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Manfred A. Schmid
Von der Macht und Ohnmacht der Bühnenbilder
Zur Premiere von Puccinis „Il Trittico“
an der Wiener Staatsoper

Bei der Premiere nicht besonders gut davongekommen ist die Inszenierung des Opern-Dreiteilers von Puccini. Tatjana Gürbaca wird von der Kritik mehrheitlich vor allem vorgeworfen, keine passenden Bühnenbilder für die zusammengewürfelten Einakter, die kaum etwas gemeinsam haben, vorweisen zu können. 

Il tabarro - Michael Volle (Michele), Anja Kampe (Giorgetta) Il tabarro – Michael Volle (Michele), Anja Kampe (Giorgetta)

Tatsächlich kommt ihre Regie so gut wie ohne Bühnenbilder aus. Henrik Ahr, für die Bühne verantwortlich, stellt in jedem Fall nur Spielflächen zur Verfügung, die bespielt werden können. Na und! Wo liegt das Problem? 

In einem guten italienischen Restaurant müssen heute ja auch längst nicht mehr unbedingt Fischernetze, Anker und Fotos vom Schiefen Turm von Pisa an den Wänden hängen. Worauf es einzig und allein ankommt, ist das Gericht, das auf den Tisch kommt. Das muss schmecken. Zu viel Dekor hingegen kann unnötig luxuriös und teuer, ablenkend, störend, ja, sogar ärgerlich sein. 

Man denke nur an das mit Sesseln, Kästen und Truhen vollgeräumte Caritas-Möbeldepot, in dem in der Inszenierung von Monteverdis Il ritorno de Ulisse in patria durch Jossi Wieler und Sergio Morabito der Schlussakt stattfinden muss. Da wäre sogar eine kahle Bühne besser gewesen. 

So etwas gab es – wer erinnert sich noch? – tatsächlich schon einmal: Bei den Regiearbeiten Herbert von Karajans: Eine ganz in Dunkel getauchte Bühne, nur ein Lichtstrahl richtete sich auf die jeweils singende(n) bzw. agierende(n) Person(en). 

Nicht dass das wiedereingeführt werden sollte. Aber gegen eine gelegentlich leere, karge, sehr aufgeräumte Bühne spricht wirklich nichts, solange die Personenführung stimmt, die Handlung nachvollziehbar dargestellt und der Bühnenraum gut ausgenützt wird. Das bietet eine wohltuende Abwechslung, denn selbstverständlich soll es weiterhin auch Neuproduktionen in guten, interessanten, bereichernden Bühnenbildern geben. Für die Oper gibt es weder ein Bilderverbot noch ein Bildergebot.

Suor Angelica – Eleonora Buratta >(Suor Angelica)

Nach diesem Exkurs zurück zu Puccinis aktuellem Il Trittico und seinen drei Teilen an der Wiener Staatsoper. 

Das Anfangsstück, der dramatisch-tragische Einakter Il Tabarro (Der Mantel) spielt laut Libretto auf einem am Ufer der Seine ankernden Schleppkahn in Paris. Ein Liederverkäufer, bei Gürbaca ein Luftballonverkäufer (Katleho Mokhoabane), und ein Liebespaar, merkwürdigerweise in Unterwäsche, schlendern im Hintergrund vorbei und sollen wohl etwas vom großstädtischen Flair verbreiten (ein Mann mit einem Baguette unterm Arm, auf einem Fahrrad hätte durchaus auch dabei sein können). 

Von Paris aber sieht man sonst nichts, keinen Eiffelturm in der Ferne, kein Bistro. Muss auch nicht sein. Denn im Mittelpunkt steht keine lokal festzumachende Geschichte, sondern ein Eifersuchtsdrama, wie es überall auf der Welt stattfinden kann. Eine mit einem älteren Mann verheiratete Frau hat ein Verhältnis mit einem anderen Mann. Eine Affäre mit tödlichem Ausgang. 

