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Markus Fenner
MACH ES SELBST
Gedanken
zum selbstbestimmten Sterben

Im Jahre 2020 wurde nach Urteil des Deutschen Bundesverfassungsgerichts die Straffreiheit für den assistierten Freitod gesetzlich verankert. In den zwei Jahren seit diesem eigentlich epochalen Akt ist m. E. wenig mehr passiert, als dass in der öffentlichen Diskussion sich die einschlägigen Gruppierungen zur neuen Konstellation in Stellung brachten. Mit den gleichen Argumenten wie zuvor. Auf diese Auseinandersetzung selbst kann und will ich nicht eingehen.

Ich habe aber den Eindruck, dass die Steilvorlage des Gesetzgebers ins Leere zu gehen droht, nämlich in einem ergebnisfreien Diskurs versandet. Außerdem habe ich den Eindruck, dass mit den einschlägigen Gruppierungen sich von vornherein die falschen Leute dieser Frage bemächtigt haben. Ich möchte sie, zugegeben sehr summarisch, als die Priester und die Mediziner bezeichnen. Aus dieser Bemächtigung leiten diese zwei Gruppen einen Auftrag an sich ab, den zu erfüllen sie dann strikt ablehnen.

Freier Zugang zum Jenseits, ihre Hausdomäne! Bei den Priestern versteht sich die Ablehnung von selbst, sie ist aber sachlich ohnehin nicht relevant. Bei den Medizinern ist es schon schwieriger: sie haben sehr wohl das nötige Know How, sind aber wegen ihrer Berufs-Konditionierung auf das Heilen ungeeignet für diesen Auftrag – mit dem stereotypen Motto: Ich bin doch kein Henker!

Mein Vorschlag: von diesem großartigen Gesetz sollten sich zuerst einmal die Betroffenen angesprochen fühlen, nämlich die Sterbewilligen. Ich meine alte Menschen wie mich selbst, deren späte Jahre sich nicht an der Leidens-Linie einer letztlich tödlichen Krankheit entlangstrukturieren, die dann aber auch nicht in den segensreichen Hilfebereich der Palliativ-Medizin gelangen werden.

Relativ gesunde und fitte Alte also mit überschaubaren Wehwehchen, die noch gut einige Jahre vor sich haben, trotzdem aber auf jene Klimax zusteuern, wo es dann hopp oder top heisst: Jetzt wirklich in Schmerz, Panik und mit offenem Schließmuskel abkratzen? Oder nicht doch lieber noch einmal von der Schippe springen, Rettung rufen und ab ins technologische Wunderland der unbegrenzten Lebensverlängerung?

Für die Menschen, die bei solchen Aussichten den Drang nach stärkerer Eigengestaltung spüren, rege ich eine Individualisierung und Privatisierung der frisch errungenen Gesetzes-Freiheit an:

– Die Person, die sich den Tod wünscht, und die, die ihr diesen Tod ermöglicht, sollte dieselbe sein.
– Die Spezialisten werden ausgeschlossen. Das verhindert ihre Machtstellung ebenso wie Infantilität und Dienstboten-Denken beim Sterbewilligen (dafür hat man doch seine Leute!).
– Hat man nicht: selbst ist die Frau.

Die Selbstermächtigung des Sterbewilligen, der in sein Ende keine Unbeteiligten mehr hineinzieht, außer die Menschen, die das dezidiert wollen, eröffnet einen neuen Weg. Dieser umgeht im Ganzen auch den teils abstrusen Kontroll-Apparat, mit dem die bisherige Sterbehilfe wie etwa in der Schweiz möglichst erschwert wird.

Wer die Spezialisten rausschmeißen will, hat das Problem mit der Eigenkompetenz. Und die fehlt zunächst auf der ganzen Linie: … ich weiß nicht über tödliche Gifte Bescheid, kann gerade mal Natriumpentobarbital aussprechen, weiß nicht, wie es genau wirkt, geschweige denn, wie ich dran kommen könnte; ich kann keine Kanüle setzen, bin nicht einmal sicher, ob ich mich statt mit Chemie nicht doch lieber altmodisch physikalisch und bei vollem Bewusstsein töten möchte; Pulsadern öffnen ist mir zu viel Sauerei, aber ein Messer wär mir an sich nicht unsympathisch, doch bitte wie und wo; Springen oder Zug ist sowas von asozial, Erfrieren in den Bergen hätte vielleicht was, wogegen von Erhängen ja kaum mehr gesprochen wird… die Ahnungslosigkeit ist groß.

Unter die moderne Tabuisierung des Todes ist natürlich auch der Freitod gefallen, wobei das vor allem für unsere christlich geprägten Fortschritts-Gesellschaften gilt. In anderen Zeiten und Zivilisationen gab es sehr wohl differenzierte und anerkannte Selbstmordtraditionen.

