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Nicole Staudenherz
Highway zur Hölle
Wie Österreich überzählige Mutterkühe
in die Wüste schickt.
Bericht

Die Alpenrepublik sonnt sich nur allzu gerne in ihrem Image als zivilisiertes Bilderbuchland, in dem die Westen weiß sind, die Wiesen grün und die Kühe glücklich. Zum wiederholten Mal bekommt dieses Hochglanz-Selbstbild tiefe, blutrote Kratzspuren. Gut so! Denn nur, wer ehrlich in den Spiegel schaut, kann sich verbessern.

Blutlachen bedecken den einst weißen Fliesenboden. Arbeiter in Gummistiefeln steigen über sterbende und tote Tiere hinweg, wuchten ein Rind zu Boden und schlitzen ihm den Hals auf. Ein anderes, bereits mit durchgeschnittener Kehle, versucht sich noch einmal aufzurichten. Im Hintergrund ist eine riesige trommelartige Vorrichtung zu erkennen, die dazu dient, Tiere für die betäubungslose Schlachtung zu fixieren. Willkommen auf einem der modernsten Schlachthöfe Algeriens.

Unterdessen irgendwo im Alpenraum. Die Zuschauertribüne der Versteigerungshalle ist gut gefüllt. Rinder werden in rascher Folge hereingetrieben. Wehrt sich das Tier, wird es mit Schlägen traktiert oder der Schwanz wird umgebogen. Im Sekundentakt sausen die Preise nach oben. Zwei Aufseher servieren den wichtigen Leuten in der ersten Reihe Kaffee, Cola und Jausensemmeln, wenn sie nicht gerade mit der Züchtigung der Tiere beschäftigt sind. Ein rustikales Ensemble.

Was haben diese beiden Schauplätze miteinander zu tun? Auf den ersten Blick wenig, bei genauerem Hinsehen jedoch sehr viel. Das neu gegründete Investigativ-Startup The Marker dokumentierte den Weg schwangerer Kalbinnen von Österreich nach Algerien, von der Versteigerungshalle bis an vergessene Orte mitten im nordafrikanischen Wüstenland.


Von der Alm in die Sahara

Besonders brisant: Seit Inkrafttreten des neuen österreichischen Tiertransportgesetzes im Jahr 2022 steht Algerien nicht mehr auf der Liste jener Drittstaaten, in die lebende Tiere aus Österreich exportiert werden dürfen. Dennoch gehen die Exporte laut The Marker weiter: Demnach wurden auch 2023 erneut Tausende Rinder nach Algerien verkauft.

Für 2022 liegen bereits offizielle Zahlen vor: 4.666 so genannte Zuchtrinder wurden laut TRACES-Bericht in jenem Jahr von Österreich nach Algerien exportiert. The Marker folgte dem 18-stündigen LKW-Transport zum Hafen in Südfrankreich und konnte die Verladung der Tiere in die berüchtigte ehemalige Autofähre Karim Allah filmen. Dort erwartet die Tiere alles andere als eine Mittelmeer-Kreuzfahrt.

Tiertransport-Experte Dr. Alexander Rabitsch kommentiert die Schiffstransporte wie folgt:

Ich sage mal, dass alle diese Transporte in Drittstaaten, die eine Schiffsfahrt am Mittelmeer inkludieren, völlig illegal sind, völlig widerrechtlich bewilligt worden sind. […] Es gibt ja doch einige Tierärzte, mit denen man sprechen kann, die das mal begleitet haben. Die Zahl der Tiere, die erkranken oder sterben oder getötet werden und dann im Mittelmeer versenkt werden, entgegen jeder Mittelmeer-Konvention […], die Zahl dieser Tiere ist hoch.