Puccini geht es in seiner Musik daher auch nicht – wie etwa in La Bohème – um impressionistischen Lokalkolorit, sondern um eine veristische Schilderung der Gefühle der Protagonisten, um ihre Sorgen und Probleme, um ihr Streben nach dem kleinen Glück. Am Ende eines harten Arbeitstags sind alle müde und ausgelaugt. So sehnt sich Giorgetta (Anja Kampe), unglücklich in ihrer Ehe, nach dem bunten Treiben in der Stadt. Und Frugola (Monika Bohinec), die Frau des Arbeiters Talpa (Dan Paul Dumítrescu), schwärmt von ihrer Katze, die zu Hause auf sie wartet. Deren Miauen und Schnurren ist in der Musik trefflich eingefangen. 

Giorgetta betrügt ihren Mann mit dem jüngeren Arbeiter Luigi (Joshua Guerrero), der von ihrem Ehemann Michele (Michael Volle), als er davon erfährt, erstochen wird. Giorgetta eilt herbei. Michele hebt den Mantel hoch. Darunter liegt die Leiche. Giorgetta schreit entsetzt.

Der Wagner-Sänger Michael Volle ist eine imposante, vielleicht etwas zu imposante Erscheinung für die Rolle des eifersüchtigen Ehemannes und Kahnbesitzers. Anja Kampes Giorgetta ist eine verhärmte Frau, die sich von ihrem Mann, nach dem Tod ihres gemeinsamen Kindes, entfremdet hat und sich ein anderes Leben wünscht. Sie singt sich ihren Frust so lautstark von der Brust, dass nicht einmal das wuchtig aufspielende Orchester es schafft, sie zu übertönen. 

Gianni Schicchi – Ambrogio Maestri (Gianni Schicchi, Mitte) und Ensemble

Joshua Guerrero als viriler Liebhaber wünscht sich, in Rouen für immer von Bord zu gehen, weil er nicht damit leben kann, seine Geliebte auf Dauer mit ihrem Ehemann teilen zu müssen. Sowie aus Angst davor, andernfalls selbst zum Mörder zu werden.

Musikalisch gibt es wenig auszusetzen, die Personenführung lässt allerdings viel zu wünschen übrig. Tatjana Gürbaca gelingt es nicht, die spannungsgeladene, auf ein gewaltsames Ende zusteuernde Dreiecksbeziehung angemessen darzustellen. 

Vorherrschend ist ödes Rampentheater, die Akteure stehen die meiste Zeit zu weit voneinander entfernt herum. Die veristische Tragödie will nicht so recht zünden. Es gibt nur eine einzige nach Aufmerksamkeit heischende Szene, als sich am Schluss Michele die Kehle durchschneidet, was im Original nicht so vorgesehen ist, aber durchaus treffend erscheint. 

Ansonsten ist der Regisseurin für Il tabarro jedenfalls zu wenig eingefallen. Daran hätte auch ein bunteres Bühnenbild nichts ändern können. Zum Glück aber wird es im weiteren Verlauf des Abends immer besser.

Im Einakter Suor Angelica, dem lyrischen Zwischenspiel, bevor die Trilogie im Buffostück Gianni Schicchi ihren Abschluss findet, geht es um eine Adelige, die wegen eines unehelich geborenen Kindes von ihrer Familie zur Sühne in ein Kloster gesteckt wurde und sieben Jahre warten muss, bis sie endlich Besuch bekommt. 

Ihrer hartherzigen, gefühlskalten Tante, einer Fürstin, (imponierend böse Michaela Schuster), geht es aber nicht um ihr Wohlergehen, sondern sie will nur ihren Erbverzicht zugunsten ihrer Schwester, die heiraten will, bestätigt haben. 

Nachdem ihr die Tante berichtet hat, dass ihr Sohn vor zwei Jahren verstorben sei, willigt sie enttäuscht ein, mit der Gewissheit, ihr Leben hinter Klostermauern fortsetzen zu müssen. Ihre Mitschwestern, die sich mit ihr freuen und beginnen, sie für ein zukünftiges Leben bei ihrer Familie einzukleiden, will sie nicht die Wahrheit sagen, beschließt aber, ihrem Leben mit einem selbstgebrauten Trank ein Ende zu setzen. Nach dessen Einnahme bekommt sie Gewissenbisse ob dieser schweren Sünde und fleht zur Gottesmutter um Gnade.

