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Norbert Hölzl
Hugo Portisch und Russland
Für viele eine schreckliche Lektüre
Essay

Hugo Portisch, 1927 – 2021, war der prominenteste Journalist Österreichs seit 1945. Er war Chefredakteur des Kurier und populärster Kommentator im ORF. Die Republik ehrte ihn 2019 mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen, eine Auszeichnung, die sonst nur Abgeordnete nach zehnjähriger Sitztätigkeit oder Beamte nach jahrzehntelanger Unauffälligkeit erhalten, aber doch nicht herausragende Journalisten. 1991 wünschten sich beide Großparteien Portisch als Bundespräsidenten. Portisch lehnte ab, er wolle nicht die Seiten wechseln und sich einengen.

Heute, in einer Zeit des Selenskyj-Hype wäre eine solche Kandidatur undenkbar. Sein letztes Buch von 2020 trägt den Titel Russland und wir. Eine Beziehung mit Geschichte und Zukunft. Es müsste wohl umgeschrieben werden in Russland ohne uns, eine Beziehung mit Geschichte ohne Zukunft.

Was ist von einem Autor zu halten, der schreibt: Eine ganz schlimme Taktik von Russland-skeptischen Medien und Politikern ist es, Leute, die sich um ein Verständnis mit Putin bemühen, sofort zu verdächtigen, westliche Ideen zu verraten, schon weil sie versuchen, Putin zu verstehen. Denn eines ist klar, ….eine Verständigung mit Putin wird man nur herbeiführen können, wenn man ihn zumindest versteht.

Portisch kritisiert den ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Gauck, der 2014 die Einladung Putins zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Sotschi…. zurückgewiesen hat. Hier trifft er sich mit der ehemaligen Moskau – Korrespondentin der ARD Krone-Schmalz, die zwar nicht Sotschi erwähnt, wohl aber, dass Gauck niemals Moskau besucht hat. Ein Mann, der so sehr persönliche Befindlichkeiten über das Amt stelle, habe in diesem Amt nichts verloren. Portisch schrieb: Herr Gauck hatte jedenfalls demonstriert, dass er es nicht für sinnvoll hielt, Putin zu verstehen.

Im gleichen Jahr wie Portisch schrieb der deutsche TV- Moderator Peter Hahn das Buch Seid ihr noch ganz bei Trost? und 2024 ebenso griffig Ist das euer Ernst?! Aufstand gegen Idiotie und Ideologie mit Sätzen wie: Wer für den Frieden ist, wird verteufelt und Wer sich für Diplomatie einsetzt, gilt als Verräter mit Seitenhieben auf die grüne Studienabbrecherin Baerbock. Hahn schreibt wie Portisch, nur der Ton ist ungleich rauer.

Die Zukunft sieht Portisch so: Für den Westen gibt es nur die Verständigung mit Russland….es ist der einzige Weg für beide Seiten. Als Kronzeugen zitiert er Horst Teltschik, einst engster Berater von Bundeskanzler Kohl. Teltschiks Buch Russisches Roulette, Vom Kalten Krieg zum Kalten Frieden war ein Jahr vor Portisch erschienen.

Portisch zählt die vielen Kriege gegen Russland auf zwischen Napoleon und Hitler: Keinen dieser Kriege aber hat Russland ausgelöst, alle hatte es zu ertragen und fast alle mit hohem Blutzoll zu bezahlen. Portisch bedauert, dass Russland im Westen immer noch als ein potenzieller Störenfried gilt. Er sieht in Russland einen Nachbarn, der daran interessiert sein wird, Europas Westen nicht der amerikanischen Willkür auszuliefern. (SIC)

Portisch fordert die Einsicht, dass Europa dank Russland nicht am Ural endet, sondern bis zur chinesischen Grenze reicht. Europa endet bei Wladiwostok an den Gestaden des Pazifischen Ozeans. Auch daran wird man sich gewöhnen müssen.

Schriebe das heute jemand, 4 Jahre später, es würde einen Aufschrei geben. 2021 rühmte der ORF Portisch als den besten Vermittler von internationalen und historischen Zusammenhängen. Ist er wirklich besser und wusste er wirklich mehr als die heutigen Mainstream-Schreiber und Politiker?

1950 lernte Portisch in den USA, u.a. bei New York Times und Washington Post. Ab 1964 bereiste er nicht nur das europäische Russland, sondern auch Sibirien: So sah ich die Sowjetunion, So sah ich Sibirien und So sah ich China wurden zwischen 1964 und 1967 zu Bestsellern.

Portisch unterscheidet sich von heutigen Politikern dadurch, dass er 56 Jahre lang an allen Brennpunkten des Weltgeschehens war und in seinen Berichten stets die Geschichte mit einbezog.