Als wäre der leidvolle Transport auf LKWs und maroden Schiffen nicht schon schlimm genug: Algerien gilt als Hochrisikoland in Sachen Tierschutz. Im internationalen Ranking der Tierschutzorganisation World Animal Protection (WAP), dem Animal Protection Index, erhält das Land die Bewertung „F“, das ist der zweitschlechteste Rang. WAP fasst die Situation wie folgt zusammen:

Algerien könnte in vielerlei Hinsicht Verbesserungen für Tiere erreichen. In Algerien gibt es keine umfassende Tierschutzgesetzgebung, was Fortschritte in zahlreichen Bereichen des Tierschutzes behindert. Die Gesetzgebung des Landes erkennt die Empfindungsfähigkeit von Tieren nicht an und bietet mit dem Gesetz 88-08 nur einen grundlegenden Schutz für Tiere, da der Schwerpunkt dieser Gesetzgebung auf der Tiergesundheit und nicht auf dem Tierschutz liegt. Darüber hinaus gibt es keine Rechtsvorschriften für die Aufzucht, den Transport und die Schlachtung von Nutztieren.

Die Vor-Ort-Recherche von The Marker zeigt auf, dass die schlechten Noten nicht ohne Grund vergeben wurden. Denn auch das Los der Importkühe ist von Ungewissheit und Willkür geprägt. Nach einem anfänglichen Aufenthalt im Quarantänestall wird es chaotisch. Es beginnt damit, dass die Rinder auf Transportfahrzeuge verladen werden, die nicht den EU-Standards entsprechen. Eine zentrale Datenbank zur Erfassung der Tiere existiert nicht. Über Zwischenhändler geht es weiter ins Land hinein. Somit verliert sich die Spur der österreichischen Rinder auf Viehmärkten und in den Lücken der staatlichen Statistiken.

Die Aufnahmen des Investigativteams zeigen jedenfalls abgemagerte Rinder, die karge, von Plastikmüll durchsetzte Grasflecken abweiden. Sie zeigen Tiere, die in kotbedeckten Stallungen auf harten Böden ihr Dasein fristen. Und sie zeigen Schlachtvorgänge, die an Brutalität kaum zu überbieten sind.

Tierarzt Dr. Erik Schmid meint in einem Interview zu den dokumentierten Schlachtungen:

Langanhaltende, schwere Schmerzen und Leiden, also indiskutabel. Die Durchführung ist eine ausgemachte Katastrophe. Da wird einem wirklich schlecht, wenn man das sieht. Rohe Gewalt. Unglaublich, die Tiere versuchen aufzustehen, haben die Gurgel durchgeschnitten. Das ist wirklich ein Gemetzel, ein Blutbad. […] Und jeder, der sich das auch nur in Ansätzen vorstellen kann, der macht sich mitschuldig, wenn er Tiere dort hinschickt. Vielleicht sollte man das dem Minister zeigen, weil das könnte man beenden, mit einem Federstrich.


Werbung und Wirklichkeit

Wie passt all das zu dem rosigen Bild, das Österreichs Standesvertretungen zeichnen? Laut Eigenwerbung interessierter Kreise seien die Kühe der Alpenrepublik bestens dafür geeignet, die Milcherzeugung in einem Wüstenland anzukurbeln. Eine ganze Branche stilisiert sich zur Entwicklungshelferin hoch. Hitze, Trockenheit, Futtermangel? Wird alles weggezwinkert mit Verweis auf Funktionärsbesuche bei handverlesenen algerischen Milchfarmen. Kann es sein, dass da jemand auf die eigene Propaganda (oder die algerische) hereingefallen ist?

Fakt ist, dass Algerien zu 85% von Wüste bedeckt ist. Wie soll in einem solchen Klima ein Herdenaufbau funktionieren, zumal die für Milcherzeugung typischen Hochleistungskühe auf eine gleichbleibend hohe Futterqualität angewiesen sind? Insofern scheint es sich bei den Visionen für eine blühende algerische Milchwirtschaft weitgehend um Luftschlösser zu handeln. Leidtragende sind zuallererst die Tiere, aber auch die algerischen Bauern, die nach dem Kauf einer teuren Importkuh sehr schnell in Existenznöte geraten können. Spätestens dann, wenn das Kraftfutter nicht mehr finanziert werden kann und der Milchfluss versiegt.