Laut Libretto sollte nun die Kirche zu leuchten beginnen, Engel kommen herbei, und Maria, die Königin des Trostes, tritt mit einem blonden Knaben auf sie zu, Angelica stirbt im hellen Licht. 

Die Regisseurin hält sich nicht an diese Vorgabe, sondern findet eine gute, überzeugende Alternative: Von Reue gepackt, kommt die Fürstin zurück, mit einem Knaben an der Hand. Angelika stirbt in der Gewissheit, dass ihr Sohn lebt und ihre Tante sie belogen hat. 

Die italienische Sopranistin Eleonora Buratto, an der Staatsoper als Mozart- und Verdi-Sängerin geschätzt, ist eine hervorragende Interpretin der Titelrolle, sowohl gesanglich wie auch darstellerisch. Ein Bühnenbild wird nicht vermisst. Die gute Ausnützung des Bühnenraumes ist – bei der Menge an Nonnen – kein Problem, die Personenführung völlig in Ordnung, und die Gefahr, in Kitsch abzugleiten, wird regielich kreativ vermieden.

Der den Abend beschließende Gianni Schicchi-Einakter wird, in fantasievollen commedia dell’arte-Kostümen, zu einem turbulenten Buffo-Finale mit höchst unterhaltsamen Gags und einem übermütig agierenden Ensemble, bestehend aus namhaften Kräften aus dem Haus. 

Dazu gehören u.a. Andrea Giovannini, Clemens Unterreiner, Dan Paul Dumitrescu und Anna Bondarenko, aber auch spielfreudige Mitglieder aus dem Opernstudio wie Daria Sushkova als La Ciesca und Simonas Strazdas als Notar. 

Im Mittelpunkt steht naturgemäß der großartige italienische Buffo-Bariton Ambrogio Maestri, trefflich assistiert von Michaela Schuster und, weniger nachhaltig, von Bogdan Volkov, sowie der spanischen Sopranistin Serena Sáenz, die die einzige Arie des ganzen Abends O mio babbino caro zur Freude des Publikums ansprechend präsentieren darf. 

Bühnenbild? Niemand fragt danach.

Insgesamt ein nicht immer ganz einfacher, was an der eigenartigen thematischen Komplexität des Trittico und seiner stilistischen Vielfalt liegt, aber durchaus empfehlenswerter, interessanter Opernabend. 

Das Publikum zeigt sich angetan und dankt gutgelaunt – auch dem einigermaßen geforderten Orchester unter der kundig differenzierenden Leitung von Philippe Jordan – mit herzlichem Applaus.

Bildnachweis: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

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Manfred A. Schmid

Manfred Schmid hat am Konservatorium in Klagenfurt Violine und Tonsatz und an der Universität Wien Philosophie und Psychologie studiert. An der University of Strathclyde in Glasgow, wo er als Lektor tätig war, hat er ein Postgraduate-Studium der Literaturwissenschaft absolviert. Nach einigen Jahren als Universitätsdozent an der Universidad Nacional dé Mexico kehrte er nach Österreich zurück, wo er zunächst als Cheflektor und Verlagsleiter die Edition S, den Belletristik-Zweig des Verlags der Österreichischen Staatsdruckerei, leitete. Es folgten rund zehn Jahre als Redakteur bei der Wiener Zeitung (Medienressort-Leitung, Theater- und Musikkritik, Kolumnist der „Extra“-Beilage) und eine mehrjährige Tätigkeit als Trainer und Coach (Kommunikation, Berufsorientierung). In der Pension schreibt Schmid regelmäßig Opernkritiken auf www.onlinemerker.com und widmet sich intensiv dem Komponieren – eine Leidenschaft, die ihn seit der Kindheit bis heute begleitet.

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