In alten Hochkulturen gab es das vielbesungene Schwert, in das sich die antiken Helden stürzten, ganze Hofstaaten in Ägypten, die ihren Herrschern in den Tod folgten, Witwenverbrennungen in Indien und die seidenen Schnüre der Osmanen, die zur Selbstbedienung gereicht wurden. Auch in Europa wurde bis ins 20. Jahrhundert entehrten Offizieren die geladene Pistole diskret auf den Tisch gelegt, in Japan kommt es heute noch gelegentlich zum Seppuku. In Nomaden-Kulturen gab es die Letzten Iglus oder Tipis, in denen die Alten vom Stamm zurückgelassen wurden.

Der sicherste Schutz eines Tabus ist Unwissenheit. Unsere medizinische Laienbildung ist entsprechend einseitig. Ich weiß zwar Detailliertes über die Botenstoffe in meinen Hirn, aber wie ich mich auf anständige Weise um die Ecke bringen soll – Fehlanzeige.

Dagegen lässt sich aber etwas tun. Und dafür brauchen wir, die beschriebenen Interessierten, wieder die Hilfe der Spezialisten. Nicht als Entscheider und Vollstrecker (Halbgott und Henker), sondern als kongeniale und kooperative Berater, in Theorie und Praxis. Die Zeiten, in denen Letzte Hilfe-Kurse in der VHS angeboten werden wie Erste Hilfe-Kurse, sind fern, kommen vielleicht nie. Bis dahin müssen kundige Freunde dir zeigen, wie man eine Kanüle legt.

Sterben ist kein Spaß. Aber es muss auch nicht die Hölle sein, wie sie uns heute und wohl auch noch in den nächsten Jahren sehr wohl erwarten kann in unseren Kliniken, wo Patientenverfügungen persönlich durchgekämpft werden müssen, nicht selten erfolglos.

Richtig zu sterben kann ein Lebensziel sein, so wichtig wie eine schöne Hochzeit. Vielleicht noch um ein Gran wichtiger. Beim Heiraten sind Neuauflagen möglich, mein Tod ist einmalig. Und ich will dafür sorgen, dass er nicht qualvoll, nicht erbärmlich und würdelos, sondern auf eine Weise geschieht, die mir ähnlich sieht.

Ein positives Ziel, an sich erstrebenswert, was zunächst auch nicht durch Drohungen mit der Alternative verstärkt werden muss.

Diese Gedanken sind auch die meiner Frau. Sie haben sich über viele Jahre hindurch zwischen uns gebildet. Sie sind sehr privat, sie erfassen nur ein kleines Segment der Sterbe-Thematik und wir denken dabei zunächst nur an Menschen wie wir selbst, ähnliches Alter, verwandte Lebenshaltung. Menschen, die durchaus gerne leben, aber immer mit dem Noch im Hinterkopf, und die vorbereitet sein möchten, wenn es sich in ein Nicht mehr verwandelt.

Viel mehr wissen wir bisher noch nicht. Hoffentlich braucht Sterben lernen nicht so lange wie Leben lernen, sonst wird es knapp für uns. Das nächste, was wir zwei in dieser Frage tun werden: wir setzen uns mit ein paar Freunden zusammen, die von ihr ähnlich bewegt sind, und sprechen darüber, wie wir weiter verfahren.


Ach, dieses Sterben
Kann die ganze Freude aufs
Tot sein verderben!
O Moment, ganz aus
Seide! Zeit hält Atem an…
Ob so Sterben geht?

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Markus Fenner

Markus Fenner stammt aus München, begann als freier Schriftsteller, brach mit der Literatur, wurde TV-Redakteur, später Drehbuch-Autor, lebt heute als Dorfschriftsteller am bayerischen Alpenrand: Erzählungen, regionale Theaterstücke, stellenweise Lyrik. Weitere Informationen: http://www.markus-fenner.de/

Dieser Beitrag hat 13 Kommentare

  1. Wilhard von Wendorff

    Die entscheidende Frage ist die Bestimmung, ob ein freier Willen vorliegt. Gerade in Krisensituationen verengt sich die Sicht auf Handlungsoptionen. Und ohne eine freie Sicht auf die möglichen Optionen kann eine Entscheidung ab einer bestimmten Einschränkung nicht als frei und selbstbestimmt angesehen werden. Auf der anderen Seite kann durchaus gefragt werden, ob es überhaupt eine selbstbestimmte menschliche Entscheidung gibt, die nicht basiert auf einer eingeschränkten Sicht auf Optionen. Daher begrüße ich ein Verfahren (Beratungsgespräch) ähnlich der Schwangerschaftsabbruchberatung anstatt des unregulierten Freitods.