Ann-Kathrin Freude, Gründerin von The Marker, meint dazu:

Wir konnten bei unseren Recherchen weder eine gezielte Strategie erkennen, noch existieren Aufzeichnungen, wo die importierten Tiere hingebracht werden. Dies bestätigen auch die Gespräche mit Bauern und Händlern, die nichts von einem Herdenaufbauprogramm wussten. Wir gehen davon aus, dass nur noch ein Bruchteil der österreichischen Rinder und ihr Nachwuchs überhaupt am Leben sind.

Tierschutzbewegte Menschen können den Text schon mitsprechen, wenn die Agrarlobby nach dem neuesten Skandal zu ihren ewiggleichen Beschwichtigungen ansetzt: Bedauerliche Einzelfälle! Fake News! Unermüdliches Bemühen um mehr Tierwohl!

Und wie so oft liegt die Beweislast bei jenen, die das Unheil aufgedeckt haben. Doch auch beim Algerien-Fall konnte das Team von The Marker der Öffentlichkeit klare Belege liefern, dass es tatsächlich österreichische Rinder waren, die im Herbst 2023 nach Algerien verschickt wurden.


Kein Einzelfall: Viele Wege ins Verderben

Nein, Algerien ist kein Einzelfall. In der zwielichtigen Hall of Fame der gesetzlich zugelassenen Exportländer sind unter anderem auch Superstars wie Aserbaidschan und Usbekistan gelistet.

Beispiel Aserbaidschan: 1.022 so genannte Zuchtrinder aus Österreich landeten dort im Jahr 2022. Wegstrecke per LKW: über 3.500 Kilometer. Im WAP-Ranking erhält Aserbaidschan die Note „G“, das ist die schlechteste Bewertung. Die Gesamteinschätzung lautet wie folgt:

In Aserbaidschan fehlt es an einem übergreifenden Tierschutzgesetz. Die Gesetzgebung des Landes erkennt die Empfindungsfähigkeit von Tieren nicht an, und den Tieren fehlt ein grundlegender Schutz. Lediglich brutale Behandlungen, die zum Tod oder zu schweren Verletzungen von Tieren führen, sind im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten verboten. Es gibt keine Sorgfaltspflicht für Tierhalter. Die Aufzucht, der Transport und die Schlachtung von Nutztieren sowie die Verwendung von Tieren in der wissenschaftlichen Forschung sind nicht gesetzlich geregelt.

Bei einer derart dünnen Gesetzeslage ist fraglich, ob wirklich irgendjemand wegen der Schächtung einer Mutterkuh eine Verwaltungsstrafe erhält, zumal das Tier ja nicht einmal als empfindungsfähig gilt.

Und weiter geht die Reise nach Usbekistan: 1.012 als Zuchtrinder deklarierte Tiere wurden 2022 von Österreich in das über 5.000 km entfernte Land transportiert. Auch in diesem Fall stellt sich zunächst die heikle Frage, ob ein schwangeres Muttertier auf einem bis zu dreiwöchigen Straßentransport nach Zentralasien angemessen versorgt werden kann.

Zudem ist Usbekistan – gelinde gesagt – ein gefährlicher Ort für Tiere. Verstörende Berichte schildern Fälle von extremer Grausamkeit gegenüber Hunden und Katzen. Demnach werden Vierbeiner dort nicht nur ausgesetzt, geschlagen und gegessen, sondern auch gefoltert und lebendig verbrannt. Ob Kühe und Kälber in einer dermaßen verrohten Gesellschaft ein gutes Leben haben, darf intensiv bezweifelt werden.


Freunderlwirtschaft zulasten der Tiere?

Manche dieser traurigen Tatsachen treten nur durch mutigen Investigativ-Journalismus zutage. Andere Informationen sind einen Mausklick entfernt und somit auch weniger beherzten Personen in Ministerien, Kammern und Amtsstuben zugänglich.

