machen, was wir nicht erleben durften oder anders herum betrachtet: was uns erspart blieb. Die Welt ist wahnsinnig schnell geworden und wir Erwachsenen sind tatsächlich der Überzeugung, dass das nicht nur für die Erwachsenenwelt gilt, sondern auch schon bei den Kleinen beginnen sollte.
Doch was macht eine „glückliche Kindheit“ aus? Ich denke, dass es auch bei einer glücklichen Kindheit im Lauf der Jahre zur einen oder anderen Schürfverletzung kommt. Das ist leicht nachzuvollziehen, denn ein gewisses Maß an Frustration gehört zu jedem Lernprozess dazu. Anders ist persönliche Entwicklung gar nicht denkbar. Und die heute viel zitierte Resilienz, die Frustrationstoleranz, das alles muss schließlich in Kinderjahren eingeübt werden. Theoretisch wissen wir das, aber die Realität sieht anders aus: Wir wünschen uns so sehr, dass unsere Kinder immer glücklich und niemals unglücklich sind, dass wir um jeden Preis versuchen, solche Frustrationen zu vermeiden.
Es versteht sich von selbst, dass Kinder für ihre gesunde Entwicklung viel liebevolle Aufmerksamkeit brauchen. Damit meine ich aber nicht, dass alles immer leicht und sofort erreichbar sein muss. Vielmehr geht es darum, für ein Kind da und greifbar zu sein. In Verbindung zu bleiben, auch wenn es einmal nicht so rund läuft, und es mit Empathie auf seinem Weg zu begleiten, sind unsere großen Herausforderungen als Eltern. Dazu gehört es auch, dem Kind zu ermöglichen, Fehler zu machen und ihm nicht alles abzunehmen, damit es lernen kann.
Dafür gibt es weder den richtigen Ratgeber noch eine andere Form der Anleitung. Denn als Eltern müssen wir uns zuerst einmal selbst kennen lernen, dann unser Kind und schließlich unseren gemeinsamen Weg, der von Kind zu Kind und von Elternteil zu Elternteil verschieden ist.
Unsere Kinder bringen so viel schon selbst mit und ihr Temperament wird ihnen in die Wiege gelegt. Trotz ihres jungen Alters haben sie bereits sehr unterschiedliche Lebensgeschichten. Bei uns Eltern ist das nicht anders. Tun wir uns also den Gefallen und versuchen wir nicht, verzweifelt starre, von Gesellschaft und Umfeld aufoktroyierte Erwartungen einzulösen. Bleiben wir, so gut es geht, wir selbst. Nur dann können wir den für uns passenden gemeinsamen Weg finden.
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