  2. Rainer Haselberger

    Ärzte und Priester haben das Problem, dass ihr Berufsethos auf die Bevormundung ihrer Mitmenschen ausgerichtet ist! Deshalb sollte das selbstbestimmte Lebensende ohne die Einmischung dieser beiden Gruppen stattfinden können: Ein Notar tut’s auch bei der Patientenverfügung, warum kann der nicht allein die Zurechnungsfähigkeit der oder des Sterbewilligen beurkunden und diesem den Zugang zu einem geeigneten Mittel (ich halte Pentobarbital-Natrium für ein durchaus geeignetes, aber nicht das Einzige) ermöglichen?

  3. Horst Volkhammer

    Ein herrliches Statement, ohne Henkermentalität in Erkenntnis der Sachlage.
    Schön für den Autor nicht unbedingt auf Öffentlichkeit im Forum setzen zu müssen, das kann manchen momentanen Frust abbauen.
    Wie aber könnte man diese Gedanken in angepasster Form dem eingeschüchterten, von falscher Pietät bestimmten Normalverbraucher nahe bringen, das Thema enttabuisieren, damit der Gesetzgeber Anlass findet die Abläufe um den Tod handhabbar zu machen, falsche Ratgeber wie Medizin, Klerus und Bestattungsindustrie auszuschließen?
    Jeder Gesprächsansatz, in welchem Kreise auch immer, wird immer in’s Oberflächliche geleitet oder abgewürgt, letztendlich muss man sich noch vor Übereifrigen schützen, denn die operieren mit dem Habitus der Medizin und der Unterhaltungsbranche.
    Bleibt im Fall der Fälle also wirklich nur die althergebrachte Methode; aber Küchenmesser und Hanfseile kann man doch auch kaufen.
    Hoffnung auf Änderung der Einstellung dieser vom Überleben getriebenen Masse erscheint hoffnungslos.

  4. Sybille Mende-Michel

    Danke, Markus Fenner, für diesen mutigen, aufrichtigen und wohl überlegten Beitrag, der mir aus der Seele spricht! Sie sind ein überzeugender Anwalt wirklicher und wünschenswerter Selbstbestimmung und persönlicher Würde, die bis zuletzt beachtet und bewahrt werden sollte. Besonders gefällt mir, dass Sie einfühlsam darauf achten, niemanden sonst mit dem Entschluss und der Durchführung des selbstbestimmten Freitods belasten zu wollen!
    Endlich einmal ein Beitrag ohne Heuchelei und ohne die Keule falscher, bevormundender Moral.

  5. Gerhard Tucek

    Viele schöne Worte, noch besser wären konkrete Angaben bezüglich brauchbarer Alternativen zum Natriumpentobarbital, es gibt bestimmt einige, die auch leichter erhältlich sind. Ohne Priester- und/oder Ärztegeschwätz. Überall, wo sich der Staat einmischt, wird alles nur unnötig verbürokratisiert.

  6. Franziska Mühlbauer

    Wenn man alt oder unheilbar krank, des Lebens müde ist, was ist falsch daran, wenn man sterben will und dafür ein gutes Mittel/eine gute Medizin benötigt?

  7. Renato R.

    An diesem sehr treffenden Beitrag sehe ich nichts Irrationales. Schwarzen Humor und etwas Karikatur ja, erleichtert die Lektüre.
    Ich lebe in der Schweiz, von der man im Ausland oft glaubt, sie habe das Problem gelöst.
    Vor einem Dutzend Jahren habe ich es erlebt, dass in einem Unispital ein Familienrat auftreten und auf den Tisch hauen musste, damit ein Patient, der den Mitglieder-Ausweis einer Sterbehilfeorganisation dabei hatte, seine letzte Reise antreten durfte.
    Inzwischen, ein paar Volksabstimmungen weiter, haben wir (nicht unbedingt in allen Kantonen) mehr Rechte. Zum Beispiel müssen Sterbehelfende (von Gesetzes wegen Ärzte, i.d.R. einer Sterbehilfe-Organisation) in Altersheimen zugelassen werden. Oder das Gesetz verpflichtet die Ärzte, die Patientenverfügung zu respektieren. Wobei dieser Respekt allzu oft darauf hinaus läuft, dass der Patient keine Ahnung hatte, was medizinisch sinnvoll und machbar wäre (wenn auch nicht in seinem Sinn) und somit seine Patientenverfügung aus medizinischer Sicht unanwendbar sei. Noch nie habe ich vernommen, jemand habe in diesem Fall prozessiert, geschweige denn den Prozess gewonnen.
    Einen Kurs „letzte Hilfe“ durfte ich besuchen; allerdings war er eher an Pflegepersonal gerichtet, so dass nur gerade für mich die Kanüle Geheimnisse barg, und er zielte tendenziell auf palliativ. Für mich war es so etwas wie Kybernetik in der UdSSR zu studieren, als sie keine Computer hatten (nicht schade, stärkt Hirn und Geist).
    Zu „Infantilität und Dienstboten-Denken beim Sterbewilligen“: Selbst wenn ich diesen Standpunkt sehr gut verstehe, lassen mir Gesetz und Praxis in der Schweiz keine andere Wahl als die Hilfe von Fachleuten in Sterbehilfe-Organisationen anzunehmen. Dies fällt mir immerhin leichter, wenn ich sehe, wie Aktive in diesen Organisationen sich mit viel menschlicher Kompetenz und bewundernswertem Einsatz für eine bessere Praxis stark machen. Für die, die Hand bieten, ist das Ausübeverbot oder gar Gefängnis nie sehr weit, es braucht Mut und Nerven. Das Cliché, das sei alles aus Macht- oder Geldgier, kann ich nicht bestätigen.
    PS: Der Schreibende ist nicht Arzt und steht in keiner Nähe zu Ärzten.