Würden politische Entscheidungen in punkto Tierschutz auf Fakten statt auf Freunderlwirtschaft beruhen, dann wären Lebendtransporte in die nordafrikanischen und zentralasiatischen Tier-Höllen bestimmt schon längst Geschichte.

Fakt ist aber leider auch, dass bauchgefühlte Klientelpolitik im schönen Österreich eine liebgewonnene und sorgfältig gepflegte Tradition ist. Anders ist es nicht zu erklären, dass die hiesige Milchwirtschaft völlig am Eigenbedarf vorbeiproduziert (177 Prozent des Inlandskonsums!) und damit auch so viele überzählige Kühe hat, dass man sie in befreundeten Bananenrepubliken dumpen muss.

Kein Wunder, dass mittlerweile fünf Prozent der Bevölkerung Tierprodukte aus ihrer Ernährung verbannt haben – Tendenz steigend.

Die gute Nachricht: Niemand zwingt uns, so weiterzumachen. Österreich könnte ein Pionierland in pflanzenbasierter Landwirtschaft werden und hochwertiges Obst, Gemüse und Getreide exportieren. Auch proteinreiche Hülsenfrüchte gedeihen in vielen Regionen Österreichs ganz ausgezeichnet. Die Ausrede, dass hierzulande ausschließlich nur Milchviehhaltung möglich sei, hat sich abgenützt angesichts der Tatsache, dass mehr und mehr Landwirtschaftsbetriebe vorzeigen, wie es auch anders gehen kann.


Quellen:
„A data dump of suffering. The EU’s long-distance trade in farm animals exposed“, ciwf.org/media/7455941/a-data-dump-of-suffering-report.pdf
„Animal Protection Index, Algeria“, api.worldanimalprotection.org/sites/default/files/api_2020_-_algeria_0.pdf
„Animal Protection Index, Azerbaijan“, api.worldanimalprotection.org/sites/default/files/api_2020_-_azerbaijan_0.pdf
„Call for help: confronting surge of animal cruelty in Uzbekistan“, daryo.uz/en/2023/07/31/combating-animal-abuse-in-uzbekistan-need-for-stronger-laws-feature-draft
„Endstation Wüste: Das Geschäft mit den schwangeren Rindern“, ots.at/presseaussendung/OTS_20240110_OTS0006/endstation-wueste-das-geschaeft-mit-den-schwangeren-rindern
„Geheime Agenda – Tiertransporte nach Algerien“, pure leben Podcast Nr. 51, pure.podigee.io/51-new-episode
„Geheime Agenda Tiertransporte“, themarker.org
„Rinderexporte nach Algerien: The Marker reagiert auf haltlose Anschuldigungen der Rinderzucht Austria“, ots.at/presseaussendung/OTS_20240118_OTS0072/rinderexporte-nach-algerien-the-marker-reagiert-auf-haltlose-anschuldigungen-der-rinderzucht-austria-bild
„Selbstversorgungsgrad bei Lebensmitteln“, info.bml.gv.at/themen/lebensmittel/lebensmittel-in-oesterreich/selbstversorgungsgrad.html
„Tiertransportgesetz, Anlage 2“, ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20005398
„Tiertransportskandal: schwangere österreichische Rinder 4 Tage nach Algerien gekarrt“, vgt.at/presse/news/2024/news20240110mn.php
„Traces Österreich Bericht 2022“, verbrauchergesundheit.gv.at/Handel_Export/Traces/traces.html

Erwähnte Bildaufnahmen und Interviews:
instagram.com/themarker___
youtube.com/@TheMarker___/featured

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Nicole Staudenherz

Nicole Staudenherz, geb. 1976 in Innsbruck, verheiratet, Betreuerin autistischer Kinder, Pflegerin bei den Sozialen Diensten Innsbruck, Pflegehelferin bei Tirol Kliniken, Diplom. Gesundheits- und Krankenschwester Tirol Kliniken, LKH Natters und Hochzirl, inzwischen hauptberufliche Kampagnenleiterin des Vereins gegen Tierfabriken (VGT).

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