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Norbert Hölzl
Das Heilige Land Tirol war einst das unheiligste der Christenheit.
2. Teil:
Der gescheiterte Versuch, zwischen den Religionen Frieden zu stiften.

Ich kenne kein Land auf der Welt, das eine so eindrucksvolle Reihe von Herrschern besitzt, die für die Hölle bestimmt waren, wie Tirol. Sollte ich mich irren, lasse ich mich gern korrigieren. Meinhard II., der erste Tiroler Regent, hatte gewissermaßen ein Abonnement auf den Kirchenbann. Davon blieb nur sein Sohn verschont. Der bedeutungslose Heinrich spielte auf der Zeno-Burg in Meran den König, da er eine Schwester des Königs von Böhmen geheiratet hatte. Seiner zwölfjährigen Tochter Margarete, die man später irrtümlich „die Maultasch“ nannte, drehte er den sechsjährigen Sohn Wenzels an, weil auch noch etwas Königliches nach Tirol kommen sollte. Als sich Margarete mit einem passenderen Prinzen aus Bayern verheiratete und Klein-Johann nach Prag zurück schickte, übersandte auch ihr der Papst den Kirchenbann und zusätzlich ein Interdikt für ganz Tirol.

Unvorstellbare siebzehn Jahre waren alle Sakramente und kirchlichen Handlungen verboten. Die Päpste – die damals nicht in Rom, sondern wie Gott in Frankreich in Avignon lebten – und ihre Verbündeten, vor allem der Kaiser, erwarteten eine Rebellion der Tiroler gegen das Fürstenpaar. Selbiges war aber klug genug. Es gewann die Sympathie der Tiroler Landstände durch den großen Tiroler Freiheitsbrief von 1342. Der Sonderweg des Landes in der Geschichte zeichnet sich hier bereits ab.

Auch der nächste populäre Landesfürst landete im Kirchenbann und in der Reichsacht. Herzog Friedl mit der leeren Tasche hätte jeder gute Christ guten Gewissens erschlagen dürfen, ohne bestraft zu werden. Er hatte beim Konstanzer Konzil auf den falschen Papst gesetzt! Als Flüchtling war er unerkannt nach Tirol zurück gekehrt und suchte Zuflucht bei seinen Bürgern und Bauern, indem er auf die Macht der Zukunft und des Geldes setzte. So verwöhnte er seine Untertanen mit weiteren Freiheiten. Das kostete nicht viel. Man könnte Friedl aber auch als Ruinenbaumeister titulieren. Er eroberte die Burgen seiner adeligen Gegner. Dem verzweifelten Oswald von Wolkenstein blieb nur noch übrig, ein grimmiges Kriegslied zu dichten: „Nu Huss“

Auch Friedls Sohn Siegmund, mit dem wohlklingenden Beinamen „der Münzreiche“, entkam dem Kirchenbann nicht. Er zerkrachte sich mit dem Bischof von Brixen, Nikolaus von Cusanus: der machtbesessene Kardinal wollte – wie seine Vorgänger vor zweihundert Jahren –auch auf dem weltlichen Thron Platz nehmen und verschanzte sich auf dem 1740 Meter hoch gelegenen Felsennest in Buchenstein. Als es dort zu ungemütlich wurde, floh er zu seinem Freund Papst Pius II nach Rom, wo er sich über Herzog Siegmund von Tirol wirksam beschwerte. Zur Strafe folgte, erraten: ein Kirchenbann! Als im Jahre 1464 Papst und Kardinal jedoch am 14. und 15. August fast gleichzeitig starben, war auch diese Sache erledigt.

Siegmunds Nachfolger in Tirol, der spätere Kaiser Maximilian I., hatte ebenfalls ziemlich rasch Ärger mit dem Papst, wünschte er sich doch eine Kaiserkrönung in Rom. Der kriegerische Julius II. hat jedoch nicht die Absicht einen Maximilian in Rom zu empfangen. Da dies auch die Mächtigen in Florenz und Venedig nicht wollten, kam Maximilian nur bis Trient und inszenierte dort 1508 die einzige Kaiserkrönung in der Geschichte Tirols. Gekrönt hat ihn übrigens sein Bischof Matthäus Lang. Kardinal war leider keiner verfügbar, denn das ganze große Heilige Römische Reich Deutscher Nation besaß damals noch keinen. Die Kardinalshüte und die damit verbundenen Einnahmen wurden an die teilweise noch nicht einmal volljährigen Neffen der Päpste verteilt, an Italiener und Spanier. Erst nach hartnäckigem Betteln und Bitten gab der Papst seinen Segen zur Krönung. Maximilian wiederum schuf für seine Nachkommen ein Weltreich. Und sein Nachfolger, Karl V., schuf eine Weltmacht.

