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Marcel Looser
Die Ampel
Geschichte eines Wortes

«Normalmenschen» benutzen die Sprache und ihren Wortschatz als etwas, das einfach da ist, das uns zur Verfügung steht – mir als «Sprachler» ist es fast schon zur Berufskrankheit geworden, Wörter zu hinterfragen, ihre Herkunft zu ergründen.
Da heute die «Ampel» – die Ampelkoalition in Deutschland, die Corona-Ampel in Österreich – hoch im Kurs ist, habe ich etwas nachgeforscht.

 

Volksetymologische Deutungen

«ἄμπελοϛ» (ampelos) bedeutet griechisch «Weinstock»; hat das Wort etwa damit zu tun, dass man nach zu viel Weingenuss die Dinge in allen Farben sieht? – Wohl kaum. Auch dass bei einer Versetzung des Schluss-L an den Anfang des Wortes aus der «AMPEL» eine «LAMPE» würde, ist leider nur eine Spielerei. λάμπαϛ (lampas) heisst zwar griechisch «Fackel», λάμπειν (lampein) «leuchten», sodass man inhaltlich einen Bezug herstellen könnte; lautlich ist das aber nicht möglich.

Zeugnisse aus mykenischer Zeit

Die Realität ist verzwickter und spannender und zeigt, dass die Geschichte des Wortes mindestens 3500 Jahre zurückreicht.

Löwentor von Mykene
Löwentor von Mykene

Die Ausgräber der grossen mykenischen Herrschersitze des 2.Jt.v.Chr. (Knossos auf Kreta, Mykene, Tiryns und Pylos auf der Peloponnes, Theben u.a.) waren bei ihrer Tätigkeit auf Tontäfelchen in den Palastarchiven gestossen, die mit einer unbekannten, rechtsläufigen Schrift (sog. Linear B) versehen waren. Es dauerte rund 80 Jahre nach den ersten Funden (ab 1878), bis der englische Architekt Michael Ventris zusammen mit dem Gräzisten John Chadwick die Entzifferung im Journal of Hellenistic Studies (JHS 73, 1953) mit dem Titel «Evidence for Greek Dialect in the Mycenaen Archives» vorlegte.

Ventris hatte als Jugendlicher einen Vortrag des Ausgräbers des Palastes von Knossos Sir Arthur Evans gehört – der erzählte vom Fund einer geheimnisvollen Schrift auf Tontäfelchen – die Sache liess den jungen Mann nicht mehr los.

Entgegen der damaligen wissenschaftlichen Ansicht stellte sich die Sprache auf den Tafeln (ab 1500 v.Chr.) als Griechisch heraus, ein griechischer Dialekt 700-500 Jahre vor den bisher bekannten Schriftdenkmälern – die ersten Inschriften in Alphabet-Schrift tauchen im 8.Jh.v.Chr. auf. Der Inhalt der Täfelchen sind nicht tiefschürfende philosophische Gedanken oder packende Darstellungen aus der Welt des Mythos, sondern es ist ganz prosaisch die Buchhaltung der Paläste – Schrift war ursprünglich ein Hilfsmittel der Verwaltung.

Es handelt sich dabei um eine Silbenschrift mit Zeichen (in Transskription) vom Typus «pa-pe-pi-po-pu / ra-re-ri-ro-ru usw.», völlig ungeeignet für eine Sprache mit Konsonantenfolgen wie das Griechische. Ein Wort wie ἀγρόϛ «agros» (Acker) wurde ⟨a-ko-ro⟩ geschrieben, ἀμφί «amphi» (auf beiden Seiten) als ⟨a-pi⟩, eine höchst komplizierte Sache.

Pylos Tablet 641
Pylos Tablet 641

Das Täfelchen Py Ta 641 zeigt in der 1.Zeile links die Lautfolge ⟨ti-ri-po-de …⟩ ≙ /tri-pod-e …/ (= 2 Dreifüsse), daneben ist ein Dreifuss (Ideogramm) gezeichnet – mit dem Zahlzeichen II: Ein schlagender Beweis für die Richtigkeit der Entzifferung. Die Schrift ging dann mit dem Untergang der mykenischen Kultur um 1200 v.Chr. auch verloren – die Täfelchen aus weichem Ton brannten sich aber selbst (Brand der Paläste!) und blieben dadurch über 3500 Jahre erhalten – ein Glücksfall der Wissenschaft.

Die «Amphore» in Linear B

Auf einem Täfelchen im kretischen Knossos taucht nun die Silbenfolge ⟨a-pi-po-re-we⟩ ≙ /amphiphoreu-es/ (Nom.Pl.: Amphoren) auf, in Pylos erscheint bereits die Abfolge ⟨a-po-re-we⟩ ≙ /amphoreu-e/ (Nom. Dual: 2 Amphoren) mit sog. Haplologie (Silbenvereinfachung: cf. Zauberer → Zauberer-in → Zauber-in).

Homer kennt das ursprüngliche ἀμφιφορεύϛ /amphiphoreus/ und das «haplologierte» ἀμφορεύϛ /amphoreus/ für einen zweihenkeligen Krug.

Die Etymologie und die Entwicklung des Wortes

Amphore, östl.Mittelmeer, ca. 700v.Chr.
Amphore, östl.Mittelmeer, ca. 700v.Chr.

