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Ronald Weinberger
Reise-Impressionen: China, Taiwan, Singapur
1. Teil: Überblick

Woran denken Sie, wenn der Name „China“ fällt? An Corona-Virus, Uiguren, fehlende Menschenrechte, militärische Aufrüstung und Neue Seidenstraße –  vermute ich. Und bei „Taiwan“? An das (einstige) Vorbild bei der Bekämpfung des Corona-Virus, sowie die Bedrohung durch China – spekuliere ich. Und hinsichtlich Singapurs? An die im globalen Vergleich vorderen, häufig gar ersten Plätze, die dieser Stadtstaat in vielerlei Bereichen einnimmt – mutmaße ich.

China wird, siehe oben, von vielen von uns als eine Art dunkle Macht wahrgenommen. Und seine Bewohner als eine sich unter die Staatsmacht duckende, dauerüberwachte, der individuellen Freiheiten beraubte 1,4 Milliarden Individuen zählende Menschenmasse. Als eine Sorte Riesen-DDR.

Seltsam freilich, dass – etwa laut eines am 30.01.2020 im Qualitätsblatt Neue Zürcher Zeitung erschienenen Artikels – im Jahr 2018 knapp 150 Millionen Bewohner der Volksrepublik China ins Ausland gereist waren. 150 Millionen! Was die bloß für Eindrücke im von ihnen besonders gerne bereisten Westen gesammelt und von dort nach Hause mitgenommen haben dürften? Ich ahne da was… Derlei ist freilich nicht das Thema meiner Impressionen-Folge, wird aber am Ende von Teil 2 andiskutiert werden.

Apropos ich. Auch für mich gilt: Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen (wie bereits der 1815 verstorbene deutsche Dichter Matthias Claudius erkannt hat). Bloß war es nicht eine Reise, die mich in die von Chinesen dominierten drei Länder geführt hat, sondern in summa ungefähr deren vierzig. Durchschnittliche Reisedauer: jeweils etwa drei Wochen.

Bin ich gar von vornherein sinophil? I wo! Na ja, eigentlich doch, aber nur in Bezug auf eine ganz bestimmte Person, meine Frau nämlich.

Jetzt will ich etwas ausholen und über mich schreiben. Normalerweise ein No-Go,  da selbiges als Selbstbeweihräucherung oder Wichtigtuerei aufgefasst werden kann. Ich könnte mich, um dem zu entgehen, im Prinzip kurz fassen und auf den Wikipedia-Eintrag namens Ronald Weinberger verweisen. Das bringt indes nichts, denn dort ist weder meine Reisetätigkeit noch mein Privatleben Thema, obwohl beide von unmittelbarer Relevanz für meine Ausführungen sind.

Folglich nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Ich bin seit 1976 mit einer 1950 geborenen Chinesin verheiratet, deren Vater als junger Offizier sich am Ende des chinesischen Bürgerkriegs 1949 mit Resten der geschlagenen Truppen Chiang-Kai-sheks plus Ehegattin nach Taiwan absetzen konnte/durfte. Meine Frau ist gerichtlich beeidete Dolmetscherin für Chinesisch – Deutsch und vice versa und übersetzt(e) für mich, der Chinesisch leider nicht beherrscht, während unserer Reisen in China bzw. Taiwan ausführlich und offenkundig gerne.

Dazu kommt, als ein für meine Reise-Impressionen zentrales Merkmal, dass eine ihrer (in den USA lebenden) Schwestern, eine gut situierte, reisefreudige und in Organisationsfragen überaus beschlagene Person – die zudem Tirol in ihr Herz geschlossen hat –, aufgrund ihrer Kommunikationsfähigkeit und fallweisen Zusammenarbeit mit der chinesischen Botschaft in Washington DC etliche die USA bereisende Festlandchinesen teils betreuen, teils beraten konnte. Unter diesen Leuten befanden sich mehrere hohe bis sehr hohe Tiere aus Wirtschaft und Politik.

Da Chinesen, offenbar bis in die höchsten Ränge hinauf, gastfreundlich sind, begab es sich, dass meine Schwägerin von einigen dieser Personen geradezu gedrängt worden war, anlässlich ihrer privaten Chinareisen diverse Einladungen nicht nur für sich und ihren Ehemann, sondern zugleich auch für ihre China mitbereisenden Angehörigen anzunehmen. Meine Frau und ich fungierten in ein paar dieser Fälle als Anhängsel. So kam es, dass eine Handvoll unserer Reisen in China außergewöhnlich verliefen. Konkret: Sie führten uns ab und zu und zum Teil mehrere Tage lang an Orte, die, leicht verklausuliert ausgedrückt, nicht für jedermann zugänglich sind, und zu Personen, die normalsterbliche Chinesen wohl kaum persönlich je zu Gesicht bekommen dürften.