Maximilian, selbst ein großartiger Propagandist, musste sich übrigens im Jahre 1515 vom Mediceer-Papst noch fürchterlich ärgern lassen. In seinen Privatgemächern, den Stanzen des Raffael, ließ Leo X. nämlich, fast lebensgroß, die Kaiserkrönung von Maximilians Todfeind in einem großen Gemälde verewigen: von Franz I. von Frankreich. Doch Karl V., der Weltreichskaiser, leistete für diese Beleidigung eindrücklich Revanche. Er schlug dem nächsten frankreichfreundlichen Mediceer-Papst, Clemens VIII., in Rom neun Monate lang alles zusammen, bis das Zentrum der Christenheit ähnlich aussah wie Berlin 1945. Man nannte es „Sacco di Roma“ und sprach vom „teutonischen Furor“, obwohl die meisten der Landsknechte Italiener und Spanier waren. Natürlich waren aber auch einfrig ein paar Deutsche beim Zerstören und Plündern dabei.

Trotz all diese Unfreundlichkeiten wollte auch König Karl zum Kaiser gekrönt werden. Seine römischen Verwüstungen wollte er allerdings mitnichten besichtigen. Er bestellte daher am 24. Februar 1530 den Papst nebst Salböl zur Kaiserkrönung ins unversehrte Bologna. Dies war übrigens die letzte Kaiserkrönung durch einen Papst. Als nach der Abdankung Karls V. im Jahre 1556 dessen Bruder, König Ferdinand I., ebenfalls Kaiser werden wollte, verweigerte ihm Paul IV. die Krönung mit der Begründung, Ferdinand sei auch mit den Stimmen der drei protestantischen Kurfürsten zum deutschen König gewählt worden. Der etwas realitätsfremde Papst hatte noch nicht realisiert, dass seine Mitwirkung ohnehin unerwünscht war. Eine Krönung in Rom hätte nur Ärger mit den protestantischen Fürsten eingebracht. Die protestantischen Stimmen waren für den Kaiser wesentlich wichtiger als eine hübsche Zeremonie in Rom. Seit damals wurde nach seiner Wahl zum Herrscher über das Heilige Römische Reich dem deutschen König jedenfalls gleich die Kaiserkrone ohne den vorher üblichen Ausflug nach Rom aufs Haupt gedrückt. Der nächste Mediceer-Papst beeilte sich übrigens, den energischen Ferdinand als Kaiser anzuerkennen. Das war, sagen wir, nur noch ein Freundschaftsdienst, politisch mittlerweile völlig überflüssig.

Unglaubliche 18 Jahre lang dauerte dann das Konzil von Trient: von 1545 bis 1563. „Da sieht man, wie sehr sich die Kirche um ihre Erneuerung bemühte“, erklärte uns der Religionslehrer dereinst im Gymnasium. Kein Wort davon ist wahr. Zwei Päpste waren überhaupt gegen das Konzil eingestellt. Und alle Päpste zusammen waren gegen Trient. Denn Trient lag ja in Tirol und damit im Deutschen Reich und nicht im Kirchenstaat. Erzwungen wurden das Konzil und der Tagungsort Trient von den Kaisern Karl V. und Ferdinand I. Im Jahre 1547 versuchte daher Papst Paul III. das Konzil ins päpstliche Bologna zu verlegen. Der Papstsohn Pier Luigi, ein gewalttätiger Typ vom Schlag eines Cesare Borgia, wurde daraufhin mit dem Einverständnis des Kaisers ermordet und eine Weiterführung in Trient erzwungen. Wirklich interessiert an einem Reformkonzil und am Tagungsort Trient war eigentlich nur der Kaiser.