Portisch geht nicht so weit zurück wie ich in meinem Buch Warum wir die Russen nicht verstehen, s. Auszug im schoepfblog. Ich beginne mit dem ersten Vertrag eines deutschen Kaisers mit dem Zaren. Dieses Bündnis gegen Polen führte zur Gründung der Donaumonarchie vor fünfhundert Jahren, ein Ereignis, das kein Schulbuch erwähnt. Ich zeige wie sehr sich Aktionen und Emotionen der Zaren mit jenen von Putin decken. Portisch zitiert dafür Herder, 1744 – 1803, der auf die Frage, ob Russland ein europäischer oder ein asiatischer Staat sei, antwortete: Dem größten Erdstrich nach zwar zu Asien, aber sein Herz liegt in Europa. Unsere Politiker scheinen weder diese Einsicht zu teilen noch dürften sie wissen, dass Herder zum klassischen Weimar gehörte so wie Goethe und Schiller, dessen Text zur Europahymne wir heute singen.

Am Beginn seines Buches verweist Portisch auf den weltberühmten norwegischen Polarforscher, Diplomaten und Friedensnobelpreisträger Fridtjof Nansen, 1861-1930. Nach dem Besuch des Grenzflusses Amur an der viertausend km langen Grenze zwischen Russland und China sagte er: Wenn China einmal erwacht, wird Russland Europa zu Hilfe rufen müssen. Wenn man heute nach Brüssel blickt und die ukrainischen Orden sieht, möchte man meinen, dass Brüssel China noch im Tiefschlaf wähnt.

2001 hat Putin in deutscher Sprache im Deutschen Bundestag möglicherweise indirekt um Hilfe gerufen, jedenfalls hat er die Hand mehrfach zur Zusammenarbeit ausgestreckt. Es gab für Putin in Berlin Standing Ovations, aber dann keine freundlich helfende Hand. Putin fasste es heuer in dem Satz zusammen: Die USA haben ihr Ziel erreicht, sie haben einen Keil zwischen Russland und die EU getrieben. So fährt Putin heute nicht nach Berlin oder Brüssel, sondern nach China und Nordvietnam. Portisch hat Schlimmes befürchtet, das aber sicher nicht.

Dafür sprach heuer im Deutschen Bundestag nicht Putin mit seinen Angeboten, sondern der allgegenwärtige Ukrainer im dunklen Hemd. Zwei Fraktionen verließen den Bundestag und wurden kritisiert, man habe zumindest aus Höflichkeit zuzuhören. Warum sollten sie zuhören?

Es wurden wieder einmal gebetsmühlenartig milliardenschwere Waffen gefordert, aber möglichst schnell, und die Aufnahme in die EU, die gefälligst im Sinne gemeinsamer Werte den Wiederaufbau zu finanzieren habe. Und niemand stand auf und sagte, selbstverständlich müssen wir viele Milliarden in die Hand nehmen, um Europas Wirtschaft konkurrenzfähig zu machen gegenüber China und den USA und unsere Umwelt vor dem Kollabieren zu schützen.

Alle roten Linien hatte Portisch im Fall der Ukraine aufgezeigt, alle wurden überschritten. Portisch wurde nicht gelesen so wie der Papst nicht gehört wurde. Als Franziskus von den milliardenschweren Rüstungsausgaben des Westens erfuhr, sprach er von Irrsinn. Er habe sich geschämt. Im Petersdom rief er zur Reue auf, nicht aus der Geschichte gelernt zu haben. Krieg sei immer eine Niederlage für die Menschheit: Im Krieg gibt es keinen Sieg!

Die internationale Rüstungsindustrie sieht das genauso wie im Ersten Weltkrieg ganz ganz anders.

Dazu:
Norbert Hölzl: Warum wir die Russen nicht verstehen, Edition Tirol 2022,
ISBN 13978-3-85361-251-4

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Norbert Hölzl

Norbert Hölzl, Prof. Dr., ehemaliger Referatsleiter im ORF, Radio- und TV-Autor, TV-Regisseur und Buchautor.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Reinhard Kocznar

    Wer Nachbarstaaten mit Krieg überzieht, ist leicht zu verstehen. Allerdings machten das die Russen unter den Zaren schon so, siehe Polen, unter Stalin mit Finnland und den baltischen Staaten. Die haben möglicherweise die roten Linien von Portisch nicht gekannt, die Ungnade der zu frühen Geburt.
    …selbstverständlich müssen wir viele Milliarden in die Hand nehmen, um Europas Wirtschaft konkurrenzfähig… Die Wirtschaft soll Milliarden abwerfen, nicht kosten. Da reicht eine Kettensäge aus dem Baumarkt für einige hundert Euro, um den Regulierungsdschungel flachzulegen.
    Europa verkommt auf der Planetin zu einer Nullnummer.

