Stephan Alfare
Ottakring – Franz - Flusskrebs
Drei Gedichte

Ottakring

Ja, der Yppenplatz, dann noch das Brunnenviertel,
dann endet das. Vor fünf, sechs Jahren habe ich gesagt,
das alles wachse bis hier herauf, mit neuen Lokalen,
neuen Leuten und so. Aber nichts davon ist passiert.
Die Menschen, die hier wohnen,
haben kaum Geld, das lohnt sich nicht.

Hier, eins Komma acht Kilometer vom Yppenplatz weg,
ist das Volk überlustig, arm und verbittert.
Ein Widerspruch? Gerade jetzt, um halb vier Uhr früh,
klopft in der Gasse weiter unten jemand
mit einem Hammer unablässig im Takt auf Stahl.
Von hier aus sind die Schläge nur leise zu hören.

Ottakring bleibt dreckig und unser! Bobos raus!
hat jemand an eine Hausfassade gesprüht.


Franz

Die Stehlampe in der Küche …
die sollte ich noch ausmachen,
bevor ich mich dann schlafen lege.
Ich fühle mich wie in ein Kleid
aus muffigem Stoff gewickelt,
ein Umstandskleid aus einem Zirbelholzschrank
aus den 70er-Jahren, in einem Haus
im Zürcher Niederdorf, Schweiz.
Einen Linseneintopf habe ich gekocht,
trinke das vierte Bier und sehe auf die Uhr.
Es ist drei Uhr früh.

Den großen Trinker Franz vom
Yppenplatz haben sie vorvergangene Nacht
in der Gaullachergasse tot aufgefunden.
Der gute Mann hatte Augen, stechende,
außergewöhnliche Augen, wie ein Schauspieler,
meerblau, aber der Tod funkelte schon vor zwei Jahren
in diesen wundersamen Augen
… ich erinnere mich …
eine Iris, die blinkte,
Pupillen wie milchige Spiegel.


Flusskrebs

Zu viel auf einmal.
Dann ist der Schlaf eine zweite Welt.
Bier war mein Brot heute Abend.
Die Dummheit ist allerorts allgegenwärtig,
wie das Hochquellwasser dieser Stadt.
Aber Träume lassen sich nicht berühren,
das kann niemand.
Meine Zigarette geht zu Ende,
meine gelbe Dose Bier.
Der Sekundenzeiger zittert
über das Zifferblatt auf dem
kleinen Wecker im Bücherregal.
John Prine singt im Radio
Angel from Montgomery.
Und ich bin müde
wie ein Flusskrebs.

Stephan Alfare

Stephan Alfare (* 28. Jänner 1966 in Bregenz) unternahm von 1987 bis 1990 Reisen auf dem Balkan, nach Griechenland, Italien, Frankreich und in die Türkei. Anschließend arbeitete er bis 1996 als Sargträger auf dem Ottakringer Friedhof in Wien. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Wien. Im Jahre 2000 nahm er am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teil. Stephan Alfare ist Verfasser von erzählenden Werken und Gedichten, Mitglied der Grazer Autorenversammlung und des Vorarlberger Autorenverbandes. Alfare erhielt u. a. 1999 das Staatsstipendium für Literatur in Österreich sowie 2002 den Theodor-Körner-Förderpreis.

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