Er hatte nämlich mit den allzu selbstständigen deutschen Fürsten schon genug Scherereien. Da benötigte er nicht auch noch eine Teilung des Reiches in zwei verfeindete Religionen. Der Kaiser hoffte auf Versöhnung. Nach Trient, also auf deutschen Boden, würden die Protestanten vielleicht angereist kommen, niemals jedoch nach Bologna. Ja, die Protestanten kamen sogar. Doch die Begegnung war ebenso kurz wie unversöhnlich. Die dogmatischen Sturschädel aus Rom waren wütend über die Ketzer und ihren Machtverlust im Norden Europas. Die protestantischen Fürsten wiederum, die sich am katholischen Klosterbesitz bereichert hatten, verspürten nicht die geringste Lust, ihre Beute wieder herauszurücken. Auch bei der Frage des Zölibats waren die Gegensätze unüberwindlich. Der Kaiser und die Mehrheit der Konzilsteilnehmer waren für die Abschaffung der Ehelosigkeit der katholischen Priester. Aber ausgerechnet der Urenkel des Macht- und Frauenliebhabers Alexander VI., des Borgia-Papstes, erwies sich als fanatischer Eiferer gegen die Priesterehe. Und er setzte sich durch. Dieser Borgia namens „Francisco“ wurde sogar heiliggesprochen, was seinem päpstlichen Urgroßvater garantiert nicht passiert wäre. Auf Kirchenfassaden in Spanien und Südamerika ist dieser gar seltsame Heilige übrigens noch immer zu sehen.

Vom Konzil in Trient stammt unser heutiges Glaubensbekenntnis, in das sogar Pontius Pilatus Eingang fand. Nach dem Konzil hieß es auch in Tirol für die katholische Seite die Ärmel hochzukrempeln und alle wieder katholisch zu machen. Die neuen Ideen Luthers hatten sich rasch im Transit- und Bergwerksland verbreitet. Schon seit 1520 zogen sogenannte evangelische Prädikanten durchs Tirol. Was Mussolini in Südtirol nicht glückte, was Franco in Katalonien nicht glückte, gelang der Kirche im Vinschgau. Die rätoromanische Sprache wurde ausgemerzt. Alle hatten Deutsch zu sprechen, damit sie die reformatorischen Schriften aus der rätoromanischen Schweiz nicht verstanden. Es gab damals sprachlich eine rätoromanische Brücke von der Schweiz über den Vinschgau und die Dolomitenladiner bis hinunter nach Friaul. Die Kirche hatte das perfektere Druckmittel als die Diktatoren des 20. Jahrhunderts: Die Beichte! Und damit die Befreiung von den Sünden. Und die gab es nur auf Deutsch. Vor die Wahl gestellt, in der Hölle zu schmoren oder Deutsch zu lernen, erschien den meisten das Erlernen der deutschen Sprache als das kleinere Übel.

Und noch etwas kam der Kirche in Tirol entgegen. Es war die große Lust der  Tiroler Bevölkerung am Theaterspiel. Schon in der Zeit Maximilians leistete sich die reiche Handelsstadt Bozen das größte Schauspiel des deutschen Mittelalters. Die „Tiroler Passion“ in der Stadtpfarrkirche dauerte sieben Tage. Tirol war damals auch hochmodern. Die Frauenrollen spielten Frauen. 100 Jahre später durften in England nur Männer auf die Bühne. Shakespeares Julia oder seine schöne Miranda waren Jünglinge. Hundert Jahre zuvor wurde die Jungfrau Maria in Bozen von einem Mädchen dargestellt und nicht von einem Knaben. Diese Fortschrittlichkeit vor 500 Jahren ist erstaunlich. Zweihundert Jahre lang verbreiteten die Jesuiten und Dominikaner ihre Propagandastücke. Stets wurde das Trennende betont: Christus stand im Zentrum des protestantischen Raums, Maria im Zentrum des katholischen. Gespielt wurde in den Städten ebenso wie in den kleinsten Dörfern.

