Ronald Weinberger
November
Besonnte Besinnlichkeit

Veränderung ist zumeist eine Zumutung. Vergänglichkeit ist nichts für Feiglinge. Der November steht für beides. Blätter fallen, das Sonnenlicht schwindet. Die Zeitumstellung tut das Ihre. Etliches davon ist allemal reversibel. Obgleich nur dem Augenschein nach.

Vergangenes ist von anderem Kaliber. Was war, ist unwiederbringlich vorbei. Die Verstorbenen werden nicht wiedererweckt. Auch wenn Religionen anderes behaupten. Verflossene Tage kehren nicht zurück. Die Erinnerung vermag dies durchaus. Vergänglichkeit ist die Konstante schlechthin. Sie ist der Natur inhärent. Offensichtlich steckt in ihr „Sinn“.

„Sinnvoll“ sind Allerheiligen und Allerseelen. Sie gemahnen an unsere Vergänglichkeit. Und können zudem tröstlich wirken. Die Verstorbenen sind uns nahe. Und sind zugleich unerreichbar fern.

Durchaus vergleichbar mit unserem Stern. Unserem Wärme-, Licht-, ja Lebensspender. Unserem Dauerbegleiter, wie es scheint. Indes selbst er ist vergänglich. Das sei wie folgt aufgezeigt:


Unbesiegbar schienst Du, ewig wiederkehrend,
warst „Ra“, schriebst „Helios“ Dich oder „Sol“;
indes, als Astronomen Dich als Stern erkannten
und Dich – welch Frevel! – nüchtern „Sonne“ nannten,
wurdest entzaubert, gar entgöttlicht Du; gleichwohl
das Schwinden Deines Glanzes war unstreitig entehrend.

Nimm hin, was Parzen nie, hingegen Forscher da berichten:
Selbst Du, wenngleich erst nach Milliarden Jahren,
wirst abberufen werden, freilich keineswegs im Stillen,
denn die Natur nicht achtet hier auf Deinen Willen
und wird mit Dir ganz ihrer Art gemäß verfahren;
wie, sei verraten Dir: sie wird beinahe restlos Dich vernichten.

Memento mori, Sol!


Ein Addendum zu diesem Stern. Konkret, zur Vergänglichkeit unserer Sonne.

Ihr Schicksal ist zugleich unseres. Sie wird nämlich „unser“ Grab. Unser meisten Atome letzte Ruhestätte! Allerdings erst nach einer „Ewigkeit“. Freilich eine Ewigkeit mit Ablaufdatum. Eine Ewigkeit mit einem Ende. Nämlich dem Ende unseres Universums. Ein Finale nach vielen Jahrmilliarden …

Sollen diese Aussichten nachdenklich machen? Gewiss! „Besinnlich“ wäre aber angemessener.

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Ronald Weinberger

Ronald Weinberger, Astronom und Schriftsteller, 1948 im oberösterreichischen Bad Schallerbach geboren, war von 1973 bis 1976 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Von 1977 bis zum Pensionsantritt im Dezember 2011 war Weinberger an der Universität Innsbruck am Institut für Astronomie (heute Institut für Astro- und Teilchenphysik) als Fachastronom tätig. Als Schriftsteller verfasst Weinberger humorvolle Kurzgedichte und Aphorismen, aber auch mehrere Sachbücher hat er in seinem literarischen Gepäck: Seine beiden letzten Bücher erschienen 2022 im Verlag Hannes Hofinger, im Februar das mit schrägem Humor punktende Werk "Irrlichternde Gedichte" und im September das Sachbuch „Die Astronomie und der liebe Gott“ mit dem ironischen, aber womöglich zutreffenden, Untertitel „Sündige Gedanken eines vormaligen Naturwissenschaftlers“.

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