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Peter Bubenik bespricht:
Martin Petrowsky (Herausgeber)
„davongekommen…“
Briefe von und an Erika Mitterer
aus den Jahren 1945/46

Erika Mitterer hat die Herausgabe der Briefe, die in diesem Buch abgedruckt sind, geplant. Sie hat es nicht mehr erlebt. Im Vorwort des Buches schreibt Dr. Karl Müller, dass Erika Mitterer eine Ausgabe der Briefe plante, zur Mahnung und zur Herzens-Bildung nachfolgender Generationen.

Ihr Sohn Martin Petrowsky hat diese Korrespondenz nun im Sinne seiner Mutter publiziert. Die Mahnung steht in den Briefen, die Herzens-Bildung kommt aber nicht nur aus den Inhalten der Briefe, sie entsteht auch durch die liebevolle Behandlung der Briefe durch den Herausgeber.

Man spürt in diesem Buch das Herzblut und das Engagement, das hinter der Reihung der Briefe, ihrer Einbettung in die Tagebuchtexte der Erika Mitterer, die das Geschehen, das in den Briefen dargestellt wird, kommentieren, erweitern und klarer dastehen lassen. Weiters macht das Buch noch interessanter die immer wieder eingefügten Bilder von den Originaltexten. Die eingestreuten Gedichte von Erika Mitterer stehen zudem da wie Wegweiser, die die Aussagen und Erlebnisse der Briefautoren vertiefen.
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Nach dem Wissenschaftlichen Vorwort von Univ.-Prof. i.R. Dr. Karl Müller folgt das Vorwort von Erika Mitterer mit kurzen Charakterskizzen der Briefschreiberinnen und Briefschreiber.

Und dann beginnen die einzelnen Briefe. Sie sind allesamt informativ und in ihren persönlichen Teilen erschütternd, sie ergeben ein Panorama des Schreckens, der Verzweiflung in der Zeit des Jahres 1945.

Käthe Mitterer, die Tante von Erika Mitterer, schreibt am 9. 4. 1945 “ … A.L. ist mit den Kindern geflohen, irrte tagelang in den Payrbacher Wäldern im Schnee umher und soll sich auf dem Weg nach Puchberg befinden. Durch die SS haben wir … alles verloren.“ Noch am selben Tag hat sich Käthe Mitterer vergiftet, das schreibt Erika Mitterer als Zusatz zu diesem Brief dazu.

Immer wieder steht in den Briefen auch Tröstliches und in all dem furchtbaren Geschehen des Kriegsendes geben die Schreibenden nie die Hoffnung auf Friedenszeiten auf.

Zum Beispiel schreibt Maria Schütt an Erika Mitterer am 30. Mai 1946: „Fand ich doch grad die schöne Welt recht abscheulich, „Zahnweh“, und alle Frauen bekommen Post von ihren Männern, nur ich nicht. So rauchte ich und gleich war alles leichter und der Mut war wieder da und die Hoffnung, dass einmal alles wieder gut wird.“

Etliche Briefe stammen aus der Emigration, unterschiedlich sind da die Stimmen. Während manche nicht mehr in die alte Heimat, die sie verstoßen hat, zurückkehren wollen, sehnen sich etliche nach Österreich zurück.

Richard Loeb machte den Mitterers den Vorschlag, dass sie nach Brasilien auswandern sollten und damit vor allem den Kindern eine gute Zukunftsperspektive geben. Erika Mitterer schreibt zurück:

„Je älter man wird, desto mehr spürt man bei aller Weltoffenheit, wie sehr man verwurzelt ist – in der Landschaft und unter ihren Menschen … Für die Kinder und ihre Zukunft aber kann es freilich entscheidend sein, ob sie unter den zwangsläufig engen und drückenden Verhältnissen, die für die nächsten Jahre hier als Mindestes zu erwarten sind, aufwachsen werden oder in freier Luft und weitem Raum. … Ist nicht das Beharren bei dem deutschen Kulturerbe, das wir unseren Kindern wohl selbstverständlich wünschen, eine Behinderung ihrer Einwurzelung in der neuen Heimat? Oder kann man sie gerade so zu dem Wünschenwertesten machen, zu echten Weltbürgern?“

In diesen Jahren des Endes des Weltkrieges wird alles Mögliche diskutiert, Erika Mitterer thematisiert wichtige Gedanken zur Emigration.

Und immer wieder wird auch an die Kunst gedacht, die die reale Welt etwas emporhebt. So findet sich im Brief vom 12. 8. 1945 von Bernt von Heiseler folgender Satz: „Ich habe ein Gefühl, dass vielleicht neue Verse bei Ihnen entstehen. Das ist doch, was uns gegeben ist, um das Übermaß der Dinge zu ertragen.“

Diese Briefesammlung ist beklemmend, oft zu Herzen gehend zu lesen und gewährt Einblicke, wie es um die Bevölkerung damals, als der Krieg zu Ende ging, stand, was die Menschen fühlten, wie sie das grausame Geschehen bewältigt haben.

Eine weitere Verdichtung stellt der Brief Erika Mitterers an Gottfried Benn dar, der die Problematik der Mittäterschaft an den Gräueln der Nationalsozialisten thematisiert.

Es ist eine Bereicherung für jeden, dieses Buch zu lesen, es ist abwechslungsreich und fesselnd und ungemein engagiert gemacht. Die Aufbereitung durch Martin Petrowsky wurde nicht nur mit fühlbarer Hingabe, sondern auch mit kluger Kompetenz erstellt. Erklärungen werden dezent hinzugefügt, geschickt werden die Textstellen aus den Tagebüchern der Erika Mitterer platziert. Diese Sammlung von Briefen ist leserfreundlich, packend und würde viele Leser verdienen.

Martin Petrowsky (Herausgeber): „davongekommen…“ Briefe von und an Erika Mitterer aus den Jahren 1945/46, Ein Blick auf die Welt vor 75 Jahren, Verlag Edition Doppelpunkt, 199 Seiten

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Peter Bubenik

Dr. Peter Bubenik: Geboren 1940 in Wien. Nach der Matura 1959 am Stiftsgymnasium Seitenstetten Geschichtestudium an der Universität Wien, Abschluss mit dem Doktorat. Lehramtsstudium Deutsch und Geschichte, anschließend AHS-Lehrer am Stiftsgymnasium Seitenstetten und Leiter der Arbeitsgemeinschaft der Germanisten NÖ. Publikationen zur Didaktik des Deutschunterrichts.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Margit Jordan

    Margit Jordan
    Zur Besprechung von Peter Bubenik: Martin Petrowsky Hg. „davongekommen…“ Briefe von und an Erika Mitterer

    Die Dichterin Erika Mitterer habe ich am 26. März 1987 in der Buchhandlung Tyrolia in Innsbruck kennen gelernt, wo sie auf Einladung des Turmbundes aus ihren Werken las: Gedichte, Prosa und aus ihrer Korrespondenz mit Rainer Maria Rilke. Ich erinnere mich noch gerne an diese Lesung und das Gespräch mit der beeindruckenden Autorin. Es freut mich, dass an eine der großen österreichischen Schriftstellerinnen mit diesem Buch wieder erinnert wird.

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