Die eifrigsten Veranstalter waren dabei die hochlöblichen Erzbruderschaften des heiligen Rosenkranzes. Allein in den Aufzeichnungen der Rosenkranzbruderschaft in Kitzbühel fanden sich über 150 namentlich genannte Christusdarsteller. Schon fast auf jedes zweite Haus kam da ein Christus. Mehr Christusse jedenfalls als heute Schirennläufer. Nachzulesen ist das in einem Beitrag im Stadtbuch Kitzbühel, den ich verfassen durfte. Im Jahre gab ich zudem im Verlag Böhlau unter dem Titel „Alpenländische Barockdramen“ Kampf- und Tendenzstücke jener Zeit heraus. In all diesen Stücken rettet die Fürsprache Mariens vor den Höllenqualen, nicht Christus. Da die protestantischen Ketzer Christus in den Mittelpunkt stellten, erhielt in Tirol die Gottesmutter die zentrale Erlöserrolle. Die Titel der Stücke sprechen für sich: „Die durch den heiligen Rosenkranz wiederbekehrte Welt“ oder „Durch den heiligen Rosenkranz der Höll‘ entrissene“ oder „Die durch die Crafft des hochheiligen Rosenkranzes untertruckhte Ketzerei“ und so weiter und so fort – immer alles gegen die Ketzer!

Theater war damals das Massenmedium schlechthin. Und auch das einzige Massenmedium. Daher sein übergroßer Erolg!. Es gibt keine wirkungsvollere Propaganda als jene, die die gesamte Bevölkerung mit einbezieht. Man probte wochenlang als verschworene Gemeinschaft die Bühnenauftritte und man hörte nicht nur die Texte, sondern lernte sie auswendig. Und was man sich selber ständig vorsprechen und den anderen möglichst überzeugend vortragen musste, an das glaubte man zwangsläufig mit der Zeit selbst, und wäre es auch der übelste Unsinn gewesen.

Da sich in Tirol der Kampf gegen die Ketzerei so hervorragend bewährt hatte, griff man die nächsten Außenseiter an, die so gar nicht in ein heiliges Land passen wollten: Die Juden und ihr Geld waren das verlockendste Opfer. Denn musste man die Juden nicht noch mehr hassen als die Ketzer? Sie sprachen nicht tirolerisch. Und noch viel schlimmer: Sie schlachteten kleine Christenkinder.

Das schlimmste Beispiel dieser verbrecherischen Propaganda war das sogenannte „offentliche Schauspiel, vorgestellet“ von einer ehrsamen Gemeinde in Rinn im Jahre 1766. Da wird der kleine Andreas von Rinn jüdischen Händlern verkauft und von selbigen – den Juden – wegen Christo grausam ermordet. Dazwischen fügte man Szenen mit Herodes ein, der laut Bibel gegen unschuldige Kinder gewütet hatte. Die Handlung: Die Juden besitzen genügend Geld, um sich ein Christenkind als Opfer zu leisten. Sie kommen gerade vom Markt der reichen Handelsstadt Bozen. Sie suchen sich einen Marterstein aus und bringen dort unter Zitat „lästerlichen Beschimpfungen den kleinen Knaben um“. Ganz im Stile ihres Vorbilds, des Königs Herodes. Und dann hängen sie das tote Kindlein in einen Baum. Das alles macht angeblich „die jüdische Synagog‘, um ihren Hass wider Christum in etwas zu erkühlen“.

Und das Heilige Land Tirol? Es baut über dem Marterstein eine Kirche mit Darstellungen unglaublicher Blutrünstigkeit, in der hehren Absicht, dass, wörtlich, „dieser heilige Blutzeug dem ganzen Vaterland als ein Schutzherr vorgestellet wird“. Das Zitat ist schrecklich genug, aber noch schrecklicher ist: Das alles geschieht nur 15 Jahre, bevor Kaiser Joseph II. sein Gesetz über die Toleranz gegenüber anderen Religionen erlässt. Mozart komponiert bereits an seinen der Aufklärung verpflichteten, sinnenfreudigen Opern.

Fortsetzung am 18. 2. 2021

 

Norbert Hölzl

Norbert Hölzl, Prof. Dr., ehemaliger Referatsleiter im ORF, Radio- und TV-Autor, TV-Regisseur und Buchautor.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Ja, so war´s und so ist es. … Das Verbot der Volksschauspiele, ein besonders spannendes Kapitel zum Weiterdenken über die Dialektik der Aufklärung!

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