  2. Hubert Held

    Hallo Alois,
    was Norbert Hölzl heute sagt, ist für mich alles eher als eine „schreckliche Lektüre“. Er ist vielmehr einer der Wenigen mit Mut, die gegen das Meinungsdiktat aus Washington und Brüssel anschreiben. Zu den Wenigen zähle ich auch die deutsche Journalistin Gabriel Krone-Schmalz, den deutschen Ex Nato General Helmut Kunjat und den Philosophen D. Precht. In Österreich fehlen leider solche Beiträge, sieht man einmal von Norbert Hölzl ab. Sind wir intellektuell weniger mobil und kommen aus unserer geistigen Alpenfestung nicht heraus?
    Da kommt einer aus Ungarn, der sich von den aufgezwungenen Denkschemata löst und die verhärteten politischen Fronten und die militärisch festgefahrene Front aufweichen will, und schon ergießt sich über ihn die Suada der westlichen Kriegsfreunde und Putin-Nicht-Verstehen-Wollenden. Allen voran die sich wütend gebende Van der Leyen, die sich als vielfache Mutter gern vor laufender Kamera vom Ukrainischen Varieté-Künstler Selensky abtatscheln lässt. Für mich eines der grausigsten Bilder der letzten Monate.
    Unsere österreichische Außenpolitik unter der Leitung von Schallenberg ist praktisch inexistent. Dieser macht mit seiner servilen Körpersprache und seinem Dackel-Blick den Eindruck, als würde er jeden Morgen abwechselnd im Pentagon, im Weißen Haus, bei der Londoner Börse, in Brüssel bei EU und NATO und dann noch (am überflüssigsten!) im Deutschen Auswärtigen Amt in Berlin frei nach Haus Moser anfragen: „Wie hättet es Ihr den gerne?“
    Ich frage mich schon lange, warum ihn Nehammer in dieser Weise gewähren lässt, war er selbst doch einer der ersten westlichen Führer, die unmittelbar nach Kriegsausbruch mit Putin gesprochen hat.
    Dass die letzte Friedenkonferenz in der Schweiz stattfand und nicht in Österreich, zeigt die schläfrige Politik Schallenbergs. Dabei hätten wir mit dem Staatsvertrag, unserem aufrechten Verhältnis zu Russland und (auf die Gefahr hin, falsch interpretiert zu werden) den Vorarbeiten der Ministerin Kneissl viele Trümpfe in der Hand. Wir hätten die besseren Karten als Orban, der von sich behauptet, mit allen reden zu können.
    Würden Figl oder Kreisky dem Schallenberg zuschauen, sie würden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Kürzlich hat auch Christopher Clark besorgt darauf verwiesen, dass – ähnlich zu 1914 – auch jetzt wieder „Schlafwandler“ versäumen könnten, die Stop-Taste zu drücken. Ob das so gerne hinter „Werten“ Deckung suchende Europa noch vor dem Eintreffen schlitzäugiger Waffenhelfer in der Ukraine sich vom US Dogma „We are the greatest!“ löst, kann zur Existenzfrage werden.
    Darum muss man sich wünschen, dass viele Norbert Hölzl lesen und — gestützt auf seine zwingenden Argumente und sich – freidenkend – von der NATO-Propagandawalze lösen.
    Es grüßt Dich Dein besorgter Nachbar

  3. Elias Schneitter

    Lieber Norbert Hölzl,
    Sehr geehrter Herr Hölzl, pardon, aber mit Ihren Ausführungen über Putin, da kann man vielleicht Frau Wagenknecht eine Freude machen, aber für mich liegen sie völlig daneben.
    Ein Mann, der sich an nichts hält, kein Abkommen (Völkerrecht, etc), der andauernd mit der Atombombe droht, der mit Absicht Zivilisten ermorden lässt, mit Absicht Kinderkrankenhäuser bombardiert, der nichts weiter als ein blutrünstiger Mörder ist, den verstehe ich sehr genau. Nur nicht in der „süßen“ Art und Weise wie Sie. Sorry, mit Putin und seinen „Anti-Nazi“-Kämpfern liegen sie komplett daneben.

    1. Norbert Hölzl

      Warum greifen Sie mich an? Ich wollte anregen darüber nachzudenken, was Hugo Portisch vor langer Zeit, nämlich vor vier Jahren geschrieben hat. Natürlich weiß ich, dass Putin ein Scheusal ist. Der lässt krebskranke Kinder bombardieren, vermutlich Nachfolger jenes deutschen Kaisers im 1. Weltkrieg, dessen Soldaten den Babys in Belgien angeblich die Arme abgehackt haben. Ein Kaiser, dessen Flotte kommen würde, Amerikas Freiheit zu rauben. Die 32 km bis England hätte die Flotte nie geschafft, wohl aber Amerika. Propaganda kann nie blöd genug sein, um Kriegsbegeisterung und Milliarden für die Rüstung auszulösen. „Die Schlafwandler“ sieht Christopher Clark heute wieder unterwegs wie 1914.

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