Zu behaupten, wir hätten China kreuz und quer bereist, wäre eine dreiste Übertreibung. Dafür ist dieses Land mit seiner 114-fachen Fläche Österreichs und knapp 766-fachen Fläche des Bundeslandes Tirol einfach zu riesig. Zum Beispiel zog es mich, aus politisch/ethischen Erwägungen heraus, bislang nicht nach Tibet. Nordwestchina, vor allem die von Uiguren besiedelte Provinz Xinjiang wollte ich bislang aus ähnlich gelagerten Gründen, aber ebenso wegen mehrerer Berichte, westliche Ausländer dürften nur eingeschränkt herumreisen und würden womöglich beschattet, nicht besuchen. Meine Frau hingegen möchte dorthin und so werde ich früher oder später klein beigeben. Auch das nördliche Nordchina, etwa die Provinz Heilongjiang sowie die Innere Mongolei, vermochte bislang keinerlei Reisebegeisterung bei uns zu entfachen.

Was unterscheidet unsere China-Reisen von den Reisen üblicher Touristen? Da sind einmal die Reiseziele zu nennen, denn das was „man“ sozusagen in China unbedingt gesehen haben muss, wurde teils schon früh von uns absolviert. Zum Beispiel der Besuch der Verbotenen Stadt in Peking, oder ein paar hundert Meter auf einem Stück der chinesischen Mauer zu promenieren.

Vor allem aber möchte ich, als ein Spezifikum unserer Reiseziele, den Teil Chinas anführen, in den sich aus nachvollziehbaren Gründen (Sprachprobleme, Rückständigkeit) so gut wie kein westlicher Tourist verirrt: Das Land, genauer gesagt, das Kennenlernen des Lebens der ländlichen Bevölkerung.

Ohne das Landleben, sprich, die Chinesen am Land gesehen und gehört (!) zu haben, bleibt die Bereisung Chinas Stückwerk. Eine weitere Besonderheit mehrerer unserer Reisen durch China war, dass wir uns chinesischen Reisegruppen, also Inlandsreisenden, anschließen konnten. Das war wegen meiner Frau und ihrer bereits angeführten Übersetzungsfreudigkeit möglich und brachte für uns beide mitunter einen ganz eigenen Nervenkitzel mit sich.

Bleibt noch zu erwähnen, dass mein erster Besuch eines von Chinesen bewohnten Landes, in diesem Fall Taiwan, 1976 stattfand, als ich dortselbst bei meinen künftigen Schwiegereltern persönlich um die Hand meiner Auserkorenen anhielt.

Deren Schock, dass ihre zu Hause zur Uni-Absolventin mutierte und nach Deutschland zwecks Erlangung eines Doktorgrades gesandte älteste Tochter einem „Langnasen“, der als kleiner Trost wenigstens selbst einen Doktorgrad einbrachte, in die Fänge geraten war und ihre doktoralen Ambitionen hatte sausen lassen, war da längst verdaut und ich wurde freundlichst aufgenommen. Unsere letzten Besuche in chinesischen beziehungsweise in von Chinesen beherrschten Landen fanden 2018 statt, wo wir zu Jahresbeginn Singapur und Taiwan, und zur Jahresmitte Festlandchina besucht hatten.

Sollte ich Ihr Interesse einigermaßen geweckt haben, so führen Sie sich bitte auch die künftigen 4 Folgen zu Gemüte. In diesen werde ich Ihnen meine Einschätzungen zum wirtschaftlichen und technologischen Status und zur politischen Stimmung von Einheimischen in den von uns besuchten Regionen Chinas näherbringen. Ich möchte aber auch mit Hinweisen auf (auch für Sie!) besuchenswerte landschaftliche Prachtregionen nicht geizen; die unzähligen kulturellen Stätten lasse ich außen vor, denn das Internet gibt über sie erschöpfend Auskunft. Gegen Ende werde ich auf Taiwan eingehen – und zu guter Letzt lade ich Sie ein, mir in Gedanken in die hinreißend schöne „garden city“ Singapur zu folgen.

Fortsetzung: Donnerstag 8. Juli 2021

Ronald Weinberger

Ronald Weinberger, Astronom und Schriftsteller, 1948 im oberösterreichischen Bad Schallerbach geboren, war von 1973 bis 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Von 1977 bis zum Pensionsantritt im Dezember 2011 war Weinberger an der Universität Innsbruck am Institut für Astronomie (heute Institut für Astro- und Teilchenphysik) als Fachastronom tätig. Als Schriftsteller verfasst Weinberger humorvolle Kurzgedichte und Aphorismen, aber auch mehrere Sachbücher hat er in seinem literarischen Gepäck: Seine beiden letzten Bücher erschienen 2022 im Verlag Hannes Hofinger, im Februar das mit schrägem Humor punktende Werk "Irrlichternde Gedichte" und im September das Sachbuch „Die Astronomie und der liebe Gott“ mit dem ironischen, aber womöglich zutreffenden, Untertitel „Sündige Gedanken eines vormaligen Naturwissenschaftlers“.

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