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Regina Hilber
Unter Dach und unter Wasser
Über die Unmöglichkeit,
einen Essay über Steyr zu schreiben.
Folge 3
Kein Platz für Romantik?
TestpilotInnen im österreichischen Detroit

Münichholz sagt, machen wir! Go Albuquerque. Not just around. Go Albuquerque. Das Bild- und Wortprojekt STEYR GOES AROUND als social media-affines Streugut ist schnell gefunden: 45# Hashtags für Steyr. Ein bisschen wird es noch dauern. Ein wenig nur. Noch sind da Eisen und Erz als Geschichtsmarker auf der Parallelspur in geeigneter Position zu belassen. Ein Text bleibt ein Text. Mehrere Frequenzen lang.

Little Detroit? Gegenwärtig ziehen die Prototypen der BMW Group Werk Steyr ihre kleinen Kreise um den hügeligen Stadtteil Christkindl herum: In auffällig beklebten Karosserien kurven die frisch am Laufband zusammengefügten Autos die Hügel hinauf auf einspurigen Straßen.

Von wegen Tarnkappe. Vorsicht, Betriebsspionage! Mit an Bord sämtliche Computer zu Aufzeichnungszwecken. Was kann der neue Wagen? Was kann er nicht? Die Auswertung erfolgt parallel auf dem Bildschirm drüben im Werk im Stadtteil Münichholz. Was so ein Testpilot alles sieht auf Nebenfahrbahnen, vormittags, zu einer toten Stunde an einem toten Winkel.

Der beste Geschichtenerzähler aller Zeiten wäre/ist so ein Fahrer! Go Albuquerque. Not just around. Ich sage es in den leichten Fahrtwind, der Vorderreifen des Leihrades platzt lauthals, knallt in den Steyrer Obstschaugarten hinüber, wo es zurückschallt. Die Dame mit Hund unter dem Apfelbaum dreht den Kopf. What the fallen foreign fellows! Don´t fall apart.

Vor Pannen und Platten war auch Ladislaus E. Almásy nicht gefeit gewesen auf seinen abenteuerlichen Expeditionen durch Afrika und den Vorderen Orient. Der österreichisch-ungarische Afrikaforscher, Testpilot und Expeditionsführer hinterließ nicht nur zahlreiche Aufzeichnungen, Skizzen, Fotos und Abenteuerliteratur, sondern Mythen und Gerüchte. Seine Rolle als Entdecker und Forscher während des Nationalsozialismus scheint unentwirrbar. Durch den Kinofilm Der englische Patient wurde der mythenumrankte Forscher einer breiten Öffentlichkeit (wieder) in Erinnerung gerufen. Mit der Filmfigur des Grafen László Almásy hat seine wahre Biografie jedoch wenig zu tun.

Robuste Steyr Lastkraftwägen aus Grazer Produktion (die LKW-Sparte wurde 1990 an MAN verkauft) waren Almásys stabile Begleiter, etwa auf der Expedition durch Ägypten in den Sudan. Das österreichische Detroit wusste der zweitgeborene Sohn von György Almásy früh gekonnt zu nutzen: Als Testimonial der Steyr Werke profitierte er vom Equipment, das ihm zur Verfügung gestellt wurde. Almásy zog seine Radien zur Pionierzeit des Automobils etwas weiter als die gegenwärtigen Testpiloten in Steyr, die über den verwaisten Museumsbahnhof Steyrtal hinauf nach Christkindl ihre Testrunden ziehen.

Detroit und Ford, während gegenwärtig matchagrün die Enns. Unterhalb des Tabors, in der HTL Steyr, sitzen die Techniker und Pioniere von morgen.

Sprung über den Atlantik. Kaum ein Land hat seit Beginn der Automobilindustrie mehr On the Road-Faszination ausgeübt als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Mit dem Import erfolgreicher Massenmodelle wie zum Beispiel dem Ford Model T kam der Hype nach Europa und ebnete auch hierzulande den Weg für die Massenproduktion. Der britische Autor Tim Moore beschreibt in seinem Buch T wie Trouble seine abenteuerliche Tour in einem Original Ford Model T durch Trumps Amerika. Alice B. Toklas & Gertrude Stein, die viele Jahre in Frankreich lebten, nannten ihren störrischen aber robusten Ford Model T liebevoll Tante Pauline, kurz auntie. Vor allem während der beiden Weltkriege leistete er dem illustren Gespann wertvollste Dienste.

Allgemein wurde das zuverlässige Automobil Tin Lizzy (Blechliesl) genannt. Ein frühes Produkt der Populärkultur. Henry Ford waren Pferdegespanne verhasst gewesen. Sein Massenmodell T musste billiger sein als ein Pferdegespann – das war Henry Fords Devise. Sein Auto sollte die trägen Ackergäule für immer ablösen.

Das Steyr Waffenrad oder das berühmte Moped – die Puch MS 50 – aus der Produktion der Steyr-Daimler-Puch AG waren bis in die achtziger Jahre hinein ebenso Kultmodelle. Jeder Österreicher hatte zumindest einen Großvater, Onkel, eine Tante oder einen Vater, der eine Puch in der Garage stehen hatte. Mein Großvater fuhr seine Puch den Brunnberg am Wagram hinauf zu den Weinkellern, und der kriegsversehrte Halperer lenkte gekonnt sein Steyr Waffenrad mit einem Arm durch das Dorf .

Am Betriebsstandort Steyr und Umgebung wurden und werden (neben Waffen) Produkte geschaffen (nicht bloß produziert), die aus der Populärkultur nicht wegzudenken sind. Nicht nur Arbeiter sind stolz auf ihr Produkt, wenn es die Werkshalle verlässt, dieser Stolz, basierend auf einer langen Tradition, prägt die gesamte Region um Steyr.

Aus der Wirkmacht und dem Sog neuer Innovationstechnologien, Produktästhetik sowie Populärkultur lassen sich mitunter Romantisierungsmechanismen in Gang setzen, die mit dem Begriff Heimat in Verbindung gebracht werden.

Jagdwaffenhersteller umwerben ganz gezielt junge Jäger mit ihren Produkten. Lederhosenkult und Dirndllook gehen seit einigen Jahren Hand in Hand mit rechtspopulistischen Tendenzen. Rechtsorientierte Parteien machen sich diesen Retro-Hype zunutze.

In den achtziger Jahren war das genau umgekehrt: ländliches Brauchtum, Lokalpatriotismus bzw. jegliche Heimatkonnotationen wurden von Subkulturen wie Punks, Popper oder Waver radikal abgelöst. Eine grassierende Bravheit und Folgsamkeit beherrscht gegenwärtig das Land.

Fortsetzung folgt

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Regina Hilber

Regina Hilber, geb. 1970, lebt als freie Autorin in Wien, schreibt Essays, Erzählungen sowie Lyrik. Sie ist auch als Publizistin und Herausgeberin tätig. Zuletzt erschienen ihre gesellschaftskritischen Essays in Lettre International, Literatur und Kritik und in der Zwischenwelt. Ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet, ihre lyrischen Zyklen in mehrere Sprachen übersetzt. Zahlreiche Einladungen zu internationalen Poesiefestivals und geladenen Schreibaufenthalten in ganz Europa. 2017 war sie Burgschreiberin in Beeskow/Brandenburg. Buchpublikationen zuletzt: Palas (Edition Art Science, 2018) und Landaufnahmen (Limbus Verlag, 2016). 2018 gab sie die zweisprachige Anthologie Armenische Lyrik der Gegenwart — Von Jerewan nach Tsaghkadzor (Edition Art Science) heraus.

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