Die Erklärung der Herkunft des Wortes ist relativ einfach. ἀμφί /amphi/ heisst «auf beiden Seiten, ringsum», cf. das Amphitheater, welches auf beiden Seiten bzw. ringsum ein θέατρον /theatron/, einen «Zuschauerraum», hat. /phor-/ bzw. /pher-/ heisst «tragen, bringen», cf. lat. fero, griech. φέρω /phero > fero/, gotisch bairan u.a. Luzi-fer ist also der Lichtträger. Bei der Amphore handelt sich demnach um einen Krug, der beiderseits getragen wird, einen «Zweiträger».

Griechische Amphoren waren die «Container» (Vorrats-, Transportgefässe) der Antike. An archäologischen Fundstätten sind sie in grosser Zahl und den verschiedensten Grössen und Ausformungen zu bewundern.

Auch römische Amphoren (lat. amphora) wurden hauptsächlich zum Transport und zur Lagerung von Grundnahrungsmitteln wie Olivenöl, Wein, Fischsaucen, Früchten und Getreide verwendet. So wurde der Begriff «amphora» zu einer wichtigen Masseinheit (26,2 Liter).

Herculaneum, Ladeneinrichtung
Herculaneum, Ladeneinrichtung

Dass das Wort «amphora» nicht aus dem Lateinischen stammen kann, zeigt das ⟨-ph-⟩ im Innern des Wortes, welches nicht zum lateinischen Lautsystem gehört. Das griechische Schriftzeichen φ wurde in klassischer Zeit als /ph/ gesprochen, erst in hellenistischer Zeit wird es zu /f/. Der φιλόσοφος war demnach ursprünglich ein /philosophos/ und wurde erst hellenistisch zum /filosofos/ – wir schreiben das zweimalige /ph/ heute noch, sprechen aber /f/.

Die Römer übernahmen als Lehnwort in früher Zeit die Lautung /ampora/ zusammen mit dem Gegenstand selbst (Amphore) und ersetzten dabei das /ph/ durch /p/, so wie z.B. die Japaner von den Amerikanern das Wort für «Unterhosen: pants» mit der Sache übernahmen und ihrem Lautsystem als /pantsu/ anpassten.

Zu «ampora» bildeten die Römer ein Diminutiv «amporela», welches über «amporla» > «ampolla» > schliesslich zu «ampulla» wurde, ein kolbenförmiges kleines Gefäss für verschiedene Flüssigkeiten (Öle und Salben), eine Art Schminkbüchse (Parfumflacon).

«lux aeterna» in der katholischen Kirche Mater Dolorosa in Berlin
«lux aeterna» in der katholischen Kirche Mater Dolorosa in Berlin

Was in der Antike von den weltlichen Frauen zur Veredelung des Körpers verwendet wurde, dient dann seit dem Mittelalter (ampulla > ampla > ampel) in der katholischen Kirche den frommen Damen der seelischen Erbauung – dies als Ewiges Licht (lux aeterna), welches in der Nähe des Tabernakels zum Zeichen der immerwährenden Verehrung des Allerheiligsten leuchtet.

Vom 14. Jahrhundert an bezeichnet es auch die Lichtquelle im Hause, konkurriert dort aber (16.Jh.) mit der «Lampe» (griech. λάμπαϛ «lampas» Fackel), welche es schliesslich verdrängt.

Anfangs des 20.Jahrhunderts taucht die «Ampel» als Kurzwort für die «Verkehrsampel» wieder auf, heute sind die Ampeln allgegenwärtig, das Wort wird auch metaphorisch (s.o. Ampelkoalition u.a.) verwendet.

Das lateinische «ampulla» erscheint etwas nach der Mitte des 19.Jh. dann als medizinische «Ampulle» wieder – sterile Lösungen wurden in bauchige Gefässe aus Glas gefüllt, die sie durch Zuschmelzen vor späterem Keimbefall schützten.

Da die Römer im 2.Jh.v.Chr. das griech. ἀμφορεύϛ /amphoreus/ ein zweites Mal übernahmen – dieses Mal, ihre Bildung war inwischen merklich gestiegen, aber korrekt mit /-ph-/ im Wortinnern, das später zu /-f-/ wurde, haben wir heutzutage eine «Amfore», aber eine «Ampulle». Der letzteren verdanken wir zuguterletzt noch die «Pulle» – weswegen wir nun «volle Pulle» zum Ende des doch etwas lang gewordenen Etymologie-Essays kommen.

Gebauchter Krug; Pulle, 1594, Steinzeug, Siegburg
Gebauchter Krug; Pulle, 1594, Steinzeug, Siegburg

 

P.S. Wir haben uns angewöhnt, Lehnwörter aus dem Griechischen, die ein φ (/ph/ > /f/) enthielten, auch mit ⟨f⟩ zu schreiben, so «Foto, Telefon, Grafiker, Fantasie, Delfin usw.».

 

Beim «Philosophen» soll anlässlich der Rechtschreibreform von 1996 – diese Aussage beruht auf Hörensagen – der bayrische Innenminister die Neuerung abgelehnt haben; es entspreche nicht der Würde des Wortes! Die Italiener sind da pragmatischer: Auch ein «filosofo» sieht doch ganz passabel aus, die Schüler und Schülerinnen würden es uns danken – das ⟨ph⟩ ist gänzlich überflüssig, in der Filosofie, vielleicht sogar in der Füsik (ital.fisica).

 
 

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Marcel Looser

Marcel Looser, Geb. 1950, lebt in Dietlikon bei Zürich, Altphilologe und Indogermanist, Gymnasiallehrer (Latein und Griechisch) a.d., Schulpräsident der Gemeinde Dietlikon a.d., als solcher Gewinner des Schweizerischen Schulpreises.

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