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Thomas Nußbaumer:
Mit einer inspirierten Vorstellung
geht das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck
in die Sommerpause
Besprechung

Volkslieder und Weisen lautete das Motto des achten und letzten Symphoniekonzerts, und mit Werken von George Enescu (Rumänische Rhapsodie Nr. 1. in A-Dur, op. 11), Franz Liszt (Fantasie über ungarische Volksmelodien) und Gustav Mahler (Sinfonie Nr. 1, D-Dur) wurde ein Programm präsentiert, das der Volksliedbegeisterung des späten 19. Jahrhunderts Rechnung trägt. Am Pult stand der hervorragende Brite Jonathan Bloxham und die Sensation des Abends war die überragende Performance des ungarischen Cimbalom-Virtuosen Jenő Lisztes.

Dirigent Jonathan Bloxham am Pult des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck © Chó/wefeel.art Dirigent Jonathan Bloxham am Pult des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck © Chó/wefeel.art

Doch zunächst schillerte das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck in allen Klangfarben bei der Wiedergabe von George Enescus Rumänischer Rhapsodie Nr. 1 aus dem Jahr 1901, wohl das populärste Werk des rumänischen Komponisten. Da geht es musikantisch zur Sache. 

Die Holzbläser eröffnen dialogisierend einen Reigen an Volksmelodien, die geschickt in folkloristisches Klangkolorit getaucht werden. Die Solo-Viola imitiert die Tanzgeigerfidel, die Harfen das Zymbal und die Blechbläser den für die rumänische Musiktradition so typischen Ciocârla-Klang. Je länger das kompakte, kompositorisch recht plakative Werk dauert, umso mehr entsteht das Bild einer entfesselten, sehr virilen Tanzgruppe, die sich im Schulterschluss bei Hora und Sârba austobt.

Jenő Lisztes am Cimbalom © Chó/wefeel.art Jenő Lisztes am Cimbalom © Chó/wefeel.art

Jenő Lisztes hingegen verausgabt sich am Cimbolom, dem auffälligsten Instrument der ungarischen Salonfolklore, das der in Böhmen geborene Instrumentenbauer Vencel József Schunda um 1870 in Budapest entwickelt hatte. Dieses Hackbrett, das insbesondere in der ungarischen und slowenischen Volks- und Unterhaltungsmusik gespielt wird, ist mit Pedalen ausgestattet und verfügt über einen immensen Reichtum an Klangfarbenschattierungen, wenn man es so zu spielen vermag wie Jenő Lisztes. 

Lisztes präsentierte sich zugleich auch als listiger, origineller Arrangeur, indem er den Klavierpart der Orchesterfassung der Ungarischen Fantasie seines Landsmanns Franz Liszt für sein Instrument umschrieb. Nahezu unfassbar ist seine Treffsicherheit mit den beiden Schlägeln in den durchwegs rasanten Passagen mit Akkordzerlegungen, Läufen und Trillern. In einer Kombination aus Geschwindigkeit und unübertrefflicher Pedaltechnik erschafft er durchwegs den Eindruck vollgriffiger Klavierakkorde, obwohl er grundsätzlich nur zwei Töne gleichzeitig spielen kann. 

Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung von Jonathan Bloxham und mit Jenő Lisztes am Cimbalom © Chó/wefeel.art Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung von Jonathan Bloxham und mit Jenő Lisztes am Cimbalom © Chó/wefeel.art

Dies alles geschieht in fast regungsloser Gelassenheit und Konzentration. Gleich einem Kolibri, dessen Flügelschlag so schnell ist, dass man sein Tempo mit freiem Auge kaum mehr zu erkennen vermag, zaubert Lisztes an seinem Instrument. Für einen Ungarischen Tanz von Johannes Brahms als Zugabe erntete er jubelnden Applaus.

Beim krönenden Abschluss des Abends mit Gustav Mahlers Erster Symphonie kamen erneut die Fähigkeiten des Gastdirigenten Jonathan Bloxham, derzeit Musikdirektor des Luzerner Theaters, zum Tragen: Sinn für ausgewogene Tempi und klare Strukturen sowie eine Zeichengebung, die nichts zu wünschen übriglässt. 

In der fulminanten Aufführung eines Werks, in dem Poesie und Expressivität, Heiterkeit und Dramatik, Lebensfreude und Leichenkondukt, leichte Muse und hymnische Feierlichkeit, süffige Melodien und markante Rhythmik und dazu noch Volkslied und Kunstmusik so nahe beieinanderliegen und wie das Aprilwetter ins jeweilige Gegenteil umschlagen, winkten noch einmal in dieser Konzertsaison alle Registergruppen des Orchesters freudig zum Lebewohl in die Sommerpause: die präzisen, in den Fanfarenpassagen schneidigen Blechbläser und Blechbläserinnen, die musikantischen, auch solistisch geforderten Musikerinnen und Musiker an den Holzblasinstrumenten, die differenziert musizierenden Streicherinnen und Streicher, die Harfenistin und die famose Percussion-Gruppe.

Drei Musiker, die jahrzehntelang den Sound des Tiroler Symphonieorchester wesentlich mitgestalteten, verabschieden sich nun in den Ruhestand: der stellvertretende Stimmführer Christoph Peer an der Viola, der Hornist Nikolaus Niko Walch und Robert Zorn, als Solopauker lange schon quasi eine Institution. Wir wünschen der Orchesterleitung ein glückliches Händchen für die Nachbesetzung.

Das Symphoniekonzert wird heute, am Freitag, den 21. Juni, um 20 Uhr im Congress Innsbruck wiederholt.

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Thomas Nußbaumer

Thomas Nußbaumer ( geb.1966 in Hall in Tirol) ist ein österreichischer Musikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Volksmusikforschung / Ethnomusikologie. Nußbaumer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Innsbrucker Sitz der Universität Mozarteum Salzburg, Abteilung für Musikwissenschaft, Abteilungsbereich Musikalische Volkskunde, seit 2010 als Universitätsdozent für Volksmusikforschung. Daneben arbeitet er als freier Kulturjournalist.

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