  8. ute wellstein

    mich stört das wort SELBSTMORD

  9. Klaus Bernd

    Ein ehrlicher Text. Der gut formuliert, was ich selber denke. Und dann die katholische Küchentischpsychologie, die aus den beiden Kommentaren quillt. Das ist genau das, was ich für die angedachten verpflichtenden Beratungs-„Gespräche“ befürchte. Zynismus kann ich in dem Text überhaupt nicht entdecken. Priester, jedenfalls die, die in ihren Kirchen Karriere gemacht haben oder eine solche anstreben, glauben sich ja erhaben über jede Lebenswirklichkeit. Die Kirchen verdienen am Leid, das ist ihr Geschäftsmodell, und machen von ihrem unverhältnismäßig großen Einfluss auf die Politik schamlos Gebrauch. Aber auch da klafft eine große Lücke zwischen den Lehren der Fürsten und der pastoralen Praxis der Arbeiter vor Ort im „Weinberg des Herrn“.

  10. Andrea Friedrich

    C. Menapace und Josef A.: Sie räumen den Ärzten und Priestern Kompetenz und Macht ein, das ist Ihr Problem: Aber leider haben Sie auch das vorliegende System überhaupt nicht durchschaut !!
    Insofern sind Ihre Bewertungen völlig daneben!! Ja schon peinlich!

  11. Clemens Menapace

    Gerade mir, der selbstbestimmtes Sterben über Jahre differenziert und ernsthaft mit vielen Gruppen unserer Gesellschaft diskutiert hat und nach diesem Diskussions- und Denkprozess nicht pauschal ablehnend gegenübersteht, mutet der aggressive Zynismus gegenüber Ärzten und Priestern als pauschales Ziel verquer an.
    Die wahrgenomme, ja eingestandene Inkompetenz und allenfalls ein daraus resultierender Minderwertigkeitskomplex drängt sich als Erklärung geradezu auf, sollte aber den Blick auf den zwischen den Zeilen heraus drängenden, von Selbstmitleid aber auch Angst vor dem letzten, unausweichlichen Ereignis geprägten, destruktiven Sophismus nicht verstellen.
    Angst macht irrational, manche auch zynisch und ist keine wünschenswerte Diskussionsgrundlage, noch weniger Zynismus. Demut, Zurückhaltung und Einfühlungsvermögen statt ätzende Kommentare und pauschale Verurteilung wären hier mehr gefragt.

  12. Josef A.

    So viel, aus Betroffenheitspanik generiertes, unreflektiertes Geschwätz, erinnert an manchen Tatort der uns aus Bundesdeutscher Denkwerkstatt herüberquillt. Selbstverständlich auch keinerlei Bemühen die DEUTSCHEN Gegebenheiten durch Ösi-Querverweise zu ergänzen. Sehr entbehrlich!

    1. Heribert Wasserberg

      Bin zwar Deutscher, und verstehe daher Ihre Verärgerung vielleicht nicht ganz. Aber ich gehe davon aus, dass es überall Menschen gibt, die „Herr im Haus“ bleiben können möchten, auch am Lebensende, und ihr Leben unter dem Schutz ihrer Privatsphäre beenden können möchten. Ohne Aufsicht oder eigentlich unnötiger, eigentlich unerwünschter Hilfe Dritter. Ein Tod von eigener Hand, im Kreise der Liebsten. Wo ist da ein Problem?

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